Zum Thema „Gute Noten“ an der Universität, das derzeit (wieder mal) durch die Medien (z. B. Spiegel, aber auch: Forschung und Lehre etc.) geistert, muss ich mich jetzt auch mal äußern. Im Moment ist es ja en vogue, in diese generelle Kritik einzustimmen und (pauschal) zu fordern, dass die gesamte Notenskala an der Uni ausgeschöpft wird. Fakt ist ja denn auch in der Tat, dass vor allem in bestimmten Disziplinen und Fächern (Geisteswissenschaften und eine Reihe von Sozialwissenschaften) die Noten sehr gut, auf jeden Fall sehr viel besser als beispielsweise in den Naturwissenschaften, in der Medizin oder – zumindest in einigen Kursen – der BWL. Dass also da was nicht stimmt, und dass man mal genauer betrachten sollte, woran das liegt, ist richtig! Aber man schaut eben nicht genau hin. Ich meine nämlich, es gibt verschiedene Gründe für gute Noten und diese sind unterschiedlich zu bewerten.
Zunächst zu den Gründen von „zu guten Noten“, die ich auch gerne verbannen möchte: Grund Nummer 1, der verwerflich ist: Ein Dozent gibt pauschal gute Noten, um sich das Leben einfacher zu machen. Da kommt es dann schon mal vor, dass Studierende bemerken, dass der Dozent die Hausarbeit gar nicht gelesen haben KANN, weil nämlich im Copy-Shop ein Malheur passiert ist und etliche Seiten zusammenkleben (obschon man auch da sagen muss: Es gibt unter Hochschullehren inzwischen auch solche, die unter extremer Überlastung leiden und solche Reaktionen dann schlichtweg hilflose Versuche sind, einem Herzinfarkt zu entgehen). Grund Nummer 2, der verwerflich ist: Ein Dozent hat Angst vor schlechten Evaluationsergebnissen, die ihm seine Studierenden verpassen könnten, wenn er sie mit hohen Anforderungen und der damit verbundenen Gefahr konfrontiert, schlechtere Leistungen zu liefern. Das gehört sicher zu den Schattenseiten der Qualitätsmanagement- und Evaluationsoffensive, mit der sich die Universitäten bislang viel zu wenig auseinandergesetzt haben. Dafür finde ich leider gar keine Entschuldigung.
Nun zu den Gründen, die manchmal zutreffen und natürlich auch schnell als Ausrede benutzt werden könnten, die es – in seltenen Fällen – aber durchaus gibt. Dazu zählt etwa Grund Nummer 3: Die Studierenden belegen ein Fach mit hohem NC und bringen viel Leistungsfähigkeit und -bereitschaft mit und sind tatsächlich gut bis sehr gut, weil bereits eine strenge Selektion stattgefunden hat. Grund Nummer 4, den sich wohl jeder wünscht, der aber zugegebenermaßen einen Idealzustand kennzeichnet: Die Studierenden sind so begeistert von ihrem Fach und strengen sich an mit der Folge, dass sie gute Noten erzielen.
Und schließlich der letzte Grund (Grund Nummer 5), der mir besonders am Herzen liegt und damit zu tun hat, welchen Stellenwert das Assessment an der Universität für einen Hochschullehrer hat: Wir denken ja fast nur noch in der Kategorie „assessment of learning“ (vor allem seit Bologna) und setzen damit die Tradition der Schule fort, die in den meisten Fällen nicht daran interessiert ist, was Schüler können, sondern was sie nicht können, und wo sie Fehler machen. Das lässt sich auch sehr schön daran erkennen, dass es meist egal ist, um welche Fehler es geht, dass man in der Regel keine Chance hat, seine Fehler zu verbessern, und dass nicht Lernfähigkeit, sondern aktuelle Leistungen zu einem vom Lehrer festgelegten Zeitpunkt X bewertet werden. In Disziplinen und Fächern an der Universität, die das „Problem der guten Noten“ nicht haben, wird genau diese Denke nämlich fortgesetzt. Aber es gibt auch ein „assessment for learning“, ein Lernen aus Fehlern und ein gemeinsames Ziel von Lernenden und Lehrenden, das da heißt: ein bestimmtes Leistungsniveau erreichen und daraufhin lernen, und zwar so lange, bis ein möglichst gutes Ergebnis erzielt ist. Wenn man es so betrachtet, ist es eher ein Armutszeugnis für den Lehrenden, wenn er es nicht geschafft hat, „seine Lernenden“ zu einem guten Ergebnis zu führen (diese Argumente haben wir auch mit Wolf Hilzensauer diskutiert, als er uns in Augsburg besucht und einen Vortrag über E-Portfolios gehalten hat. Alex hat in seinem Weblog davon berichtet). Ich behaupte einmal, dass zumindest bei einem Teil der Disziplinen und Fächer, die man jetzt an den Pranger stellt wegen ihrer angeblich zu guten Noten, unter Umständen dieser Grund vorliegt, nämlich dass Hochschullehrer nicht gewillt sind, die Schullogik der Leistungserfassung weiter fortzusetzen, dass sie lieber ein „assessment for learning“ praktizieren.
