Letzte Woche war ich zu einem (Online-)Vortrag auf der Arbeitstagung „Fachdidaktische Entwicklungsforschung in der Deutschdidaktik“ eingeladen, die (in Präsenz) an der Bergischen Universität Wuppertal stattfand. Auf zwei Tage verteilt gab es mehrere Vorträge und einen „Working Space“ mit verschiedenen Projekten. Mein Vortragsthema lautete: „Was macht Design-Based Research zu Forschung? Die Debatte um Standards und die vernachlässige Rolle des Designs“.
Die Einladung zum Vortrag war für mich ein willkommener Anlass, mich dem Thema Standards in bzw. für DBR endlich mal intensiver zu widmen. Nachdem ich am Tag 2 der genannten Veranstaltung die Zusammenfassung von Tag 1 mitbekommen und zudem die Chance hatte, den Vortrag von Ute Konrad zu “DBR zwischen Kritik und Akzeptanz in der Musikpädagogik – Ein Erfahrungsbericht“ zu hören, war ich ganz guter Dinge, dass meine Vorschläge für DBR-Standards relativ gut passen könnten. Denn aus beidem hatte ich entnommen: DBR hat es noch schwer in der Musikpädagogik, obschon (und das finde ich interessant) man DBR bereits in die Lehre aufgenommen habe. DBR werde oft „belächelt“ und sei der Kritik ausgesetzt, „unwissenschaftlich“ zu sein; gleichzeitig aber würden sich die Beispiele (in der Literatur etwa) mehren, in denen DBR zumindest erwähnt werde. Unsicherheit insbesondere mit der Wissenschaftlichkeit scheinen auch die anwesenden Deutschdidaktikerinnen als Erfahrung zu kennen (und in der Hochschuldidaktik ist das auch nicht anders).
In meinem Vortrag habe zunächst DBR und die generelle Funktion von Standards charakterisiert und dann hauptsächlich jeweils sechs Standrads auf der Ebene der Wissenschaftlichkeit und der Designangemessenheit vorgestellt. Klar distanziert hatte ich mich davon, die messtechnisch ausgearbeiteten klassischen Standards bzw. Gütekriterien in der üblichen Form – also Objektivität, Reliabilität, Validität – auf DBR anzuwenden. Mein Eindruck war (aber das kann freilich auch täuschen, da ich „nur“ online zugeschalten war), dass letzteres die Zuhörerinnen nicht überzeugt hat, obschon ich im Vorfeld mitgenommen hatte, dass genau hier (also im Anlegen der gleichen Messlatte an DBR wie an z.B. empirische Befragungsstudien oder Experimente) Unbehagen, Unzufriedenheit und Zweifel (zu Recht, wie ich finde) entstehen. Irgendwie hatte ich insgesamt den Eindruck, die Gruppe eher etwas verwirrt zu haben – was natürlich ganz und gar nicht meine Intention war.
Leider kann ich meinen Vortrag hier nicht veröffentlichen, da er in der Fassung, wie ich ihn gehalten habe, schon nicht mehr aktuell ist. Der Vortrag und die (leider nur recht kurze) Diskussion sowie der Austausch mit eigenen Kolleginnen und Kollegen zum Thema in der darauf folgenden Woche hat sich dann zu einem Aufsatz weiterentwickelt. Den kann ich hoffentlich bald publizieren; er wird dann auch zu Diskussionsbeiträgen einladen. Ich denke aber, Einleitung und Überblick des jetzigen Entwurfs kann ich hier (unten) schon mal vorstellen.
