Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Diskussion ohne Vorbehalte

| 5 Kommentare

Am letzten Freitag hat Christian Kohls, wie angekündigt, seinen „Gastvortrag“ gehalten, wobei – das gleich als Vorwarnung – er dazu einlud, auch gleich während seiner Ausführungen in die Diskussion einzusteigen. Und das haben wir dann auch gemacht – zweieinhalb Stunden lang. Wer also tatsächlich Interesse an der Audio-Aufnahme hat, sei hiermit gleich vorab informiert: Das ist die Aufnahme eines „Kolloquiums“ im wahrsten Sinne des Wortes (lat. colloqui = sich besprechen). Wir waren in einem normalen Seminarraum und haben diskutiert. Ich bitte also um Verständnis, wenn die die Qualität jetzt nicht so überaus hoch ist. Hier der Mitschnitt.

Frank hat sich (hier) in seinem Blog bereits ausführlicher mit den inhaltlichen Ergebnissen beschäftigt. Relativ lange haben wir uns in der „Musterdiskussion“ gleich zu Beginn bei den „Kontexten“ und den dort auftretenden „Wirkkräften“ aufgehalten, die man bei einer (didaktischen) Problemlösung beachten muss und die einen wesentlichen Aspekt in Mustern ausmachen. Ein weiterer längerer Diskussionspunkt waren der Begriff und die Rolle von „Normen“ in der Musterforschung. Wegen meines Esoterik-Vorbehaltes hatte Christian besonders viele Überlegungen zum Ganzheitlichtskeitsbegriff mitgebracht, den er dann auch etwas ausführlicher mit dem der „Gestalthaftigkeit“ verglichen hat. Interessant waren dabei vor allem die interdisziplinären Vergleiche.

Mir haben Christians Ausführungen auf jeden Fall geholfen, nochmal einen anderen Zugang zu und Blick auf die Musterforschung zu werfen. Wenn man Vorbehalte hat, ist dieser Weg des interaktiven Austausches mit Sicherheit der beste, um sich trotzdem mit einem Ansatz zu beschäftigen und ihn daraufhin abzuklopfen, was er zu bieten hat. Ich hoffe, den anderen Teilnehmern des Kolloquiums ist es auch so gegangen.

Silvias Präsentation zum Stand ihrer Arbeit im Themengebiet des Assessments hat gut in den vom Muster beherrschten Nachmittag gepasst. Allerdings stehen bei Silvia erst mal das Suchen und Finden von lernförderlichen und praxistauglichen Assessment-Verfahren an der Hochschule im Mittelpunkt der ersten Phase, bevor dann auch die Frage virulent wird, wie man diese sinnvoll darstellen kann, damit sie breiter genutzt werden. Ihre bzw. unsere Annahme ist, dass sich hierfür eine Darstellung als Muster eignet – womit eine gute Verbindung zu Christians Vortrag vorlag.

Ein insgesamt betrachtet interessanter Kolloquiumstermin mit unserem externen Gast, der hoffentlich auch etwas von der Diskussion mitgenommen hat.

5 Kommentare

  1. Hallo Gabi,
    zunächsten vielen Dank für die Bereitstellung des Audio-Mitschnitts. Ich habe noch keine Zeit gefunden, mir die letzte halbe Stunde anzuhören, will aber dennoch ein paar Sequenzen kommentieren. Oder gibt es die Möglichkeit Christian Kohls in seinem eigenen Blog zu kommentieren?
    Die Forces und die Ganzheitlichkeit in Alexandrinischen Mustern bedingen sich gegenseitig. Alexander macht mehrfach deutlich, dass isolierte Muster nicht existieren können, sondern ein System brauchen, in dem die auftretenden Wechselwirkungen abgefangen (falls negativ) oder begünstigt (falls positiv) werden. Forces sind somit Verbindungen zwischen den Problemlösungen.
    Zur Frage der Ganzheitlichkeit bei Alexander: „The language is a good one, capable of making something whole, when it is morphological and functional complete.“ (Alexander 1979, S. 316)
    ==> morphologisch Vollständig oder ganzheitlich, „when the patterns together form a complete structure, filled out in all its details with no gaps. […] „when I can visualize the kind of buildings which it generates very concretly“. Hier bringt Alexander das Beispiel der Garage als Muster, die ohne Zufahrtsweg höchstens ein Schuppen, und ohne Land, auf dem sie steht, eventuell auch eine Bootsgarage sein kann. Auf das Bildungswesen übertragen, hieße das, Muster nicht (in Schreibwerkstätten) einzeln zu zerpflücken, sondern im Zusammenhang mit anderen Mustern zu diskutieren. Dabei fällt es beispielsweise schwer ein Kolloquium ohne seine organisatorischen Bestandteile (~Muster) zu sehen.
    Noch eine Kleinigkeit: Das erste Pattern von Alexander zielt keinesfalls auf die Errichtung EINER Weltregierung, sondern auf die Stärkung von unabhängigen Regionen, an Stelle von Staaten, die zusammen eine Weltregierung bilden. So etwas kann man auch nur spöttisch rüber bringen, wenn die Kontextinformationen dieses Musters nicht erwähnt werden. Leopold Kohr, Ernst Schumacher und Franz Josef Radermacher bestätigten Alexander hierin erst Jahre später.
    –niels