Selbstverständlich sind auch bei mir die Noten schlechter, wenn ich klassische Klausuren schreiben lasse, die dann fast ausschließlich in einer Wissensabfrage bestehen. Und selbstverständlich kann ich eine Klausur so stellen, dass ich mir sicher sein kann, dass der Schnitt nicht unter 3,0 oder 3,3 liegen wird. Jeder, der Lehre macht, weiß, das es ein Leichtes ist, anderen zu demonstrieren, was sie nicht wissen und können. Aber geht es an einer Universität wirklich darum? Ist es nicht eher unsere Aufgabe, Studierenden das wissenschaftliche Denken und Handeln nahe zu bringen, ihnen Orientierung in komplexen Fachgebieten zu geben, ihnen die Chance zu geben, sich mündlich und schriftlich, individuell und im Team mit Wissen auseinanderzusetzen? Natürlich wird das immer schwieriger: Laut Papier dürfte unser Studiengang eigentlich nur knapp 30 Studierenden pro Jahr aufnehmen (was leider nicht der Realität entspricht) – ich könnte unter solchen Umständen natürlich ein sehr gutes Assessment durchführen, das sowohl den Augen kritischer Beobachter als auch meinen Ansprüchen gerecht werden könnte. Ich bin aber stets für mehrere hundert Studierenden zuständig und letztlich kann ich immer nur eine handvoll Studierender, die ich näher kennen gelernt habe, wirklich so einschätzen, dass ich sagen kann: Ja, ich traue mir eine Leistungsbewertung zu, die weitgehend wasserdicht ist.
Lange Rede, kurzer Sinn: Ich plädiere dafür, nicht immer gleich in jedes Geschrei einzustimmen, sondern erst mal vorher zu überlegen, warum manche Dinge so sind, wie sie sind, und wie sie sich entwickelt haben.
Wo muss ich unterschreiben? 😉
Stimme dem schönen Artikel vollkommen zu. Ich habe derzeit selber mit der Notenvergabe meines ersten Seminars zu kämpfen und bemerke, dass das echt nicht einfach ist. Bei mir geht die Notenskala jetzt auch nur von 1 bis 3. Okay, ich hab auch eine „Bombenfünf“, was aber damit zusammenhängt, dass eine Person ganze Textpassagen kopiert hat und ich die Person dann umgehend des Seminars verwiesen habe (womit er noch gut davon gekommen ist, möchte ich meinen). Allerdings muss ich zugeben, dass ich wirklich sehr viele sehr gute und gute Noten habe. Ich sehe aber nicht ein, warum ich mir hier was vorwerfen lassen sollte. Die Noten entscheide ja immer noch ich und nicht irgendeine Grundsatzdebatte.
In meinem Seminar hat nahezu jede Gruppe bis zu 5-mal so viel bearbeitet wie vorgegeben. Wieso sollte ich das nicht honorieren? Ich habe zu jeder Aufgabe (8 an der Zahl) ne Mindestseitenzahl vorgegeben, aber auch gesagt, dass von meiner Seite aus auch mehr geschrieben werden darf, da ich niemanden für größeres, wissenschaftliches Interesse bestrafen will – für „Hausaufgaben“ halte ich das auch durchaus für sinnvoll (bei Hausarbeiten kann das durchasu anders aussehen). Das haben die meisten Studenten auch voll ausgeschöpft, warum sollte ich sie nicht dafür belohnen, wenn sie statt 3 plötzlich 13 (wirklich gute) Seiten abgeben? Ich bewerte dann immer so, dass ich mir die beste Arbeit raussuche, sie mit einer 1,0 bewerte und dann die anderen Arbeiten daran messe. Wenn auch die alle nahezu gleich gut sind, sehe ich nicht ein, hier plötzlich andere Maßstäbe zu setzen. Soviel vertrauen muss man in den Dozenten schon noch haben.
