Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Wissensfeldchen in böhmischen Dörflein

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Die ZEIT hat im August (2015) eine neue Serie begonnen: „Wo seid ihr Professoren?“ (ganz politisch unkorrekt ohne die Professorinnen und ich fühle mich trotzdem angesprochen und finde es nicht schlimm ;-)). Die ersten vier Beiträge stammen von Bernhard Pörksen, Sandra Richter, Stefan Sinzinger und Fritz Breithaupt – alles selbst Professor/innen, die entsprechend auch ihre persönlichen Wahrnehmungen schildern. Ich hoffe, dass noch mehr interessanter Lesestoff kommt; die ersten vier Beiträge lohnen sich schon mal die Lektüre.

Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen macht aus meiner Sicht gut klar, dass und warum Professoren/innen in der Öffentlichkeit nur wenig (und in Ausnahmefällen) wahrgenommen werden (siehe hier): Es liegt (so interpretiere ich ihn) daran, dass sie ein eigenes Spiel spielen – eines, das wenige verstehen und das wenige interessiert, das aber intern mit mächtigen Regeln operiert, deren Befolgen kaum Zeit und Muße dafür lässt, noch nach rechts und links zu schauen. In den Geistes- und Sozialwissenschaften macht Pörksen dafür unter anderem das „Anreizbusiness“ verantwortlich, das als „groß angelegter Feldversuch [..] in der Welt der geistigen Güter mitunter toxische Nebenwirkungen erzeugt“. Dieses Anreizbusiness führe zu einem massiven Kulturwandel, der von einem ökonomischen Imperativ beherrscht sei. Die Ökonomisierung, so Pörksen, „setzt ein scheinbar objektives Messbarkeitsideal, das naturwissenschaftliche Exaktheitsvorstellungen als allgemeingültige Messlatte propagiert. Sie wirkt als großer Gleichmacher, weil sie die Publikations- und Organisationsformen in einen Sog der Vereinheitlichung hineinzieht und nur einen Typus von Wissenschaft begünstigt. Auf einmal zählt primär die drittmittelfähige Verbundforschung und das Genre des Spezialaufsatzes. Auf einmal wird das Antragsformat zum Anlass, sich einem Thema zu widmen – und eben nicht die aus intellektueller Leidenschaft geborene Faszination. Auf einmal wird überall gezählt, gerechnet, gewogen. Und auf einmal scheinen alle mit allen vergleichbar, weil man ihre Leistungen so scheinbar präzise messen und mit raffinierten Anreizen managen kann.“ Es geht Pörksen nicht darum, messbare Leistungen außen vor zu lassen, den Sinn von Spezialsprachen und Spezialveröffentlichungen in Frage zu stellen oder den skizzierten Typus von Wissenschaft klein zu reden. „Es geht um die aktuellen Mischungs- und Dominanzverhältnisse in der Welt der Wissenschaft. Eine produktive Intellektualität lebt von der Gleichzeitigkeit verschiedener Denk- und Schreibstile, dem Inspirations- und Irritationscharakter des Unterschiedlichen.“

So etwas mag man schnell als übliches Klagelied aus den Geistes- und Sozialwissenschaften abtun. Doch selbst in den Ingenieurswissenschaften nehmen ökonomische Entwicklungen inzwischen absurde Züge an, wie Stefan Sinzinger (Fachgebiet Technische Optik) deutlich macht und alles andere als gutheißt. Er zeigt sich in seinem Beitrag (hier) bestürzt über Auswüchse auf Tagungen (1.000 Euro zahlen, um einen Vortrag halten zu dürfen), über die zunehmende Kennzahlen-Gläubigkeit trotz deren Manipulierbarkeit, über die mangelnde Kritik und das „Mit-Spielen“ in ökonomisch getriebenen Systemen wider besseren Wissens. Seine Selbstkritik an der Wissenschaftlergemeinschaft formuliert er so: „Immer häufiger sind es gerade wir Wissenschaftler selbst, die, sei es in Berufungskommissionen, in Gutachten über Forschungsanträge oder Veröffentlichungen, Kennzahlen wie den H-Index, die Veröffentlichungszahlen, Drittmittelerträge oder Anderes auspacken, um zu argumentieren.“

