Diese Woche ist gekennzeichnet vom „Bildungsstreik“ – oder er soll es zumindest sein. Schüler/innen und Studierende sind gleichermaßen aufgerufen sich zu beteiligen. Ist das gut oder bringt es nichts? Überfällig oder überflüssig? Ein paar Stichpunkte, welche Gedanken zumindest mir durch den Kopf gehen – eine kleine „positiv-negativ-Stichwortliste“ (subjektiv und vorläufig):
Positiv: es werden endlich lauter Meinungen artikuliert und die ersten Unis reagieren nicht mit Verboten (anders als Schulen) – treffende Sprüche wie „Bachelor und Banker statt Dichter und Denker“ (Quelle hier) – neben Studienbedingungen werden auch Lehrbedingungen aufgegriffen, z.B. schlecht bezahlte Lehraufträge und prekäre Lebensverhältnisse vieler Nachwuchswissenschaftler (erwähnen könnte man auch mal die erhebliche Absenkung der Grundgehälter von Professoren mit der W-Besoldung, bei der ich mich frage, warum die gleiche Arbeit plötzlich weniger wert ist als früher) – klare Forderungen nach mehr Investitionen in Bildung und eine sinnvoll Verteilung derselben – sogar in Bayern soll es Proteste geben (laut GEW)
Negativ: einige Argumente klingen mir ein bisschen zu viel nach „Klassenkampf“ (das ist dann doch eher von vorgestern) – (noch) wenig Beteiligung – pauschale Forderungen etwa nach Wegfall von Zulassungsbeschränkungen an Hochschulen (das wird nirgendwo die Bedingungen verbessern: wie soll das gehen?) – Behauptungen dahingehend, dass früher alles besser war (das sehe ich nicht so!) – einige Passagen aus einem Interview von Martin Paul, Professor am Lehrstuhl für Klinische Pharmakologie und Dekan der Fakultät für Medizin und Lebenswissenschaften an der Universität Maastricht, z.B. der Satz „In den Niederlanden … werden die Studenten als echte Kunden begriffen“, was wenig hilfreich dafür ist, die Bildungsbedingungen zu verbessern: Die Gleichsetzung von Lernen und Lehren mit wirtschaftlichen Transaktionen ist aus meiner Sicht falsch und einer der Gründe für die aktuelle Lage.
Stichwort »Kundenorientiertung«: Durch den Neoliberalismus und die damit verbundenden Diskussionen in den letzten Jahren hat der Begriff eine Bedeutung bekommen, die ihn nur noch schwer benutzbar macht. Aber ich kann mir gut vorstellen, was ein Niederländer damit eventuell zum Ausdruck bringen wollte. Dazu eine kurze Geschichte:
Meine Schwester ist niedergelassene Tierärztin in Irland. Sie lebt dort seit vielen Jahren glücklich mit ihrer Familie. An Ihr Studium in Deutschland hat sie viele schöne Erinnerung, allerdings auch eine ganz besonders negative an ihre erste Vorlesung, die Einführungsveranstaltung. Da hatte sich ein Professor vor den jungen Menschen hingestellt und ihnen gesagt, dass sie sich noch einmal gut umsehen sollten, denn nach dem Grundstudium würde nur noch jeder Dritte von Ihnen mit dabei sein. Für meine Schwester war das wie ein Schlag ins Gesicht.
Kürzlich hatte sie nun eine befreundete deutschen Familie dabei unterstützt, für die Tochter einen Studienplatz in Dublin zu bekommen. Die junge Frau hatte sich gleichzeitig in Deutschland und in Dublin beworben und so konnte man gut sehen, wie unterschiedlich man behandelt wird. Um es kurz zu machen: Die Uni in Dublin gab einem das Gefühl, willkommen zu sein, es war eine Form des wertschätzenden Umgangs, in dem beispielsweise die Verwaltung sehr viel Unterstützung geleistet hat, um eine Anmeldung und ein Leben in Dublin zu ermöglichen.
Beim Umgang mit den deutschen Hochschulen erfährt man selten diese Form des wertschätzenden Umgangs, zumindest hat es die befreundete Familie nicht erfahren. Und meine Schwester fühlte sich wieder an ihre erste Uni-Vorlesung erinnert, was ein ziemlich starker Kontrast zum Erlebnis mit der Uni Dublin gewesen ist.
Vielleicht ist dieser wertschätzende, unterstützende Umgang das, was Martin Paul mit dem Begriff »Kunde« zum Ausdruck bringen wollte.
Herzliche Grüße
-Tim
Hallo Tim, danke für deine Ergänzung. Natürlich weiß ich in der Tat nicht, was Martin Paul genau mit „Kunde“ gemeint hat, insbesondere zeigt dein Beispiel, dass man fragen muss: „Kunde von wem?“. Immer dann, wenn es um echte Dienstleistungen an der Hochschule geht (und da würde ich z.B. die Bibliothek und die Verwaltung sowie das Rechenzentrum dazuzählen), dann mag der Begriff tatsächlich unproblematisch sein. Dass wir hier von anderen Ländern lernen können, bestreite ich nicht. Sobald es aber um das eigentliche Kerngeschäft, um Lernen und Bildung geht, ist die Kundenmetapher aus meiner Sicht ein echtes Problem, weil es völlig falsche Erwartungen weckt. Es ist ein Problem nicht nur für die Lehrenden, sondern eben auch für die Studierenden selbst.
Gabi
Stimmt, das »Kunde vom wem?« muss geklärt sein. Und ich vermute, dass du mit der Kunden-Metapher auch so etwas wie eine Monetarisierung oder Ökonomisierung des Bildungssystems verbindest. Da bin ich dann aber wahrscheinlich mindestens so kritisch wie ich deine Position dazu einschätze. Mir ging es in meinem Kommentar eher darum, dass einige Verwaltungen und in manchen Fachbereichen auch die Lehre durchaus etwas mehr Empathie für die Belange der Studierenden entwickeln könnte.
Ohne Martin Paul weiter zu kennen, interpretiere ich seine Aussage eher in diese Richtung. Der zweite Satz seiner Aussage macht das meiner Meinung nach deutlich: »In den Niederlanden dagegen werden die Studenten als echte Kunden begriffen. Wir ziehen als Universität durch die Länder um die Studierenden an unsere Universität zu locken.«
-Tim