Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Das Leben als Abfolge von Projekten!?

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Wenn man gebeten wird, die eigenen „Großprojekte“ der letzten acht Monate hinsichtlich ihres Fortschritts zu präsentieren (oder zu dokumentieren), dann ist das ein geeigneter Anlass (jedenfalls ist es das für mich), um zu fragen: Was ist eigentlich ein Projekt? Klaus Zierer hat vor einigen Jahren (hier) darüber nachgedacht, welche Vor- und Nachteile es hat, wenn man die Forschung vorrangig als Projekt konzipiert (ich habe darüber auch in diesem Blog schon mal berichtet, nämlich hier). Nun wird mancher jüngerer Nachwuchswissenschaftler vielleicht einwenden: Was soll die Frage? Ist nicht jede Forschung immer auch ein Forschungsprojekt? Den Eindruck könnte man heute haben. Aber in besagtem Artikel kann man eines sehr schön nachlesen: Projektorientierte Forschung ist eine bestimmte Form von Forschung, wenn auch inzwischen wohl die häufigste, schränkt jedoch die Form der Wissensgenerierung in der Wissenschaft durchaus ein und fördert ein spezielles Wissen, gibt vor allem einfachen Forschungsfragen den Vorrang und vernachlässigt tendenziell die Theorieentwicklung. Zudem haftet Forschungsprojekten etwas Paradoxes an: „Sie beabsichtigen, etwas Unbekanntes auf bereits bekanntem Weg zu erforschen“ (Zierer, 2011, S. 15), denn: Kein Projekt, ohne dass es ein klares Ziel und einen genauen Plan gibt, was zumindest größere Überraschungen (Aha-Erlebnisse, Entdeckungen, wirklich Neues) ausschließt.

Üblicherweise schreibt man Projekten eine Reihe von Eigenschaften zu, die zwingend gegeben sein müssen, damit man etwas als Projekt bezeichnet: das Ziel ist klar bestimmt und/oder das Problem definiert; das Vorhaben ist einmalig und zeitlich begrenzt; es gibt einen Plan für das Vorhaben; die resultierende Lösung muss neu sein.

In der Forschung bräuchte man genau genommen den Projektbegriff gar nicht. Man könnte schlicht von einer Studie oder einer Untersuchung sprechen. Jeder Studie oder Untersuchung liegt eine Fragestellung zugrunde, wobei die Antwort grundsätzlich offen sein muss (JEDES Ergebnis ist ein Ergebnis, was für junge Forscher/innen mitunter schon ein Problem ist – jedenfalls lässt sich anders die Sorge nicht erklären, die sich einstellt, wenn z.B. eine Evaluation ergibt, dass eine Intervention nicht erfolgreich war, was aber natürlich wissenschaftlich betrachtet ein ebenso „gutes“ Ergebnis ist wie das, dass eine Intervention Erfolg hatte). Jede Studie oder Untersuchung beinhaltet ein methodisches Design, das begründet darlegt, mit welchen Strategien und Methoden man versucht, die gestellte Frage zu beantworten. Ob man von diesem Plan dann auch wieder abweicht, abweichen darf oder soll, hängt davon ab, welchem Forschungsparadigma die Studie folgt. Dass man die Eigenschaften eines Projekts eingeführt hat, um Forschung zu planen, dürfte vorrangig an der Drittmittelförderung liegen: die zeitliche Begrenzung ist hier notwendig. Zudem möchte man die Erfolgsaussichten einschätzen können, und man hofft wohl, dies auf der Basis möglichst genauer Pläne mit einer Vorausschau auf die Ergebnisse tun zu können.

Und wie ist das nun, wenn man an der Hochschule – ob mit oder ohne begleitende Forschung – Veränderungen anstoßen will? Das macht man natürlich auch in Form von Projekten, oder? Also, ich würde sagen: Man kann es tun, und das hat Vorteile, denn: Das treibt einen dazu an zu sagen, was denn genau das Ziel ist, welches Problem man lösen will, welche Maßnahmen man dazu ergreift, wie viel Zeit und welche Ressourcen man dazu braucht und wann man fertig ist. Und fertig sein, heißt, dass man ein Ergebnis präsentiert, das man möglichst schon vorher definiert hat und am besten noch quantifiziert. Das klappt ja auch manchmal erstaunlich gut, z.B. wenn es um so etwas geht wie: Einrichtung eines Labors, versuchsweise Implementierung eines Werkzeugs bei einer kleinen Gruppe von Personen u. ä.

Selbst aber bin ich mit mehr Herausforderungen (in meiner Wahrnehmung) konfrontiert, denen man nicht besonders gut in Form von Projekten begegnen kann: Wie verändert man eine bestehende Prüfungskultur? Wie kommt man zu Lehrevaluationen, an denen sich möglichst viele möglichst überzeugt beteiligen? Wie gestaltet man Studiengänge möglichst forschungsorientiert? Wie kann ein bestehendes Team immer neu sich stellende Aufgaben effektiv, aber auch effizient erfüllen? Was man hier im besten Fall anstößt, sind Entwicklungen: Auch diese müssen ein Ziel haben, aber das ist dann weniger eine klare ZielSETZUNG wie in einem Projekt, sondern eher die Vorgabe einer ZielRICHTUNG. Auch Entwicklungen weisen in die Zukunft und fordern daher zeitliche Überlegungen, aber Anfang und Ende sind genau NICHT fixiert. Auch Entwicklungen verlangen nach Einfluss, den man auf diese nimmt, aber das sind weniger Prozesse der STEUERUNG als eher solche der GESTALTUNG. Natürlich kann man Entwicklungen mit gezielt eingesetzten MASSNAHMEN anstoßen oder beschleunigen, wie in Projekten; ganz besonders aber kommt es darauf an, die Umfeldbedingungen danach zu beobachten, welche GELEGENHEITEN sich ergeben, die man nutzen kann, um eine Entwicklung voranzutreiben. Und vielleicht ändern sich die Gelegenheiten sogar derart, dass man die eingeschlagene Entwicklungsrichtung anpasst, die Zielrichtung ändert und dafür gute Gründe hat – in der Regel undenkbar in einem Projekt. Und schließlich dürfte es natürlich auch so sein, dass man innerhalb einer Entwicklung an bestimmten Stellen Vorhaben für wichtig und richtig hält, die dann in Form von zeitlich begrenzten Projekten und klaren Zielen umgesetzt werden können.

