Erst jetzt bin ich auf einen kurzen Beitrag (hier) von Hans Brügelmann aufmerksam geworden, mit dem er ein „offenes Forum“ zu bildungswissenschaftlichen Themen (Titel: Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung kontrovers) anstößt und auf diesem Wege eine Alternative zu anonymen Peer Review-Verfahren anbietet. Das Forum (leider etwas versteckt eingebettet in das Pädagogische Journal) soll die Möglichkeit bieten, auch Minderheitenmeinungen zu diskutieren, „insbesondere von Manuskripten und Förderanträgen, die in Peer-Review-Verfahren abgelehnt worden sind“. Na ja, da wäre ich ja ein geeigneter Kandidat, der das Forum allein füllen könnte. 😉 Aber entweder es geht wenigen so wie mir (was nicht anzunehmen ist) oder es traut sich keiner (was schon wahrscheinlicher ist). Gestartet im Spätsommer 2008 hat das Forum bis jetzt nämlich keinen großen Zulauf finden können: Lediglich ein Beispiel findet sich dort – eines, das aber gut die Probleme des Peer Reviews aufzeigt und vor allem eine große Lernchance für Autoren bieten könnte – wenn denn auch diskutiert werden würde.
In seinem Zweiseiter fasst Brügelmann knapp, aber sehr deutlich die Gründe für seine Initiative zusammen. Dabei macht er vor allem auf die Schwierigkeit aufmerksam, Minderheitenmeinungen einen Platz zu geben. Das formuliert er so: „Sucht man kompetente Peers, werden in der Regel lang gediente VertreterInnen einer Fachdisziplin angefragt, die meist etablierte Positionen vertreten. Für sie aber ist die Versuchung groß, konkurrierende Minderheitenmeinungen klein zu halten. In der Jurisprudenz spricht man zu Recht von „herrschender Meinung“ – in einem doppelten Sinn: Sie prägt über Gerichtsurteile die soziale Wirklichkeit und sichert zudem mit der Ausbildung des Nachwuchses die zukünftige Deutungshoheit über eben diese Wirklichkeit. Diese Mechanismen werden auch bei der Förderung von Projekten durch Stiftungen oder durch die DFG wirksam.“
Ich habe mich mit Hans Brügelmann in Verbindung gesetzt, weil mich interessiert, wie er es sich erklärt, dass ein so wichtiges Angebot keine Resonanz findet: Ist die herrschende Meinung bereits zu stark? In diesem Zusammenhang ist übrigens noch ein anderer Beitrag von Uwe Laucken höchst interessant, obschon er fast 10 Jahre alt ist. Unter dem Titel „Qualitätskriterien als wissenschaftspolitische Lenkinstrumente“ arbeitet er für die Psychologie heraus, wie die herrschende Meinung (in dem Fall die Meinung, das Heil liege im naturwissenschaftlichen Paradigma) nicht nur das Denken und Handeln in der Wissenschaft, sondern auch das in Öffentlichkeit und Alltag beeinflusst. Dabei geht es zwar primär um Evaluation und Qualitätskriterien in der Wissenschaft, was aber aber natürlich in einem engen Zusammenhang zu Peer Reviews zu sehen ist. Der Beitrag ist etwas länger – die Lektüre aber lohnt sich!
Sehr interessant, mal zu sehen, wie ein Verfahren, das eigentlich den Standard einer Wissenschaftlichkeit v.a. auf methodologischer Ebene in unserem Wissenschaftssystem dazu mutiert, innovative Problemlösungen und einen Fortschritt im Denken zu verhindern. (Erinnert mit an Thomas S. Kuhns „Wissenschaftliche Revolutionen …“).