Curriculumentwicklung – das klingt im Rahmen der Didaktik selbstverständlich. Man sollte also wissen, was das heißt. Ist das so? Im April werde ich eine dreitägige Veranstaltung zur Curriculumentwicklung anbieten. Es ist klar, dass ich mich da nicht darauf verlasse, schon zu wissen, was alles dahintersteckt. Der Beginn der Planung besteht also darin, erst mal das Feld für diese Veranstaltung inhaltlich abzustecken – und ja, noch VOR den Zielen. Nach meinen Recherchen hat sich meine Vermutung erhärtet, dass speziell im Kontext Hochschule keineswegs klar ist, was jemand meint, wenn er Curriculumentwicklung sagt.
Schlagwort: Studienganggestaltung
Pendelblick (12): Rebellierendes Wissenschaftlerherz
Nein, ich habe das Pendeln nicht eingestellt, sondern nur den Blick in den letzten Wochen einfach aus Zeitmangel schlecht zurückwerfen können. Die Studierenden an der ZU haben ihre Vorlesungszeit schon beendet und stecken tief in den Prüfungen. Und ich steck(t)e in vielen Gremien sowie Diskussionen und Entscheidungen im Zusammenhang mit Änderungen in mehr als einem Studiengang. Programmentwicklungen an mehreren Stellen gleichzeitig waren mir an der Universität Augsburg (2001 bis 2010) noch unbekannt; meine bzw. unsere Arbeit konnte sich auf einen Studiengang konzentrieren. In München (2010 bis 2013) bekam ich in meiner Zeit als Studiendekanin eine erste Ahnung davon, was es heißt, mehrere Änderungen in Studienprogrammen und deren Konsequenzen im Blick zu behalten. In meiner jetzigen Funktion an der Zeppelin Universität (ZU) seit September 2013 potenziert sich das gerade. Das ist deswegen einigermaßen herausfordernd, weil die Gestaltung bzw. Anpassung von Studiengängen grundsätzlich eine komplexe Angelegenheit ist. Warum?
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Pendelblick (8): Alles im Fluss
Das Pendel schlägt direkt vom siebten zum achten Blick 😉 … Zeitnot als Dauerproblem. Auch diese Woche gäbe es viel zu berichten, aber ich bleibe dabei, einen wöchentlichen Fokus zu setzen. Diese Woche liegt mein Fokus auf den „Programmdirektoren“ an der Zeppelin Universität (ZU), also bei denjenigen Mitarbeitern, die aus meiner Sicht besonders gut repräsentieren, was seit einiger Zeit als „Third Space“ an Hochschulen diskutiert wird – einem Schnittfeld aus akademischen und administrativen Aufgaben.
Programmdirektoren sind an der ZU promovierte Mitarbeiter, die sich um die Gestaltung und Koordination der Studienprogramme (Bachelor und Master) kümmern. Das tun sie zusammen mit den Wissenschaftlern aus den Programmen, wobei es nun seit kurzem auch „Akademische Programmleiter“ gibt, die als Sprecher der Wissenschaftler pro Programm fungieren. An anderen Universitäten setzt man ebenfalls zunehmend Koordinatoren ein, um die oft komplexen logistischen Herausforderungen insbesondere der Umsetzung von (miteinander verzahnten) Studienprogrammen zu meistern: Räume, Zeiten, Lehrbeauftrage, Verteilung von Lehrdeputaten der Profs und wissenschaftlichen Mitarbeitern etc. – das verursacht großen Aufwand, erfordert eine exakte Planung und verringert fast notgedrungen (manchmal zum Leidwesen der Studierenden) die Flexibilität, die man früher hatte, verhindert aber auch das Chaos, das früher ebenfalls an der Tagesordnung war.