Auch Artefakte wie Texte, in denen man Ideen, Gedanken, Ergebnisse, Konzepte festhält, haben in Projekten tendenziell einen anderen Charakter bzw. werden anders rezipiert als Texte in einem Entwicklungsprozess. In vielen meiner Aktivitäten – das beobachte ich manchmal bei mir selbst – tendiere ich dazu, eher entwicklungs- statt projektorientiert zu denken und zu handeln. Und dann passiert z.B. Folgendes: Ich schreibe etwas auf, von dem ich meine, dass es ein erster Schritt sein könnte, um in der eingeschlagenen Richtung weiterzukommen. Für mich ist dieser Text dann ein plastisches Artefakt, von dem ich ausgehe, dass es sich noch mehrfach verändern wird – womöglich so, dass der Ausgangstext mit der vierten oder fünften Version kaum mehr etwas zu tun hat. Mit dem Schreiben entwickelt sich etwas, das Schreiben begleitet den Prozess, nimmt Fäden auf, lässt sie wieder fallen, gibt Diskussionen Stoff, lädt zur Kritik und zum Weiterdenken ein, führt zu kontinuierlicher Schärfung des Gedankens, des Konzepts, der Methode – was auch immer. Wenn nun das Umfeld den gleichen Ausgangstext (oder die zweite oder dritte Version davon) eher in einem Modus der Projektarbeit rezipiert, kann es sein, dass die Deutung des Textes sehr viel anders ausfällt: Der Text hält dann eher etwas fest, stellt ein erstes Ergebnis dar, das nun bereits etwas festschreibt, ist ein Meilenstein, auf dem man kumulativ aufbauen muss – starr und schwer wieder zu ändern. Das erzeugt statt konstruktiver Kritik dann eher Widerstand, bisweilen sogar Angst.

Ein Text im Rahmen einer Zusammenarbeit zur Veränderung der Prüfungs- oder Evaluationskultur z.B. bekommt also eine ganz andere Rahmung, je nachdem, ob man das „Vorhaben“ als Projekt oder als Entwicklung versteht: Das Denken und Handeln in Projekten führt tendenziell dazu, dass das Aufschreiben ausschließlich ein Prozess des Dokumentierens ist; das fordert dann vor allem dazu auf, etwas auszuführen. Das Denken und Handeln in Entwicklungen führt dagegen tendenziell dazu, dass das Aufschreiben vor allem ein epistemischer Prozess ist und zum Mitdenken und Weiterdenken anregt.

Das ist jetzt freilich sehr plakativ formuliert. Aber mir geht es darum, die Unterschiede aufzuzeigen, weil ich vermute, dass die permanente Projektorientierung auch zu einseitigen Problemlösungen führt – ähnlich wie in der Forschung, wie das Klaus Zierer im oben zitierten Text ausführt. Und dass das Denken und Handeln in Projekten nicht nur im Wissenschaftsbetrieb inzwischen beherrschend ist, ist mir neulich aufgefallen, als jemand in der S-Bahn am Handy vom „Projekt Kind“ gesprochen hat (leider habe ich nicht gefragt, wie das mit der zeitlichen Befristung läuft).

Luc Boltanski schrieb vor ein paar Jahren (nachzulesen hier): „Die Kultur des Projekts bezieht sich primär auf die Welt der Unternehmen. Zugleich stellt sie jedoch ein allgemeines Muster dar, das sich auf zahlreiche andere Bereiche auszudehnen begonnen hat.“ Und das geht dann in der Tat bis hinein ins (Privat-)Leben: „Das Leben erscheint dann als eine Abfolge von Projekten und ist umso wertvoller, je stärker sich die Projekte voneinander unterscheiden. Unter allen Umständen ist zu vermeiden, dass einem die Projekte und Ideen ausgehen, dass man nichts mehr im Blick oder in Vorbereitung hat […] In der projektbasierten Rechtfertigungsordnung muss man, um ´groß´ zu werden, alles opfern, was die Verfügbarkeit einschränkt. Man muss darauf verzichten, ein Projekt zu haben, das das ganze Leben dauert (eine Berufung, ein Gewerbe, eine Ehe), und mobil bleiben. Man muss zum Nomaden werden. Um der Forderung der ´Leichtigkeit´ zu entsprechen, muss man auf jede Stabilität, Verwurzelung oder Bindung an Personen und Dinge verzichten.“ Muss man? Da schließe ich mich doch – auch in der erweiterten Fassung – dem schönen Motto von Klaus Zierer an: „Wider den Projektezwang“

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