Am Donnerstag und Freitag hatten wir unser (digitale) Abschlusskonferenz zu SCoRe – ein vom BMBF mit über drei Millionen Euro geförderten Projekt zum forschenden Lernen, bei dem Studierende unter Crowd-Bedingungen mit innovativen Videotechnologien zum Thema Nachhaltigkeit zusammen forschen sollen – online versteht sich. Es waren also alle Aspekte vertreten, die in der aktuellen Hochschullandschaft als bedeutsam eingestuft werden. Das Verbundprojekt verfolgt(e) noch dazu einen Design-Based Research-Ansatz, mit dem Erkenntnis mittels Entwicklung bzw. Design gewonnen werden soll, was methodisch ebenso herausfordernd wie interessant ist. Dieser Blogbeitrag ist eine gemeinsame Reflexion des im März 2022 endenden Projekts von Frank und mir anlässlich der genannten Veranstaltung, welche die Abschlussphase des SCoRe-Projekts einleitet.
Angesichts der vielen passenden Stichworte und Innovationspotenziale haben wir 2018 unsere Erwartungen im Antrag recht optimistisch formuliert. Vielleicht ein wenig vollmundige haben wir auch die Vision von einem „Forschungsstrom“ entworfen, den wir durch intelligente Verbindungen der oben genannten Aspekte im Kontext der Virtuellen Akademie Nachhaltigkeit umsetzen wollten.
Und ja, das Projekt hat uns alle sehr weit aus unserer psycho-sozialen Komfortzone geholt: (a) Es gab zum Start keine „Didaktik der Crowd“, also keine Antworten auf die Frage, wie man (sehr) viele Studierende bei der asynchronen Zusammenarbeit durch Technologie unterstützt und durch direkte Hilfen unterstützen darf. (b) Es gab auch noch keine Lösung dafür, wie man forschendes Lernen konzipiert, wenn man dessen Definition sozusagen sprengt, weil Studierende nicht den ganzen Forschungszyklus durchlaufen, sondern nur (wenige) Unterphasen eines Teilzyklus. (c) Auch hatten wir keine Vorstellung davon, wie man 360-Grad-Videotechnologien und Social Video Learning didaktisch einbetten muss, damit Studierende nicht nur „die Kamera draufhalten“, sondern Videografie als Forschungsinstrument zum Sammeln von Daten und Aushandeln von Perspektiven verstehen. (d) Schließlich wussten wir am Anfang auch nicht, wie wir das Megathema Nachhaltigkeit so herunterbrechen, dass Studierende aller Disziplinen in einen interdisziplinären Dialog treten. (e) Letztendlich hatten wir zum Teil wohl auch naive Vorstellungen davon, wie man all diese Aspekte des Nichtwissens in die Struktur eines DBR-Prozesses bringt, ohne dabei die Meilenstein- und Abrechnungsmodalität des BMBF zu ignorieren. Dass auch noch eine Pandemie genau in den Projektlaufzeit legt und an mehreren Enden ganz neue Rahmenbedingungen schafft, kam noch oben drauf, ohne dass man dies freilich je hätte vorhersehen können. Kurzum: Das SCoRE-Projekt hat(te) es in sich!
Die Abschlusstagung hat dann aber doch gezeigt, dass wir etwas geschafft haben (siehe auch hier)! Da sind erstens neue Konzepte im Kontext des forschenden Lernens entstanden, die auf elementare Prozesse reduziert und in Richtung Forschendes Sehen weiterentwickelt wurden. Zweitens wurden im Projekt zahlreiche Text- und Video-Anleitungen zur Orientierung und Unterstützung innerhalb der Phasen und Aktivitäten erarbeitet. Drittens haben wir neue Assessment-Formate entwickelt, welche dem komplexen Lernprozess gerecht werden können. Viertens sind Evaluationskonzepte und Log-Technologien entstanden, die Lernspuren sammeln und darstellen können. Schließlich steht (wie geplant) die Lernumgebung „SCoRe-Docs“, mit der eine asynchrone Online-Zusammenarbeit mit Text, Bild und vor allem Videotechnologien ermöglicht wird.