Sich selbst ein Rätsel
In der aktuellen Ausgabe von Forschung und Lehre beschreibt und deutet der Soziologie-Professor Stefan Kühl die enorme Komplexitätssteigerung bei der Gestaltung von Bologna-Studiengängen. Dabei verwendet er eine einleuchtende Analogie: Das Sudoku-Rätsel. Dankenswerter Weise findet sich auf der Web-Seite von Stefan Kühl ein längeres Arbeitspapier zu diesem Thema, nämlich hier. Anbei die vorangestellte Zusammenfassung:
„Als „Sudoku-Effekt“ wird bezeichnet, wenn durch die Verknüpfung verschiedener vorgeschriebener Programmformen der Charakter einzelner Elemente festgelegt wird. In diesem Arbeitspapier wird argumentiert, dass bei der Konzeption von Studiengängen durch die vorgeschriebene Kombination von jeweils in Leistungspunkten ausgedrückten Profilen, Modulen, Veranstaltungen und Prüfungsformen die Anforderungen einer Zahlenarithmetik die inhaltlichen Überlegungen zu den Studiengängen überlagern. Die Dauer-Reform von Studiengängen im Rahmen des Bologna-Prozesses lässt sich damit erklären, dass die durch den Sudoku-Effekt produzierten Studiengänge den alltäglichen Anforderungen eines Studiums nicht mehr gerecht werden. Die permanenten informellen Abweichungen von den Studiengangstrukturen werden deswegen zum Anlass genommen, diese immer wieder zu reformieren. mit dem Lösen eines Sudoku-Rätsels verglichen.“
Ich kann der Analyse von Kühl nach meinen teilweise absurden Erfahrungen zur Studienganggestaltung an zwei Universitäten nur voll und ganz zustimmen: Man beginnt mit inhaltlichen Überlegungen und endet beim Zusammenrechnen von Punkten, verschiebt und tauscht Module und Veranstaltungen so lange aus, bis man bei der magischen Zahl 180 (Bachelor) bzw. 120 (Master) ist, und freut sich am Ende wie ein Buchhalter, wenn die Summe stimmt. Kühl ist darüber hinaus zuzustimmen, wenn er feststellt: „Kein Studiengangplaner eines Masters setzt sich hin und überlegt, wie er die Wahlmöglichkeiten für Studierende möglichst auf null reduzieren kann. Keine Arbeitsgruppe zur Studienreform entwickelt bewusst Strategien, um Studierenden im Rahmen ihres Studiums möglichst viele Kontakte zum Prüfungsamt zu ermöglichen. Kein Dekanat bringt bewusst eine Kurzbeschreibung eines Studienganges in die Fakultätskonferenz ein, die so kompliziert ist, dass die Details nur noch von den Spezialisten in der Studienberatung verstanden werden können.“ Die genannten und noch viele andere Effekte sind bittere Nebenwirkungen, die neue Probleme hervorrufen, für die man wieder neue Lösungen und Regeln braucht, die die Modulhandbücher dicker und dicker werden lassen.
Ein wichtige Ursache für die Komplexitätsexplosion sieht Kühl darin, dass immer mehr Ebenen in die Bologna-Studiengänge eingezogen wurden: Gab es vor Bologna die Ebenen Profile, Veranstaltungen und Prüfungen, haben wir heute Profile, Module, Veranstaltungen, Prüfungen und Leistungspunkte. Alles soll flexibel gestaltet sein, aber am Ende bitteschön exakt zusammenpassen. An sich hätte man durch reines Nachdenken schon die später empirisch nachweisbaren chaotischen Folgen vorhersehen kennen. Ich bin seit einiger Zeit Studiendekanin und Verantwortliche einer Studiengangkoordination, aber ohne Blick in FPO und Modulhandbücher komme ich immer noch nicht aus. Selbst die Umsetzung eigener Gedanken in diesem Gestrüpp kann einem ein paar Monate später ein einziges Rätsel sein.