  2. Danke, ich habe Einiges mitgenommen. Nicht nur, aber auch, diesen Gedanken (http://www.frank-vohle.de/node/229#comment-923).
    Grüße,
    karsten

  3. Pingback: Randnotizen » Kolloquium: Gast-Vortrag zu Entwurfsmuster-Ansatz

  4. Hallo Niels,
    danke für den Kommentar, den ich jetzt erwidern kann. Da ist der Austausch in Kolloquien oder Schreibwerkstätten manchmal etwas lebendiger, weil man bewusst Zeit hat und sich auch sofort rechtfertigen, korrigieren oder erklären kann. Deine Zitate von Alexander sind sehr passend und zeigen noch einmal, dass Lösungen nicht nur ganz sondern auch ganzheitlich sein müssen.
    Zu den Schreiwerkstätten: hier werden sowohl Pattern Languages wie auch Muster diskutiert. Da ein Muster immer etwas ganzheitliches und kontextualisiertes ist funktioniert das auch für einzelne Muster gut – ich habe bislang an über 40 Writer’s Workshops teilgenommen und bislang kein besseres Format für mich und den speziellen Kontext kennengelernt. Wenn übrigens bei einer Musterbeschreibung der Kontext nicht mitgedacht wird, oder Bestandteile fehlen, dann wird dies meist sehr früh zur Sprache gebracht. In Schreibwerkstätten geht es vor allem um Feedback über geschriebene Texte. Für andere Diskussionen eignen sich andere Formate – wie ein Kolloquium oder ein Blog – sicherlich besser. Es kommt immer auf die Situation drauf an. Mir fehlt noch ein eigener Blog 😉
    Zur Einrichtung einer Weltregierung: das war eine spöttisch geäußerte aber ernst gemeinte Randbemerkung, um etwas anderes zu illustrieren.
    Du hast Recht: das erste Muster heißt „Independent Regions“ nicht „World Government“. Das Einrichten einer Weltregierung ist nur ein Teil der Lösung („…each with a seat in a world government, without the intervening power of larger states or countries“). Den ganzen Kontext findet man auf den Seiten 10-14 in “A Pattern Language“.
    Der Punkt (und das ist kein Spott, sondern ernste Kritik) ist, dass dieses Muster eine ganz neue Ordnung der Welt vorschlägt. Und daraus leite ich drei Kritikpunkte ab:
    (1) Ob die vorgeschlagene Ordnung der Welt eine bessere ist, das ist aus meiner Perspektive Ansichtssache (bei Alexander ist es wie so häufig eine Notwendigkeit, wenngleich eingeräumt wird, dass die Autoren nur die Richtigkeit vermuten). Das heißt, ich bezweifele schon, ob man die dort beschriebene Aufteilung in unabhängige Regionen tatsächlich anstreben muss oder sollte.
    (2) Ob die vorgeschlagene Ordnung der Welt tatsächlich die erhofften Effekte produziert ist reine Spekulation, da es an jedweder Überprüfung fehlt. Folgendes Zitat von Richard Feynman überspitzt es: „Nearly everyone dislikes war. Our dream today is peace. In peace, man can develop best the enormous possibilities he seems to have. But maybe future men will find that peace, too, can be good and bad. Perhaps peaceful men will drink out of boredom. Then perhaps drink will become the great problem which seems to keep man from getting all he thinks he should out of his abilities.” Also selbst wenn man an die Richtigkeit glaubt, hat man sie noch nicht geprüft. Wir wissen nicht, wie eine friedliche Welt aussieht und welche Konsequenzen dies hat. Es ist ein Unterschied nach Frieden zu streben (was ich tue) und zu behaupten, man wüsste (was ich nicht tue), dass vollkommener Frieden gut ist. Es handelt sich dabei nur um eine Vermutung, nicht um eine Wahrheit.
    (3) Ich kann die Ordnung der Welt in „Independent Regions“ und die damit angestrebten Vorteile durchaus gedanklich nachvollziehen. Aber die Umsetzung würde bedeuten, dass Nationen aufgebrochen und Territorien neu verteilt werden. Man würde also für eine vermutet bessere Welt Faktoren in Kauf nehmen, die in der Regel für Krieg verantwortlich sind. Nun bin ich mir nicht sicher, ob eine vollkommen friedliche Welt gut ist, aber dass Krieg immer schlecht ist, davon bin ich überzeugt. Vielleicht ist Krieg manchmal notwendig, ihn aber leichtfertig zu provozieren entspricht nicht meinem Wertesystem.
    Wenn man die drei Punkte verallgemeinert, sieht man vielleicht, dass es sich um ernsthafte Kritik handelt:
    (1) Die Form guter Lösungen ist von Werten abhängig. Werte sind aus meiner Sicht etwas subjektives, auch wenn wir viele Werte teilen. Daher glaube ich nicht an Muster, die wahr sind. Werte ändern sich, Werte sind normativ.
    (2) Die tatsächliche Wirkung eines Musters sollte empirisch überprüft werden (können). Damit prüft man zwar keine endgültige Wahrheit, wohl aber ob sich ein Muster bewährt hat. Der Bewährungsgrad ist ein wichtiger Qualitätsaspekt.
    (3) Muster und deren Umsetzungen haben Konsequenzen. Utopien sind meist deshalb so gefährlich, weil die Urheber sich nicht um die negativen sondern nur um die positiven Konsequenzen kümmern.
    Dass ich an einzelnen Stellen Kritik an Alexanders Ideen übe, heißt nicht, dass ich seine Arbeit nicht schätze. Im Gegenteil, viele Punkte sehe ich ähnlich, aber meist verbringt man mehr Zeit damit, die Unterschiede herauszuarbeiten.
    Beste Grüße,
    Christian