Auf der Tagung haben auch viele von uns aus dem Verbund in Gesprächen festgestellt, dass wir nach drei Jahren nicht am Ende sind (und damit meinen wir nicht nur die noch verbleibenden rund 5 Monate), sondern im Grunde erst am Anfang stehen, denn erst so langsam verstehen wir, an welchen Elefantenrüsseln, -beinen und -schwänzen (siehe hier) wir uns tastend bewegt haben. Ehe das Neue in die Welt kommt, muss man die Grenzen dessen erfahren, was man bisher für wahr gehalten hat.
Frank und ich, die wir die Grundidee zu diesem Projekt „in die Welt gesetzt hatten“, gehen mit zweigeteilter Meinung in die Projektendphase (und bald aus dem Projekt): Zum einen sind wir beide sehr dankbar, auf Menschen getroffen zu sein, die verschiedene Auffassungen von Didaktik vertreten. Dadurch wurde der Blick für Konzepte frei, die weniger den Einzelnen, als vielmehr das Kollektiv in den Blick nehmen und auch die Rolle von Steuerung in einem erweiterten Problemlöseraum in Richtung Gesellschaft neu denken. Das hat Folgen für das Verständnis von Wissenschaft, für die Qualität von Bildungsprozessen – und zwar bei Lehrenden und Lernenden – und es hat Folgen für die Technologien, denen wir ja immer auch eine Idee von Bildung einhauchen (wollen). Zum anderen sind wir beide aber auch enttäuscht, und zwar über das Verfehlen unserer sicher hehren Ziele (siehe oben): Wir wollten einen „Forschungsstrom“ als Outcome, haben aber nur einen „Forschungsrinnsal“ geschafft, zumal dieses Rinnsal auch noch als Beleg für das prinzipielle Funktionieren des Konzepts herhalten soll (oder muss).
Was antworten wir auf die Frage, warum wir für SCoRe nur so wenige Studierende gewonnen haben und beglücken konnten? Man ist schnell versucht, das auf die Nichtpassung der universitären Strukturen für solch innovativen Konzepte zu schieben. Und sicher ist das auch nicht ganz falsch. Aber man macht es damit doch auch zu leicht, denn: Zum einen ist das eine gewisse Selbstimmunisierung gegenüber Kritik, zum anderen verdeckt man hier die Chance, wirklich konsequent vom „Forschungsstrom“ bzw. von einer der Vision her zu planen. Wenn wir heute nochmal starten würden, dann wäre die erste (notwendige!) Bedingung die, dass man wirklich viele Studierende in eine forschungsähnliche Aktivität gewinnt. Und damit klar ist, wovon wir sprechen: Es sollten definitiv mehrere 100, ja vielleicht 1000 Studierende sein, denn dann brechen all unsere Routinen zusammen, die wir aus der bisherigen Didaktik kennen.
Eine solche (Selbst)Steuerung „der Vielen“ könnte man über virtuelle Raum- und Rollenkonzepte organisieren, also Räume mit bestimmten Arbeitsaufträgen und Prozessregeln, in denen dann Personen mit bestimmten Hüten aktiv sind. All das hatten wir in der SCoRe-Ideenphase im ersten halben Jahr schon ausgearbeitet (z.B. hier), haben es aber dann unseres Erachtens viel zu früh verworfen. Warum? Weil wir „Raum“ vielleicht zu eng gedacht haben. Schaut man sich heute virtuelle Räume wie die Plattform Gather oder die Umgebung an, auf der wir unsere SCoRe-Tagung gemacht haben, dann sieht man, dass sich dort eine Vielzahl von Teilnehmenden selbstorganisiert tummeln und via Video-Chat austauschen, und man sieht auch, wo sie sich tummeln, was ungemein motivierend ist und die visuelle Koordination erleichtert, worauf auch Georg Müller Christ bei seiner Begrüßung verwies. Natürlich ist das nicht DIE Lösung für das Problem, wie man forschendes Lernen der Vielen mit Video zum Thema Nachhaltigkeit organisiert, aber es wäre ein anderer Zugang gewesen, Räume neu zu denken, was uns in Kombination mit der 360-Social Video Learning in ein anderes Raum-Fahrwasser gebracht hätte.
Aber wie sagt man so schön: Was nicht ist, kann ja (vielleicht) in Zukunft noch werden.
Ein Gedanke zu „Das Neue in die Welt holen“