Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Aufgeklärte Fremdbestimmung auf Zeit

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François Bry hat einen interessanten Blog-Beitrag (hier) zum Thema „Verschulung“ an der Universität geschrieben. Grundlage ist keine eigene Erfahrung, sondern ein Buch von Dan Ariely, in dem er über ein Experiment in der Hochschullehre berichtet. Verglichen hat Ariely die Effekte von drei Bedingungen für Abgabefristen von drei schriftlichen Ausarbeitungen: (a) eine Einreichungsfrist (vom Dozenten festgelegt) für alle drei Leistungen am Ende des Semesters, (b) eine von Studierenden selbst festgelegt Einreichungsfrist für alle drei Leistungen, (c) vom Dozenten festgelegte verteilte Fristen für die drei Leistungen über das Semester. Das Ergebnis?

Die schlechteste durchschnittliche Qualität trat bei (a) auf, besser war die durchschnittliche Qualität bei (b), am besten bei (c). ABER: Die Ergebnisse bei (b) waren verzerrt durch eine „bedeutsame Minderheit von Studierenden, die sich ungeschickte Einreichungsfristen gegeben hatten. Ohne diese Minderheit waren die durchschnittlichen Qualitäten besser.“ (Zitat Bry).

Für Bry ist (c) ein Indikator für Verschulung. Er plädiert daher eindeutig für (b) und begründet das damit, dass Studierende im Studium selbstorganisiertes Arbeiten lernen müssten. Das sehe ich als Ziel ganz genauso. Ich frage mich aber, ob man den Weg zum Ziel und das Ziel (immer) gleichsetzen sollte. Meine eigene Erfahrung ist die, dass es gerade zu Beginn des Studiums oder wenn Probleme deutlich werden, sehr sinnvoll sein kann, z.B. zeitliche Verläufe und Stationen vorzugeben – allerdings mit Begründung – quasi eine aufgeklärte Fremdbestimmung auf Zeit ;-)! Man kann das auch explizit als Übungsangebot deuten und Studierende darin ermutigen, am Ende des Semesters solche Vorgaben zu reflektieren (z.B. hinsichtlich der Vor- und Nachteile).

Die Frage ist daher wohl auch, wann man von „Verschulung“ sprechen sollte. Stefan Kühl (2001) schlägt (hier) folgendes Verständnis von Verschulung vor: „Mit dem Begriff der Verschulung wird zum Ausdruck gebracht, dass in anderen Feldern der Bildung als Schulen – also beispielsweise in Kindergärten, in Familien, in Ferienlagern oder in Universitäten – Formen der Wissensvermittlung aus der Schule übernommen werden, häufig ohne zu prüfen, ob diese Formen auch für eine bisher nur in Schulen praktizierte Wissensvermittlung geeignet sind“ (S. 2). Strukturvorgaben (u.a. zeitliche Vorgaben) muss man aus meiner Sicht nicht zwingend unter diesen Begriff subsumieren. Strukturvorgaben, die erlebbar machen (und Möglichkeiten des Einübens geben), wie man z.B. auch komplexere Aufgaben bewältigt, halte ich für vertretbar – jedenfalls mit dem Ziel, an Universitäten trotz aller widrigen Umstände an der Idee einer „Bildung durch Wissenschaft“ festzuhalten und genau nicht in den Modus Schule abzugleiten. Dass man solche Vorgaben im Verlauf des Studiums zunehmend abbauen muss, versteht sich von selbst. Eine solche Haltung schließt freilich auch nicht aus, bereits zu Beginn des Studiums versuchsweise ohne Vorgaben zu arbeiten, um die dann eventuell auftretenden Hürden und Misserfolge zu reflektieren. Ein Problem aber wird das dann sehr schnell, wenn bereits jede kleine Verfehlung mit Noten geahndet wird – das erzeugt Angst und unter Angst erlernt man allenfalls Neurosen, aber keinen Einstieg in die Wissenschaft.

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