Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Es hat keiner mehr Zeit …

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In Berlin habe ich kürzlich nicht nur einen Vortrag gehalten (siehe hier), sondern auch eine nette Begegnung gehabt – mit einem älteren Herrn. Ich setze mich neben ihn, weil es voll ist im Cafe beim Einkaufszentrum, das gerade auf meinem Weg in Richtung Veranstaltungsort liegt und mir noch einen Cappuccino ermöglicht. Er sitzt an seinem Kaffee, schaut mich an, scheint kurz zu prüfen, ob er mich ansprechen kann, und sagt: „Vier Monate war ich jetzt weg – auf dem Boot“. Mein Gegenüber ist auf jeden Fall über 70, sieht nicht nach Seemann oder so aus (außerdem sind wir in Berlin), sodass mich das neugierig macht: „Auf dem Boot? Wo waren Sie denn damit?“ – „Die Flüsse entlang, mit meiner Frau – wir waren an vielen Orten. Das machen wir jedes Jahr seit wir in Rente sind. Aber jetzt sind wir wieder da – in Berlin. Jetzt wird es Winter und wieder langweilig“. „Dann nutzen Sie doch den Winter, um von Ihrer Reise zu erzählen“, meine ich. „Nee“, kommt die Antwort ziemlich rasch, „das interessiert ja keinen; und nach uns macht das auch keiner mehr – meine Kinder auch nicht – die haben ja alle keine Zeit. Die arbeiten nur noch …“. „Stimmt“, gebe ich ihm Recht, „die Arbeit gibt den Lebenstakt vor. Aber Sie können das jetzt!“ Mein Gesprächspartner nickt, wirkt aber nicht zufrieden: „Ja, aber wie lange noch? Ich bin jetzt 75!“ – „Na ja, so lange Sie können, oder?“ Er stimmt mir zu und verabschiedet sich: „Jetzt gehts an Boot-Reparieren; mit dem könnten noch viele fahren, aber es hat ja keiner Zeit.“ Da sagt er was, und ich frage mich in dem Moment, ob das wirklich so sein müsste ….

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