Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Rückzugsgebiet

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Wieder mal war ich von Nikos Apostolopoulos nach Berlin zur GML2 (Grundfragen multimedialen Lehrens und Lernens) als Referentin eingeladen, wieder mal konnte ich nicht, weil wir zeitgleich an der Universität Hamburg eine Jahresveranstaltung (zum Universitätskolleg) hatten. Und er weiß: Vielleicht war es auch gut so, weil ich gar nichts zu sagen gehabt hätte? Jetzt habe ich gelesen, dass es im Nachgang zur Tagung eine Blogparade gibt – was sowas gibt es noch? Blogs, so dachte ich, seien schon out – jedenfalls kommt es mir im Twitter- und Facebook-Zeitalter so vor, wohl weil ich beides stoisch nicht verwende (und einige stimmen ja auch zu – siehe hier) und mich dabei vermutlich so fühle, wie die wiederum stoisch E-Mail ablehnenden Briefeschreiber zwei Wissenschaftler-Generationen vor mir. Übrigens: Vorbildlich ist aus meiner Sicht, die Evaluationsergebnisse zur Tagung öffentlich zu machen. Das ist mutig, denn obschon wir ja alle so gerne über Transparenz sprechen, ist es um genau die zunehmend schlechter bestellt.

Und nun auch noch das Bekenntnis der Organisatoren: Die Teilnehmer haben mehr Fragen als Antworten mitgenommen. Also ich finde das nicht schlimm – im Gegenteil: Vorträge auf wissenschaftlichen (!) Veranstaltungen, die einen mit (scheinbar) klaren (am Ende aber doch diffusen) Antworten nach Hause schicken (Erlebnisse dazu siehe z.B. hier), sollte man grade deswegen besonders kritisch hinterfragen. Aber gut, die Organisatoren wollen dem Bedürfnis nach Antworten nachkommen und fordern daher hier dazu auf, sich in eigenen Blogs (wenn man sie denn noch hat ;-)) zu folgenden Fragen zu äußern (ja, auch dann, wenn man nicht vor Ort war).

(1) Welche Methoden, Konzepte, Strategien und Technologien haben das Potential, gute digitale Lehre langfristig zu etablieren?

(2) Was sind die zentralen Hemmnisse für zukunftsträchtiges E-Learning?

(3) Welche Lehren können wir aus den gelungenen Aktivitäten ziehen, und was lernen wir aus den negativen Erfahrungen?

Also die Fragen haben es in sich.

Frage 1 scheint mir eine gewisse Ähnlichkeit zu der Anfrage zu haben, auf die ich kürzlich im Rahmen eines Impact Free-Artikels mit dem Titel „Verstetigung von Lehrinnovationen. Ein Essay“ öffentlich geantwortet habe. Daher verweise ich jetzt mal einfach auf diesen Beitrag als meine Antwort auf die Frage, welche Methoden, Konzepte, Strategien und Technologien das Potential haben, gute digitale Lehre langfristig zu etablieren.

Frage 2 nach den zentralen Hemmnissen für zukunftsträchtiges E-Learning ist verzwickt, denn: Zunächst einmal wäre ja zu klären, welches „E-Learning“ zukunftsträchtig ist. Die Zukunft liegt wohl niemals in EINER Form digitaler Lernangebote. Wir wissen nicht, was die Zukunft uns bringt, auch wenn uns der jährlich erscheinende Horizon Report für Higher Education immer wieder das Gegenteil weismachen will. Es kommt darauf an, was WIR aus der Zukunft machen, was WIR aus und mit den digitalen Technologien für die (Hochschul-)Bildung tun. Daher sträubt sich in mir alles, wenn ich in immer mehr Verlautbarungen und Empfehlungen zur „Digitalisierung“ nur mehr von (zentralen) Strategien, Profilbildungen und Positionierungen (am Bildungsmarkt) lese, denn das hört sich wenig nach Gestaltung auf der Ebene des Lehrens und Lernens, aber ganz klar nach politischer und organisationaler Steuerung an. Und nun ja, vielleicht sind ja genau das die größten Hemmnisse für zukunftsträchtiges E-Learning: die Zentralisierungswut, der Kontrollwahn, die Formalisierungsspirale, der Messmarathon. Mein Eindruck: Zu dem Zeitpunkt, an dem Hochschulen (die einen früher, die anderen später) die Digitalisierung als „strategisches Instrument“ für sich entdeckt haben, war es aus für die meisten Bottom-Up-Bewegungen und Pioniere, die im Wildwuchs und spielerisch mit verschiedensten Systemen und Werkzeugen experimentiert haben – auch (ungeschützt) im sogenannten „Echtbetrieb“ mit Studierenden, die damit live dabei waren, wenn man sich an einer kleinen Neuerung riesig gefreut hat oder am größeren Wurf grandios gescheitert ist – ohne dass übrigens Gravierendes dabei passiert wäre, im Gegenteil: Bildungschancen hat es dabei (so meine Erfahrung) stets zuhauf gegeben.

