Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Sorglosigkeit, Arroganz, Verführbarkeit

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Zu Themen, die mich über längere Zeit interessieren bzw. zu Fragen, die mich ohnehin dauerhaft beschäftigen, suche ich von Zeit zu Zeit nach neuen Beiträgen in Datenbänken, in Zeitschriften – und ja auch in Google Scholar oder Research Gate. Zu diesen Themen oder Fragen gehört unter anderem das Peer Review als eine besondere und besonders wichtige Routine, auch Haltung, in der Wissenschaft. Und so bin ich auf einen neuen Beitrag von Peter Weingart gestoßen: Vertrauen, Qualitätssicherung und Open Access – Predatory Journals und die Zukunft des wissenschaftlichen Publikationssystems.

Weingarts Lösungsvorschlag in Form eines großen Forums für die Wissenschaft finde ich jetzt weder sonderlich originell noch ist er ansatzweise ausgearbeitet. Aber seine Analyse des Problems, dass und wie die Digitalisierung und Ökonomisierung bzw. das New Public Management das Publikationssystem gerade mit der an sich nach freier Publikation strebenden Open Access-Bewegung ins Schleudern bringen, ist lesenswert. Und in der Tat: „Niemand wäre auf die Idee gekommen, dass ausgerechnet die Wissenschaft zu einer Einnahmequelle für Geschäftemacher werden könnte, aber NPM hat es möglich gemacht“ (S. 284) und dazu geführt, dass es heute zunehmend mehr Wegelagerer des wissenschaftlichen Publikationssystems gibt.

Die Praxis, für Open Access Gebühren von Autoren einzunehmen, ist gewissermaßen das Einfallstor für die neuen, sich ausbreitenden sittenwidrigen Machenschaften: Angesehene Zeitschriften werden nachgemacht, um Wissenschaftler zu locken, die möglichst schnell möglichst viel publizieren wollen und/oder müssen. Dafür wird bereitwillig Geld bezahlt, mitunter finanzieren Universtäten oder Forschungsförderer mit. Dann aber entfällt ganz oder teilweise die Qualitätskontrolle durch Peer Review, was eben auch zu der gewünschten höheren Geschwindigkeit und zu einer hohen Annahmequote führt. Selbst Impact-Berechnungen werden neu erfunden. Die Zahlen, die Weingart mit Rückgriff auf eine Studie zu diesem Thema nennt, sind durchaus alarmierend, vor allem was die Dynamik der Entwicklung betrifft.

Wichtiger aber noch erscheint mir in Weingarts Analyse die Erkenntnis, dass die Politik wie auch die Wissenschaft selbst an dieser Misere beteiligt sind: Er macht aufmerksam auf die Sorglosigkeit und Arroganz der Politik, aber eben auch auf die Verführbarkeit der Wissenschaft und darauf, dass diese relativ bereitwillig indikatorenbasierte Leistungsbewertungen übernommen hat. Die Folgen tragen Nachwuchswissenschaftler und Wissenschaftler: Da nämlich herrscht nun ein immenser Konkurrenzkampf, „in dem nicht mehr primär Ideenreichtum und innovatives Denken Kriterien des Erfolgs sind, sondern entsprechend der Leistungsmaße zählbare Produkte: in erster Linie Publikationen, die in Fachzeitschriften publiziert werden, für die wiederum Leistungs- bzw. vermeintliche Qualitätsmaße (Impact-Faktoren) verbindlich gemacht worden sind“ (S. 283).

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