Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Streitschrift oder Schmähschrift?

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Geisterstunde. Die Praxis der Unbildung. Eine Streitschrift“ – so lautet der Titel des 2014 erschienen Buchs von Konrad Paul Liessmann (Wien: Zsolnay). Eine Streitschrift zeichnet sich laut Wikipedia (hier nachzulesen) dadurch aus, dass sie scharfe Kritik an herrschenden Positionen unter anderem in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft übt. Sie „provoziert, sie übertreibt, spitzt zu und kann sogar beleidigen. Es geht ihr nicht um sachliche Argumentation, sondern um engagierte Parteinahme für eine Sache, um Kritik und Ablehnung […].

Diese Kriterien erfüllt das Buch und damit die Erwartung, wenn man eine „Streitschrift“ liest: Liessmann rechnet ab – mit PISA und Bologna, mit Kompetenzen und PowerPoint, mit dem Internet und der Wirtschaft, um am Ende bei der „Schönheit des Nutzlosen“ zu landen. Wer nach Rezensionen von Liessmanns Streitschrift sucht, merkt rasch: Das Buch polarisiert, was aber natürlich zum Wesen einer Streitschrift gehört: Auf socialnet. (hier) rät der Rezensent vom Lesen eher ab, auf den nachdenkseiten (hier) hofft man darauf, dass die Lektüre Lust zum Widerstand weckt.

Ich finde es völlig in Ordnung, Streitschriften auch im Bildungskontext zu verfassen – um nicht zu sagen: Ich finde sie wichtig. Eine Streitschrift ist kein wissenschaftlicher Artikel und von daher darf sie übertreiben und provozieren (siehe oben). Folglich kann ich jetzt nicht sagen: „Zeitverschwendung“, wenn man das Buch liest; trotzdem hält sich meine Begeisterung in Grenzen. Warum?

Liessmann bringt durchaus Entwicklungen auf den Punkt, die der Kritik würdig sind, wie ich finde. Was er z.B. über das Verschwinden des Gegenstands in der Bildung, teilweise auch in der wissenschaftlichen Bildung (denn der Großteil der Argumente bezieht sich – leider – auf die Schule) infolge der Kompetenzorientierung schreibt, kann ich weitgehend nachvollziehen. Seine (damit verbundenen) Hinweise auf die Grenzen von Vernetzung und Interdisziplinarität in der Hochschulbildung (S. 64 f.) liefern wichtige Impulse zum Innehalten angesichts sich verselbständigender Aufrufe etwa zu (noch) mehr Interdisziplinarität, Internationalität, Praxisorientierung etc. Auch das Bild einer „Diktatur der Geschäftigkeit“ (S. 149 f.) macht nachdenklich bzw. expliziert, was wohl viele in ihrem Alltag als Hochschullehrer und Wissenschaftler (und nur hier kann ich es beurteilen) selber spüren. Eine kritische Beleuchtung des ewigen Präsentierens (ob mit PowerPoint oder anderer Präsentationssoftware) ist nicht neu und trotzdem wichtig: „PowerPoint suggeriert, dass nun auch dem geholfen wird, der nichts zu sagen hat; und es führt dazu, dass der, der etwas zu sagen hätte, nun so agiert, wie der, der nichts zu sagen“ (S. 82) – eine einfache Diagnose, die anregt, sich Gedanken zu machen, wie man das ändern kann. Lissmanns Plädoyer für das Üben bzw. seine Kritik an der Abwertung des Übens (S. 176) kann ich ebenfalls teilen: Auch in der Hochschullehre sollte, so meine ich, neben der gezielten Rezeption wissenschaftlicher Inhalte und der produktiv-kreativen Auseinandersetzung mit Wissenschaft durch eigene Forschungsversuche das Einüben wissenschaftlicher Methoden seinen Platz haben, ohne es gleich als stumpfsinnig oder als von gestern abzuwerten.

Und trotzdem: Mit zunehmender Lektüre wurde ich müde über den Kapiteln. Und ich glaube, der Grund ist folgender: Die Streitschrift mutiert zur Schmähschrift. Eine Schmähschrift ist laut Wikipedia (hier) eine Schrift, in der sich jemand nicht nur engagiert und überspitzt zu einem z.B. wissenschaftlichen oder politischen Thema äußert, sondern auch polemisch, indem die sachliche Argumentation in der Hintergrund und gleichzeitig die Herabsetzung anderer in den Vordergrund rückt und zum eigentlichen Ziel wird. Streit mit Argumenten, auch mit leidenschaftlicher Parteinahme, wenn man dafür gute Argumente hat, das brauchen wir in der Wissenschaft und das tun wir meiner Einschätzung nach zu wenig (jedenfalls nicht mit den üblichen Peer Review-Verfahren). Polemik und Herabwürdigung dagegen bringt uns mit großer Wahrscheinlich nicht sonderlich weiter. Schade, Herr Liessmann. Ich hatte auf schlagkräftige bildungsphilosophische Argumente gehofft.

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