Besonders prägnant und ungeschminkt bringt das Diskussionspapier des Hochschulforums Digitalisierung von 2015 mit 20 Thesen die heute hochschulpolitisch favorisierte digitale Bildungswelt auf den Punkt: Der Wettbewerb (!) verlange nach der Digitalisierung, die gleichzeitig zur ganzheitlichen Marketingstrategie werden und den Differenzierungsprozess im Hochschulsystem voranbringen sollte, auf dass endlich neue Zielgruppen erschlossen werden und internationale Anschlussfähigkeit erreicht wird. Ja, für MICH ist das ein Hemmnis, mir ist die Lust an den digitalen Medien in so einem anti-wissenschaftlichen Umfeld ehrlich gesagt vergangen – wohl wissend, dass Rückzug jetzt nicht die beste „Strategie“ ist.

Und unversehens bin ich bei Frage 3 gelandet: Welche Lehren können wir aus den gelungenen Aktivitäten ziehen, und was lernen wir aus den negativen Erfahrungen? Gute Frage: Aus meinen eigenen gelungenen Aktivitäten im Feld der digitalen Medien (die jetzt schon ein wenig zurückliegen) habe ich gelernt, dass man dazu ein paar „Zutaten“ braucht:

erstens ein Umfeld, das einen in Ruhe lässt und vertraut, das Experimente zulässt und ein gewisses Maß an Gelassenheit an den Tag legt (versus: der Datenschutzbeauftragte ist bestimmt noch nicht eingeschalten, und gendersensibel ist das auch nicht, und überhaupt, wo ist das Diversitätskonzept, also ohne Nachhaltigkeitsmodell geht gar nichts, und wie – ein Tool aus den USA: nein, das geht nicht, aber wir haben doch Moodle, und nein, das passt ja nicht zur Policy der Kommunikationsabteilung, oh und die Logos – lass es besser …);

zweitens Mitspieler, die begeistert sind von einer Idee und etwas bewirken wollen, die mit allen zusammenarbeiten können, wenn sie denn gute Arbeit leisten (versus: wo sollen da verwertbare Daten herkommen, vielleicht ist das doch zu wenig „sichtbar“, Geld gibt´s im Moment für etwas anderes, das passt nicht in meine Publikationsliste …);

drittens Studierende, die neugierig sind auf die mögliche Vielfalt in der Nutzung digitaler Medien, keine hundert Prozent Sicherheit erwarten, sondern sich auch mal ohne Qualitätssicherungskonzept auf etwas einlassen wollen, die etwas Zeit mitbringen und nicht um jeden Credit Point feilschen müssen;

viertens bei sich selbst eine gewisse Unbekümmertheit in dem Sinne, dass man einfach mal macht, ohne selbst in all die Fallen zu tappen, die man ja bei anderen eher sieht als in Bezug auf die eigene Person, will heißen: einfach mal machen, ohne sich selbst zu misstrauen und alles kontrollieren zu wollen, ohne alles schon vorher besser zu wissen und selbst auf diverse Anerkennungsmechanismen zu schielen.

Und was habe ich aus negativen Erfahrungen gelernt? Also meine größte negative Erfahrung auf dem Gebiet der digitalen Medien habe ich genau genommen da gemacht, wo ich nur zugeschaut und mich geärgert habe. Denn: Zum einen bringt das nichts und zum anderen bleibt man in diesem Fall an der Kritik hängen, ohne Alternativen aufzeigen zu können. Daraus lerne ich, dass ich vielleicht aus meinem Rückzugsgebiet in Sachen digitale Medien langsam wieder herauskommen sollte.

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