Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Von Trends und normativen Folgerungen

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Wenn man auf der Suche nach Trends, Meinungen, Texten zu „Micro-Aspekten“ beim Lernen ist, dann wird man nach einer kurzen Suche auf Jochen Robes Blog in der Regel sehr schnell fündig (aktuell etwa hier). Via Jochen Robes bin ich z.B. auf den Blog-Beitrag „Short ist the new long“ gestoßen: Darin wird diskutiert, ob, und wenn ja, warum es beim Lesen und Schreiben (vor allem im Netz) einen Trend zum „immer kürzer und kompakter“ gibt und was eigentlich die Referenz für die Einschätzung von Kürze und Länge ist. Beim Lesen habe ich an einen der letzten Blog-Beiträge von Christian Spannagel denken müssen (hier), in dem er beklagt, dass er nicht mehr dazu kommt, Texte oder gar Bücher ganz zu lesen, dass ein schnelles Überfliegen genügen müsse etc. Gestern saß ich in einer Berufungskommission, in der mal wieder diskutiert wurde, ob das Schreiben eines (langen) Buches minderwertiger sei als das Verfassen eines (kurzen) Zeitschriftenartikels. Dass der Trend „in Richtung kürzer“ geht, scheint sich also zu bestätigen: Wir informieren uns in kürzeren Abständen mit kürzeren Texten, kommunizieren mit weniger Zeichen in kürzerer Zeit, lernen in weniger Schul- und Studienjahren, um uns dann in kleineren Einheiten weiterzubilden (Promotionen, die drei Jahre oder länger dauern, passen da übrigens ganz schlecht ins Bild).

Aber ist das wirklich so? Der besagte Blog-Beitrag setzt sich nicht nur mit der „Verkürzung“, sondern auch mit dem Vorschlag auseinander, dass es auch Gegenbewegungen geben könnte, die wieder die Hoffnung auf Muse für lange Texte, lange Blogbeiträge oder gar Bücher weckt. Wir kennen solche Gegentrendbewegungen alle beim Thema Beschleunigung (die ja mit der Verkürzung Hand in Hand geht): Das nennt man dann „Entschleunigung“ oder auch „Achtsamkeit“ – mehr oder weniger gut dosiert mit einer Prise Esoterik. Manche fühlen sich aber nun schon wieder gestresst vom Diktat der Entspannung (siehe z.B. hier), die zu einem „Muss“ geworden ist, wenn man seine Balance nicht verlieren will. Lange Blogbeiträge, Texte und Bücher als Selbstzweck will aber wohl keiner haben. Der Grund, warum z.B. auch ich nicht allzu oft wirklich lange Texte oder Bücher von vorne bis hinten lese, ist der, dass es (in der jeweiligen Domäne, in der man tätig ist oder die einen interessiert) gar nicht so viele Autor/innen gibt, die wirklich gute, neue und tiefe Gedanken haben UND diese auch so formulieren können, dass man den Text oder das Buch ungern aus der Hand legt.

Es ist also gar nicht so leicht, sich hier einerseits einen fundierten Überblick zu verschaffen (wird wirklich alles kürzer und schneller oder sind wir dafür nur sensibler geworden?) und sich andererseits eine gut begründete Meinung zu bilden (wann sind lange Beiträge kürzeren vorzuziehen, wann werden Dinge auch nur unnötig gestreckt?). Worin ich mir aber relativ sicher bin, ist, dass hier sehr viele normative Anforderungen unterwegs sind – egal in welche Richtung sie gehen: Publiziere viel und gezielt versus publiziere mit Muse und Augenmaß; informiere dich kontinuierlich und halte dich auf dem Laufenden versus schalte und schirme dich von der Informationsüberflutung ab usw.; das Ganze gipfelt dann in der schier unmenschlichen Forderung, immer schön alles in Balance zu halten …. was dann wieder neuen Stress verursacht, weil man es nicht hinbekommt.

Also ich weiß nicht: Vielleicht wäre es besser, wenn man hier jenseits der Trends und expliziten wie impliziten Normen (die darin mitschwingen) mehr Toleranz für individuelle, entwicklungsbedingte und situative begründete Unterschiede hätte. Lassen wir das Lange und Kurze, das Schnelle und Langsame, das Ausgeglichene und Unausgeglichene doch einfach nebeneinander stehen …. Warum sollten wir aus einem beobachtbaren Trend (der vielleicht nur ein vorübergehender ist) gleich eine normative Aufforderung ableiten?

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