Aprospos Maßstab – noch ein Beispiel: In vielen Kursen mit Hausaufgaben können sogenannte „Joker“ gesetzt werden, womit man eine Hausaufgabe auslassen kann, ohne eine 5 zu erhalten. Das ist z.B. besonders für die Studenten sinnvoll, die während der Prüfungszeit einfach nicht mehr den einen Tag aufbringen könenn, den (zumindest meine) Hausaufgaben verschlingen. Ich habe mich gegen diesen Joker entschieden, da es mir lieber ist, ich gebe für die eine nicht eingereichte Hausaufgabe eine 5 und für die andere dafür ausführlicher gemachte eine 1, als nur eine halbgare mit einer 3 zu bewerten. Studenten, die sich dann trotzdem die Zeit für ALLE Hausaufgaben nehmen, sollen dann auch belohnt werden (und diese Möglichkeit haben nahezu alle wahrgenommen).
Am Ende sind es bei mir jedenfalls bei 15 Arbeitsgruppen 800 Seiten geworden, die abgegeben wurden. Das zeigt schon, dass da wirklich gearbeitet wurde. Fast alle Aufgaben wurden mit Elan und viel Eifer erfüllt – was bei meinem Thema auch nicht verständlich ist. Warum? Einfach nur ein gutes Seminar gehalten? Einfach nur sehr fleißige Teilnehmer? Einfach nur Glück? Ich weiß es nicht – aber ich weiß, dass mich die Leistung nahezu aller beeindruckt hat – und das will ich auch weiterhin honorieren dürfen. 😀
Der Titel „Die Panik geht um: Benoten wir zu gut?“ wirft bei mir eigentlich nur eine Frage auf: Wenn bereits die Feststellung des „zu gut“, „genau richtig“, „zu schlecht“ ein Problem ist, welche weiteren Probleme mögen dann unter dieser offen zu Tage tretenden Problematik lauern?
Mir ällt dazu eigentlich nur ein: „Expertenvalidierung“. Wenn ein Fachexperte (ohne klausurähnliche Vorbereitungen) einen Test mit 100% besteht, prima, besteht er ihn nur mit 50%, dann dürften auch 50% Punktzahl für einen Studierenden reichen, um ihn mit einer EINS bestehen zu lassen, da er Expertenniveau erreicht hat.
Aber vielleicht heisst „gut“ ja auch „100% besser sein als der Dozent/Professor“? 🙂
Ich kann mich an eine lebhafte Diskussion zum Thema Benotung Mitte letzten Jahres erinnern. An den dort präsentierten Feststellung hat sich wohl in der Zwischenzeit wenig geändert.
Gruss, Helge Staedtler
Während meines Studiums war es so, dass einem eine 3 in der Tat schon fast peinlich sein musste. Denn wenn man ein bisschen was getan hat war einem eine 2 meist schon sicher, und wenn man wirklich mal gelernt hat war eine 1 fast unausweichlich. Zwar sehe ich die im Beitrag genannten Punkte schon ein, aber ich bin mir nicht sicher ob ist es hilfreich ist, wenn zumindest die fitten Studis echt schon Angst haben müssen, ob sie denn eine 1 mit Auszeichnung schaffen, da jeder weiss dass die Notenskala üblicherweise eh nur von 1-3 geht. Vor allem ist dann keine Abgrenzung mehr innerhalb des Einser-Breichs mehr möglich, der dann aber dennoch sehr breit sein kann.
Ja, natürlich, den Fall gibt es auch, und der gefällt mir auch nicht. Umgekehrt gilt auch für Lehrende, dass sie sich oftmals nicht mehr trauen, schlehte Noten zu vergeben. Mit der Einführung von Studiengebühren könnte das noch schlimmer werden. Das ist eindeutig schlecht! Mir ging es aber auch nicht um eine gegenteilige Botschaft zum Philologenverband, sondern um einen differenzierten Blick auf verschiedene Gründe für gute Noten.
Gabi
In der Tat fand ich die Ausführungen hilfreich, gerade den Punkt zu „assessment of learning“ denn so genau habe ich mir das auch noch nicht überlegt. Den meiner Ansicht nach wichtigsten Teil habe ich mal im BildungsBlog zitiert 🙂
Mit der Notefrage werde ich mich demnächst eh aus der anderen Perspektive beschäftigen müssen, da ich einen Lehrauftrag an der Uni Innsbruck habe (zu web 2.0, was uns zu der Diskussion von neulich bringt, Stichwort LMS, PLE, Web 2.0 und Institutionen 🙂
Als Lehrer an einer Schule (Gymnasium) möchte ich Folgendes einwenden:
– Über gemeinsame Ziele kann ich mich mit meinen Schülern leider oft nicht einigen; sie sind stärker an ihren Persönlichkeitsproblemen als an Fragen des Wissens interessiert; sie sind mit relativ guten Noten zufrieden; sie sind Schüler, weil sie Schüler sein müssen (Schulpflicht, Eltern).