Was macht Design-Based Research zu Forschung? Die Debatte um Standards und die vernachlässigte Rolle des Designs
„Ich habe jetzt endlich meine Intervention, nun beginnt die Forschung“. „In meiner Untersuchung habe ich zu wenige Probanden, da kann ich gar nicht forschen“. „Mein Ergebnis löst das Problem, aber ich habe ja gar keine wissenschaftliche Erkenntnis.“ Das sind nur drei Beispiele von Äußerungen, die man so oder so ähnlich häufig hört, wenn insbesondere in Qualifikationsarbeiten (wenngleich nicht nur da) Design-Based Research – kurz DBR – praktiziert wird. Sie machen deutlich, dass sich viele unsicher fühlen, ob und inwieweit DBR wissenschaftlichen Standards genügt und gleichberechtigt neben anderen (bildungswissenschaftlichen) Forschungsansätzen stehen kann. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich vor diesem Hintergrund mit der Frage, welche Standards für DBR geeignet sind. Der Titel legt bereits nahe, dass es im Folgenden sowohl um die Wissenschaftlichkeit von DBR als auch darum geht zu klären, inwieweit Standards das Design im Forschungsprozess berücksichtigen sollten. Das Thema ist herausfordernd und führt rasch zu grundsätzlichen Fragen von Wissenschaft und Forschung, was einen einzelnen Artikel einerseits überfordert (auf Details muss entsprechend verzichtet werden), andererseits aber nicht außen vorgelassen werden kann (auf Zusammenhänge ist daher hinzuweisen). In meiner Argumentation gehe ich folgendermaßen vor:
Zunächst werde ich die zentralen Begriffe beziehungsweise Konzepte klären, die das Thema des Textes ausmachen: Ich stelle in aller Kürze die wichtigsten Charakteristika von DBR vor (Abschnitt 2.1) und beleuchte knapp Herkunft und Bedeutung des Begriffs Standard in der Wissenschaft (Abschnitt 2.2). Daran anschließend werden typische wissenschaftliche Standards erörtert, die ihre Wurzeln im Ideal naturwissenschaftlichen Forschens haben, oft aber disziplinübergreifend eingefordert werden (Abschnitt 3.1). Das führt nicht selten dazu, dass der Diskurs um Standards implizit oder explizit einen Streit um (Definitions-)Macht beinhaltet; exemplarisch lässt sich das an der Qualitativen Sozialforschung zeigen (Abschnitt 3.2). Ein Ausweg aus der typischen Streitspirale könnte die Unterscheidung von zwei Ebenen für die Bestimmung von Standards sein: eine Ebene, auf der man die Wissenschaftlichkeit eines Forschungsansatzes generell feststellt (Abschnitt 4.1), und eine Ebene, auf der man sicherstellt, dass ein Forschungsansatz seiner Spezifität, im Falle von DBR dem Design, gerecht wird (Abschnitt 4.2). Auf beiden Ebenen werde ich einige Vorschläge für DBR zur Diskussion stellen. Dabei bleiben allerdings Spannungsmomenten nicht aus: einerseits zwischen Research und Design, den beiden Begriffen, die DBR konstituieren und die sich in den beiden Ebenen spiegeln (Abschnitt 5.1), andererseits zwischen einzelnen Standards unabhängig von ihrer Ebenen-Zugehörigkeit (Abschnitt 5.2). Ein kurzer Ausblick schließt den Beitrag ab (Abschnitt 6).
Mit diesem Text möchte ich die Diskussion um Standards konkretisieren und dazu einladen, zu den hier formulierten Vorschlägen aktiv Stellung zu nehmen. Nur im Diskurs lassen sich tragfähige Standards für DBR erarbeiten, die umso wichtiger werden je mehr sich DBR verbreitet. Aktuell ist eine solche zunehmenden Verbreitung zu beobachten, was meiner Einschätzung nach ein geeigneter Zeitpunkt dafür ist, fehlende Standards nicht mehr nur zu beklagen, sondern deren Entwicklung voranzutreiben.
Danke fuer diesen guten Beitrag.
Die Diskussion wie aus Praxis, bzw. Designpraxis akademische Forschung werden kann wurde in Grossbritannien bereits intensiv in den neunziger Jahren diskutiert. Dazu wurde auch vielfältig publiziert, vor allem auch in den Publikationen der Design Research Society (DRS) die 1962 gegründet wurde.
Seit der Umsetzung der Beschlüsse von Bologna ist dieses Thema auch bei uns aktuell geworden, nachdem nun auch im Design durch Designen promoviert werden kann. Zum Beispiel an der Bauhaus Universität Weimar, Universität der Künste Berlin, Hochschule Anhalt, in Kunsthochschule Offenbach, u.v.m..
Damit das Rad hier nicht neu erfunden werden muss habe ich in einem Buch zum wissenschaftlichen Arbeiten in Kunst, Design und Architektur meine Eindrücke der praxis-basierten Forschung in diesen Feldern zusammengefasst, wie ich diese an einigen Hochschulen in Grossbritannien erlebt habe.
Ich glaube dies koennte auch fuer ihre Diskussion hier relevant sein.
Lieber Michael Hohl, das freut mich jetzt sehr, Ihren Kommentar zu lesen: Seit kurzem liegt Ihr Buch auf meinem Schreibtisch; ich habe es immerhin schon zur Hälfte gelesen und werde auch bald mal in diesem Blog darüber berichten!