Zahlengläubigkeit und fragloses Akzeptanz ökonomischer Regelsysteme sind, so meine ich, in jedem Fall gewichtige Gründe dafür, dass sich Professor/innen in gesellschaftliche Fragen/Probleme und deren Antworten/Lösungen nicht mehr direkt und nicht unmittelbar hörbar oder sichtbar einmischen. Ein weiterer Grund könnte in der Sprache, aber auch im Perfektionismus innerhalb der Wissenschaft und darin liegen, dass öffentliche Positionierungen gar nicht erwünscht sind. Pörksen umschreibt das so: „Die deutschen Geistes- und Sozialwissenschaften marginalisieren die Figur des öffentlichen Intellektuellen, der in verständlicher Sprache zeitdiagnostische Deutungsarbeit leistet, vielleicht sogar moralisch argumentiert, sich aber in jedem Fall um Wirkung bemüht.“ Der Literaturwissenschaftler Fritz Breithaupt, der Deutschland den Rücken gekehrt hat, schreibt (siehe hier): „Dem Perfektionismus verdankt Deutschland vieles: die Hochkulturen der experimentellen Naturwissenschaften, der Ingenieurwissenschaften und der Philologie. Doch wehe dem, der eine große These wagt! Das Denken in großen Zusammenhängen, das Spekulative, das Verallgemeinernde vertragen sich nicht mit dem Perfektionismus. Am liebsten werfen wir Akademiker einem Kollegen fehlende Tiefe vor, wenn er oder sie sich zu einem Gegenstand öffentlich äußert. Jeder Habilitand und Doktorand kennt die Gefahr – und wagt sich schon deshalb nicht vor. Um der harschen Kritik des fehlenden Perfektionismus von vornherein zu entgehen, beackert jeder lieber sein verschwindend kleines Wissensfeldchen.“

Wenn die Literaturwissenschaftlerin Sandra Richter (hier) darauf hinweist, dass Professoren selten Intellektuelle und Intellektuelle selten Professoren seien, dann mag das stimmen, je nachdem, was man unter einem Intellektuellem versteht. Es nimmt den skizzierten Argumenten allerdings nicht ihre Bedeutung und Berechtigung. Zudem kommt sie am Ende ihres Beitrags selber zu dem Schluss: „Professoren könnten ihrer Sache in Politik und Öffentlichkeit Gehör verschaffen, wenn sie es wie die Intellektuellen machen: unabhängig und kritisch denken und sich aufeinander beziehen“. Das müssten sie allerdings in einer verständlichen Sprache tun. Fritz Breithaupt bezeichnet die Sprache vieler Wissenschaftler/innen, die etwas zur Gesellschaft zu sagen haben (von Adorno bis Gumbrecht), als schwer verständlich und abgehoben und sieht das als Folge der herrschenden „Strafkultur“ gegen alles, was nicht perfekt ist, sowie als Ausdruck von Hilflosigkeit: „Wer ohne diesen Stil daherkommt, steht mit seinen Thesen nackt da, so die Befürchtung. Ganz anders ist das in Amerika, wo Paul Krugman, Judith Butler oder auch Noam Chomsky sehr weit außerhalb des Elfenbeinturms wahrgenommen und verstanden werden. Sie trauen sich etwas – und die Öffentlichkeit gesteht ihnen diese Rolle zu. […] Wer öffentlich mitreden will – und das sollten wir Professoren –, der muss sich trauen, jenseits der Komfortzone seines böhmischen Dörfleins zu sprechen. Und er muss anderen erlauben, es ebenfalls zu versuchen.“

Wenn Wissenschaft nur noch um Wissensfeldchen in böhmischen Dörfleins kreist, dann dürfte sich das Interesse der Gesellschaft in Grenzen halten und dann braucht man auch keine Einmischung von Professoren/innen. Es geht also nicht nur um einen irgendwie gearteten „Transfer“ wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Gesellschaft, sondern es geht um die Wissenschaft, ihre Ziele, ihre Verantwortung, ihre Arbeitsweisen, ihre Anreizsysteme etc. selbst.

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