Prüfungen an der Universität sind eine alltägliche Aufgabe und selbstverständlich für jeden Hochschullehrenden. Daneben gibt es viele, auch fachkulturelle, Traditionen zum Prüfen, die nicht selten implizit bleiben. Diskussionen zum Thema Prüfen beschränken sich oft auf prüfungsrechtliche Fragen. Neue Herausforderungen wie das Prüfen ohne physische Präsenz, wie wir sie im Zuge der Pandemie bewältigen müssen, schärfen neben aller Geschäftigkeit zur Lösung von Adhoc-Problemen nun aber das Bewusstsein auch für grundsätzliche Fragen zum Prüfen: Was tun wir eigentlich genau, wenn wir prüfen? Wie gut erfassen wir Leistungen und woran messen wir sie? Welche Typen und Arten des Prüfens lassen sich unterscheiden? Welche Gestaltungsräume tun sich innerhalb eines Prüfungstypus auf? Erweitert oder begrenzt die Digitalisierung diesen Spielraum? Inwieweit können und wollen wir langfristig unsere Prüfungskultur ändern? Geben uns die Erfahrungen aus der Pandemie für einen Wandel auch beim Prüfen neue Impulse?
In diesem Sinne waren Prüfungsgestaltung und -kultur gestern Thema in Wissenschaftsdidaktik im Gespräch – einem Angebot für Professorinnen und Professoren, das ich an der UHH seit einigen Jahren mache. Derzeit setze ich das natürlich immer noch online um und zwar begrenzt auf 90 Minuten. Für intensive Diskurse ist das freilich zeitlich viel zu knapp, aber mein Eindruck ist: Impulse geben kann man allemal, und ein Austausch zwischen Vertreterinnen verschiedener Disziplinen und Fächer lässt sich ebenfalls anregen. Zehn Personen aus Natur-, Ingenieurs-, Erziehungs-, Sozial- und Geisteswissenschaften haben teilgenommen. Ich hatte – aufgeteilt in drei Teile – kleine Impulse dabei; diese habe ich nun zu einem Video zusammengestellt, das man hier abrufen kann. Eingeflossen sind auch Überlegungen, wie ich sie bereits bei einem Beitrag für das Hochschulforum Digitalisierung angestellt habe.
Die verschiedenen Beiträge aus der Gruppe zeigten – nicht überraschend –, dass deutlich unterschiedliche Prüfungskulturen in verschiedenen Fachwissenschaften gelebt werden. Umfang und Stellenwert von „Prüfungen mit Rechtsfolgen“ (oder: Assessment for Certification“) werden zum Beispiel durchaus unterschiedlich bewertet. Mein Eindruck war auch, dass es Unterschiede in der Einschätzung gibt, wie viel Spielraum unter anderem prüfungsrechtlich derzeit schon besteht oder wie restriktiv das Prüfungsrecht die didaktische Kreativität bei der Prüfungsgestaltung wirkt. Wer in das Video schaut, wird sehen, dass ich einen heuristischen Vorschlag für mehr Prüfungsvarianz mache, ohne dass man eine lange Liste an festen Prüfungstypen oder -formen brauchen. Ich bin mir aber unsicher, ob ich den Zweck dieser Heuristik gut habe vermitteln können: Wissenschaftlerinnen tendieren dazu, in solchen Fällen, schnell die Reviewer-Rolle einzunehmen anstatt einen Vorschlag als Denkimpuls zu verwenden – ein, im Vergleich zu Erfahrungen mit anderen Teilnehmerkreisen, besonderes Zielgruppen-Phänomen (und da nehme ich mich selber auch überhaupt nicht aus ;-)), würde ich sagen.
Ich nehme aus den Diskussionen trotz ihrer zeitlichen Begrenzung immer viel mit: Die disziplin- oder fachkulturellen Gewohnheiten zumindest ansatzweise kennenzulernen und in der hochschul- oder wissenschaftsdidaktischen Arbeit zu berücksichtigen – das wird in seiner Relevanz wohl nach wie vor unterschätzt