  5. Hallo Christian, ich nutze die Gelegenheit, die sich dadurch ergibt, dass Franz Nahrada mich auf diesen Diskurs über „independent regions“ aufmerksam gemacht hat, als Gelegenheit wieder einmal mit dir zu sprechen. Natürlich weiß ich nicht, ob du meine Antwort – ein halbes Jahr nach deinem Beitrag – überhaupt bemerkst. Außerdem trage ich vermutlich Eulen nach Athen.
    Nachdem Muster davon leben, dass sie an die Problemsituation, an den Kontext angepasst werden, besitzt imho ein Muster keine Qualität an sich, sondern nur eine Qualität der Implementierung im Eizelfall, ich sage „situative Qualität“.
    Da Muster – du bezeichnest sie ja an anderer Stelle auch als literarische Formen – methodische Beschreibungen einer generischen Problemlösung darstellen, also keinen einzelnen realen Gegenstand beschreiben, kann imho ein Muster auch nicht „wahr“ sein, sondern nur eine gute oder schlechte (vollständige oder unvollständige, praktikable oder praxisuntaugliche) Beschreibung sein. Eine Geschichte, die man erinnert, die anregt und motiviert.
    Natürlich können aber einzelne Aussagen zu einem Muster (ich nenne die Elemente einer Musterbeschreibung manchmal Aussagen), wahr oder falsch sein. (Mit den üblichen Problemen, Wahrheit möglicherweise nicht erkennen zu können)
    Bezüglich der „indepedent regions“ und „Weltregierung“ meine ich, dass wir eine ohnehin ein politisches Ökosystem vor uns haben, wo wir beides in gewisser Form schon vorfinden. Wenn es Vorteile hat, einen Staat in Regionen zu organisieren, dann kann und soll dies gemacht werden, in „kleinen reversiblen Schritten“. Und Organisationsformen, die für die Welt als Ganzes denken und agieren, gibt es auch. Wenn globale Probleme stärker werden, wird sich eine UNO oder eine andere/neue Organisation in diese Richtung entwickeln (müssen).
    Es geht imho nie um die totale Durchsetzung von Mustern. Das Wohnen ist auch nicht ausschließlich in Einfamilienhäusern organisiert, auch wenn das für viele Menschen die wünschenswerteste Wohnform ist.
    Es kann auch kein ideal durchzusetzendes Unterrichtsmuster geben, weil sich eine Annäherung an die Idealität nur durch eine Anpassung an die Situation (die Inhalte, die konkreten Möglichkeiten und Bedürfnisse der Lernenden und Lehrenden) ergibt und damit eine Vielfalt von Mustern erfordert.
    Der „Krieg“ als Muster kann als typisches Beispiel eines Antimusters – weit mehr Schaden als Nutzen – gesehen werden. Das schließt aber nicht aus, dass er in einer Problemsituation nicht die beste und einzige Lösung sein kann.
    Dass ein Muster andere Probleme aufwirft (so wie du den permanenten Frieden mit einem möglichen Trinkeranstieg verbindest), ist nichts besonderes, sondern der Normalfall. Löst eine Fabrik das Problem der Erzeugung eines notwendigen Produktes, so erzeugt es andere Probleme z. B. der Abfallstoffe oder des Verkehrs. Ganzheitlichkeit bedeutet eben, die Wirkungen mit allen Neben/Folgewirkungen kybernetisch als ein Gesamtes zu betrachten, und für Folgeprobleme auch Anschlussmuster einzusetzen.

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