Am Ende erweist sich vor allem das System ECTS nicht nur als besonders komplexitätssteigernder Faktor, sondern auch als ein Faktor, der die inhaltliche Komplexität eines Studiengangs schlicht ignoriert. Kühl formuliert das in seinem Arbeitspapier so:
„Die Anzahl von Modulen, die Zuweisung von Prüfungen zu den Modulen, die Bewertung von Modulen, Veranstaltungen und Prüfungen mit Leistungspunkten wird immer wieder verändert, um am Ende irgendwie genau auf die 180 und 120 Leistungspunkte zu kommen. Wenn man nur ausreichend verschiebt, modifiziert und neuberechnet, dann geht es am Ende irgendwie auf. Bloß: Genauso wie beim Sudokurätsel die Anordnung der Zahlen zwischen eins und neun letztlich willkürlich ist und nur durch die notwendige Vernetzung mit anderen Zahlenreihen begründet ist, wird dann auch die Anordnung von Modulen, Veranstaltungen und Prüfungen in Studiengängen häufig am Ende nur noch durch die durch die Leistungspunktlogik definierten Konsistenzanforderungen getragen.“
Das Schlimmste aber ist: Man spielt das mit! Man muss es mitspielen, wenn man nicht sein Amt abgeben will. Denn: „Dass das mit den Leistungspunkten stimmt, damit wir akkreditiert werden“ (so ein Satz, den ich in den letzten Jahren und Monaten sehr oft gehört habe) ist oberstes Credo der aus dem Boden sprießenden Stellen für Qualitätsmanagement und Evaluation, die sich zusammen mit dem Controlling und der Verwaltung von Drittmitteln längst zur eigentlichen Hochschulleitung gemausert haben. Dies ist denn auch ein Element des bürokratischen Teufelskreises, den Kühl wie folgt beschreibt: „Die Schaffung von immer mehr Regeln und die Zentralisierung von Entscheidungen an der Spitze der Organisation führe nicht nur zu Frustration, Distanzierung und Teilnahmslosigkeit bei den betroffenen Personen, sondern auch zu vielen wildwüchsigen lokalen Anpassungen. Auf diese reagiere die Organisationsspitze dann mit dem einzigen Mittel, das ihnen zur Verfügung steht: Mit dem Erlass neuer Regeln.“ Stimmt! So beobachte auch ich das. Was tun? Kühl empfiehlt die „Abschaffung sowohl der verpflichtenden Abbildung aller Veranstaltungen und Prüfungen in Form von Modulen als auch der verpflichtenden Berechnung aller Veranstaltungen, Prüfungen, Selbststudiumsphasen und Praktika in Leistungspunkten.“ Ich meine, die Abschaffung von Leistungspunkten, die nachweislich (auch meiner Erfahrung nach) ohnehin keiner realen Zeitinvestition entsprechen, würde die schlimmsten Probleme beseitigen und immerhin schon mal den Weg vom Sudoku-Rätsel zum semantisch nachvollziehbaren Kreuzwort-Rätsel ermöglichen.
Lieber am Badesee
Freitag Nachmittag bei weit über 30 Grad – das ist eher keine Zeit, zu der man sich einen Vortrag anhören möchte. Dennoch waren einige interessierte Zuhörer/innen da, als ich gestern im Rahmen der Friday Lectures – organisiert vom Center for Teaching and Learning der Universität Wien – einen Vortrag zur Studienganggestaltung gehalten habe. Es gab im Anschluss zwei Kurzvorträge von Ko-Referenten zum Thema – zum einen von Herbert Hrachovec, Vorsitzender der Curricularkommission des Senats der Universität Wien, sowie von Christian Brandstätter, einem Studierenden der TU Wien. Moderiert hat Martin Bernhofer vom ORF/Ö1. Das Format hat mir gut gefallen: Eine kurze Einführung, ca. 30 Minuten Vortrag, zweimal ca. 10 Minuten Ko-Referate, zu denen ich dann Stellung genommen habe, und schließlich eine allgemeine Diskussion. Alles wurde als Audio aufgezeichnet, sodass Interessierte, die bei ca. 36 Grad lieber einen Badesee aufgesucht haben, dennoch mitbekommen, wie die eineinhalb Stunden liefen. Hinterher haben ich zwei Studierenden noch ein Interview gegeben.
Interessant an der Diskussion war für mich, dass es in Österreich keine Akkreditierung von Studiengängen gibt, was sich aber ändern soll. Man kann nur hoffen, dass man aus den in dieser Hinsicht schon begangenen Fehlern (in anderen Ländern) lernt. Ob meine Grundidee, die Studienganggestaltung endlich auch wieder als eine didaktische und nicht mehr bloß logistische Herausforderung zu sehen, wirklich angekommen ist, das weiß ich nicht so genau. Letztlich landeten wir nämlich doch wieder bei den hochschulpolitischen Problemen, bei denen wir als Hochschullehrer nicht unmittelbar und in Eigenregie richtig tätig werden können, um zu Lösungen zu kommen.
Hier nun der Vortrag zum Nachlesen (für die, die lieber lesen als zuhören):