– Wie kann man Lernfähigkeit feststellen, wenn man keine Lernergebnisse beurteilt?
– Als ob es Eigenart der Schule wäre, Fehler nachzuweisen! Gerade hier zeigt sich, dass von der Autorin mit Worten geklingelt wird! „Fehler“ heißt doch (nur): Der Weg zum Ziel wird nicht konsequent beschritten, das Ziel nicht (ganz) erreicht.
– Wir arbeiten so lange… Nein, wir müssen leider in festgelegten Zeiträumen (Schuljahr genannt) bestimmte Standards erreichen, die Leistungsüberprüfungen müssen gleichmäßig über das Schuljahr verteilt werden.
– Die Standardisierung des Lehrens (und der Lehrerqualtität) lässt leider sehr zu wünschen übrig, was sich zeigt, wenn man „Nachfolger“ eines bestimmten Kollegen wird.
– Fazit: Die Autorin berauscht sich an ihren universitären Qualitäten und ihrem fortschrittlichen Denken. Mir hat sie nicht gezeigt, wie ich ein besserer Lehrer werden kann.
Na, ja, das ist auch gar nicht meine Aufgabe und mein Kompetenzbereich, Lehrern zu zeigen, wie man das Assessment-Problem besser in den Griff bekommen kann. Ich meine, dass ich schon recht deutlich gemacht habe, was der Anlass meines Blogeintrags war (der Vorwurf nämlich, dass wir an der Hochschule/Universität zu gut benoten). Ich schreibe natürlich aus der Perspektive der Hochschule und meiner persönlichen Erfahrung. Ich finde es auch hilfreich, Gegenargumente zu erhalten. Und so ist es aus meiner Sicht sicher richtig, dass man in der Schule wiederum die teilweise ganz anderen Bedingungen reflektieren muss, unter denen gelernt und gelehrt und damit auch Assessment betrieben wird. Einige festgefahrene Dinge trotzdem auch mal in Frage zu stellen, kann aber – so meine ich – nicht schaden.
Etwas schade finde ich den Ton der hier geäußerten Kritik – und damit sind wir jetzt auf der Metaebene: Natürlich ist es bisweilen sinnvoll, auch einen provokativen Ton anzuschlagen, um sich bemerkbar zu machen. Das kommt bei mir schon auch vor. Sobald ich dann aber direkt mit jemanden in einen Dialog trete (und der Kommentar zu einem Blogeintrag ist der potenzielle Anfang eines Dialogs), versuche ich doch, aggressive Untertöne zu vermeiden, und ich würde mcih freuen, wenn sich das auch diesem Blog als Stil durchsetzt.
Gabi
@N. Tholen: Hmm, das hört sich nach ein wenig Zynismus an… vermutlich einer der einzigen Auswege als Lehrer mit der (Un-)Struktur und den restriktiven Rahmenbedingungen umzugehen.
Ein vergleich: Ich denke, „Man kann einem Umweltzerstörer kaum beibringen die Umwelt doch ein bissel weniger zerstörerisch zu zerstören.“ dazu müßte er sich ersteinmal zum Umweltliebhaber entwickeln, oder anders gesagt, wenn die Schulstruktur inklusive Leitung Innovation nicht stützt sondern zerstört, kann man sich vermutlich auf den Kopf stellen, die Bewertungsschemata bekommt man nicht verbessert und die Schulevaluationstermine auch nicht geändert. Wie sollen sie innovativer benoten, wenn das verhindert wird? Eine Idee wäre einen Schulliebhaber als Schulleiter einzustellen… 🙂
Ähnlich gelagert war übrigens ein Fall an der Deutschen Börse, MDAX Unternehmen müssen dort Quartalsberichte abgeben. Der einzige Manager der feststellte, dass er und seiner Mitarbeiter dann vor lauter Berichteschreiben nicht mehr Arbeiten kommen war Wendelin Wiedeking (Chef der Porsche AG). Konsequenterweise hat er fortan auf eine Listung im MDAX verzichtet (nachdem er sich zuvor der Berichtspflicht medienwirksam verweigerte).
Solche Entscheider bzw. Schulleiter usw. braucht das Land. Ob Sie dadurch ein besserer Lehrer werden weiß ich jetzt nicht, aber die Rahmenbedingungen würden es vielleicht dann erlauben, dass sie ein anderer Lehrer werden.
Und eines ist ja bekannt:
Damit etwas besser werden kann,
muss es zwangsläufig anders werden!
P.S.: Was halten Sie denn von der Diskussion, die zum Thema Noten ein dem Blogpost bei mir im Blog stattfand? Ist da irgendwas Konstruktives für Sie dabei?