Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

(K)eine Crash-Methode

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Wie bekommt man am besten Zugang zu Wissenschaft und Forschung? Ist forschendes Lernen (im eigentlichen Sinne, also: selber forschen) möglichst früh im Studium der beste Weg? Es gibt gute Gründe, die dafür sprechen; es gibt viele Erfahrungen, die zeigen, dass das auch sehr schwierig ist. Klar aber scheint zu sein: Wer in die Forschung als Studierender im ersten und zweiten oder auch dritten und vierten Semester einsteigt, braucht Unterstützung, braucht Anforderungen, die zu bewältigen sind, und das verlangt nach einem Einstiegsniveau, das einerseits die Grundsätze von Forschung beibehält, andererseits aber auch nicht völlig frustriert. Man kann allerdings auf dem Standpunkt stehen, dass studentische Forschung zu Studienbeginn immer scheitern muss – das ist gewissermaßen die Crash-Methode (also kein Crash-Kurs, sondern ein bewusster Kollisionskurs). Ich halte das motivationspsychologisch nicht für sinnvoll und auch nicht für nötig: Im Gegenzug aber ist wohl die Haltung erforderlich, dass studentische Forschung zu Studienbeginn nicht perfekt sein muss, aber erstmals eine Idee davon vermitteln sollte, was es heißt, zu forschen.

Ich denke, mit solchen oder andere Überlegungen im Hintergrund kann man zum Buch von Heinz Moser greifen: „Instrumentenkoffer für die Praxisforschung“, aktuell in der inzwischen 6. (überarbeiteten) Auflage erschienen. Was kennzeichnet Praxisforschung nach Moser? Kennzeichen sind: (a) schnelle und ökonomische Ergebnisse, (b) mehrperspektivische Zugriffe, (c) anschlussfähiges Wissen, (d) robuste Methoden und (d) eine dichte Beschreibung (Moser, 2014, S. 9 f.). Eines der Kernziele von Praxisforschung in diesem Sinne, so Moser, ist: die Praxis zu reflektieren (S. 11 f.) – und das ist sicher ein guter Ausgangspunkt für ein erstes eigenes Forschungsprojekt (selbst früh im Studium).

Zu Mosers (2014) Kernannahmen, die er auch im Buch vermittelt, gehört, dass Wissenschafts- und Praxissystem ein Teil der Gesellschaft sind, „welche auf ihre je eigene Weise beobachten“ (S. 18). Wissenschaft und Praxis “beziehen sich auf dieselbe Welt und die darin lebenden Menschen. Nur die ´Scheinwerfer´, mit denen sie die ´gemeinsame´ Welt beleuchten, sind unterschiedlich“ (S. 20). Wobei das „nur“ schnell gesagt ist. Alltägliches Handeln (und Beobachten) sowie wissenschaftliches Handeln (und Beobachten) unterscheiden sich natürlich schon erheblich (S. 24 f.) – und genau diese Unterschiede zu begreifen und darin einen Sinn zu erkennen, dürfte zu Beginn zu den größten Herausforderungen für Studierende gehören.

Praxisforschung bezeichnet Moser (2014) als eine Form der „Forschung als Recherche“ (S. 30) bzw. als „recherchierende Forschung“ (S. 36 f.), (a) in der der Forschende eine detektivische, gleichzeitig mit dem „Forschungsgegenstand verstrickte“, Rolle hat, (b) in der das Prinzip der Abduktion eine wichtige Rolle spielt (S. 30 f.), und (c) mit der als Ergebnis die Chance entsteht, informierte und damit auch bessere praktische Entscheidungen zu treffen (S. 46 f.). In diesem Sinne passt „Praxisforschung“, so meine Einschätzung, gut als Rahmen für forschendes Lernen zu Studienbeginn, denn: Damit eröffnet sich ein prinzipiell gangbarer, auch für Anfänger anschlussfähiger Zugang zur Welt der Forschung.

Moser beschreibt auf einem einfachen Niveau und sehr verständlich, worauf Praxisforschende achten sollen, in welche Fallen speziell Anfänger/innen immer wieder tappen, welche Methoden zur Erhebung und Auswertung von Daten möglich (und eben auch umsetzbar) sind und mit welchen praktischen Strategien man die Anforderungen an eine gute Planung, systematische Durchführung und übersichtliche Berichterstellung bewältigen kann.

Nicht überzeugen kann mich der Versuch, unter das Label der Praxisforschung verschiedene Forschungstypen wie Design-Based Research, Praxisuntersuchungen, Evaluationsstudien und Aktionsforschung zu subsumieren (Moser, 2014, S. 53 ff.) – und das aus mehreren Gründen: Zum einen denke ich, dass dieser Unterordnungsversuch für Studienanfänger in dieser Form zu verwirrend ist. Das bedeutet nicht, dass ich es unwichtig finde, sich mit verschiedenen Forschungsansätzen und den jeweils zugrundeliegenden Auffassungen von Wissenschaft, Erkenntnis und legitimen Methoden auseinanderzusetzen – im Gegenteil. Es stellt sich allerdings die Frage, WANN man das macht und welchen Erfolg es zeitigt, wenn man das in allzu rudimentärer Form auch noch in die ersten eigenen wissenschaftlichen Schritte integriert. Zum anderen komme ich auch mit der Art der hier vorgeschlagenen Ordnung nicht klar (was aber jetzt eine längere Auseinandersetzung erfordern würde). Schließlich bin ich relativ sicher, das Design-Based Research für Studienanfänger kein geeigneter Forschungsansatz ist, denn das Besondere an diesem Ansatz, nämlich die praxisinduzierte, aber eben auch theoriegeleitete Entwicklung, die Implementierung und Evaluation entwickelter Maßnahmen inklusive eines zyklischen und iterativen Verfahrens, dürfte als EIN Projekt im Studium eine Überforderung sein. Wohl aber kann ich es mir sehr gut vorstellen, Studierende in einzelne Phasen solcher Forschungsarbeiten gezielt zu integrieren.

Fazit: Einmal abgesehen von der skizzierten methodologischen Skepsis, die ich bei der Zuordnung verschiedener Forschungsansätze zu einer „Praxisforschung“ habe, halte ich den „Instrumentenkoffer“ von Moser für ein sehr hilfreiches Werk (und Werkzeug) insbesondere für einen Einstieg in das forschende Lernens – gerade auch zu Beginn des Studiums.

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