Hans Brügelmann hat mich auf ein aktuelles Interview mit dem Wissenschaftssoziologen Peter Weingart in spektrumdirekt hingewiesen. Dabei geht es um die Glaubwürdigkeit und das Ansehen von Wissenschaft, die öffentliche Kommunikation wissenschaftlicher Erkenntnisse und die Beziehung zwischen Medien bzw. Journalisten und Wissenschaftlern. Im Interview wird Weingart an einer Stelle auch nach der Bedeutung von Blogs in diesem Zusammenhang gefragt – eine Frage, auf die eher Ratlosigkeit folgt: Im ersten Anlauf wird die Frage gar nicht beantwortet, im zweiten meint Weingart: „Ob die Wissenschaftskommunikation in Zukunft mehr über Blogs laufen wird, hängt auch davon ab, wer die Öffentlichkeit solcher Blogs ist. Die meisten solcher Blogs werden wohl nicht von Leuten gesehen oder gelesen, die normalerweise in die Zeitung gucken oder auch im Internet Presseerzeugnisse studieren, will ich mal unterstellen.“ Das stimmt wohl, dass z.B. die Bild-Zeitung, FAZ und SZ sowie mehr oder weniger „private“ Blogs unterschiedliche Leserschaften haben. Dennoch erscheint mir diese Antwort ein bisschen zu einfach und eher ein Zeichen dafür zu sein, dass man sich damit noch nicht so recht auseinandersetzen mag. Immerhin wird die Äußerung EINZELNER Wissenschaftler in den klassischen Medien wie z.B. der ZEIT (die sich vor allem zu Bildungsthemen in den vergangenen Jahren aus meiner Sicht eher einseitig konservativ geäußert hat) stark in die Breite gestreut und verfestigt sich dann – wegen der ja hohen Glaubwürdigkeit von Wissenschaftlern – als DIE Wahrheit. Genau darum geht es auch in diesem Interviews. Blogs könnten hier sehr wohl die öffentliche Meinung prinzipiell bereichern, wie ich meine. Schade also, dass Weingart dem Thema ausweicht.
Für die GeNeMe2010 habe ich gemeinsam mit Birgit Gaiser, Angela Kühnen und Georgios Chatzoudis einen Beitrag zum Thema Beitrag „Wissenschaftsmanagement en blog“ eingereicht. Der Artikel beschäftigt sich zum einen mit Konzeption, Implementierung und Betrieb des Wissenschaftsportals „L.I.S.A.“, zum anderen gehen wir auf Probleme, Missverständnisse und Hilflosigkeit ein, wenn Wissenschaftsmanager auf Web 2.0 treffen.
„Auf einer Veranstaltung des Stifterverbandes im Jahr 2009 brachte einer der Vortragenden die gängigen Vorurteile von Wissenschaftsmanagern in Bezug auf Technologien des Web 2.0 auf den Punkt: „Ich chatte nicht, ich mache!“…
Das erinnert sehr an die Position von Weingart – danke für das schöne Beispiel!
Der Preprint des Artikels zum Download:
http://zelblog.wordpress.com/2010/09/13/eine-reise-wert-geneme-2010-am-8-und-9-oktober-2010/
Hallo Gabi,
ein spannendes Thema 🙂
Aus meiner Sicht ist das dominierende Problem, dass Öffentlichkeit heute immer noch in Zusammenhang mit Massenmedien verstanden wird und in dieser Logik auf Breitenwirksamkeit abzielen soll (-> öffentliche Meinung). Das hat vermutlich zu tun mit der Tradition des Begriffs, der aus der Soziologie/Kommunikationswissenschaft stammt und die sich (zumindest letztere) nach wie vor schwer damit tut, einen manifestierten Begriff „neu“ zu denken. Jede(r), die/der bloggt, kennt allerdings die Dynamiken, die digitale Medien entfalten können – und diese gehen durchaus über das Merkmal des sozialen Austauschs hinaus (Netzwerktheorie oder CoP-Ansatz wären ja „gegenüberliegende“ Konzepte). Um nur ein Beispiel zu nennen: Immer wieder kommt es vor, dass Anfragen für Vorträge, Artikel etc. aufgrund von Blogbeiträgen kommen, und zwar von Personen, die einem vorab nichtbekannt sind. Man wird also vermutlich nicht umhin kommen, den Öffentlichkeitsbegriff künftig differenzierter zu betrachten, und vor allem auch die Reichweite nicht (mehr) als zentrales Merkmal von Öffentlichkeit zu definieren.
Liebe Grüße,
Sandra
PS: Bezeichnend ist auch, dass die Nachrichtenagentur AP seit einigen Wochen Blogbeiträge in ihren News zitiert. Privat (als Gegensatz von öffentlich) sind Blogs also keineswegs.
Im wiedergegebenen Zitat findet sich eine erschreckende Anzahl von Fehlannahmen und ein elementares Unverständnis der gewandelten Medien(umwelt):
1. Wissenschaftskommunikation *läuft* bereits online: Ob über Blogs oder andere CMS, ob direkt oder mit redaktioneller Prüfung (Mehr-Augen-Prinzip) macht dabei aus Leserperspektive für die Mehrzahl der Rezipienten schlicht keinen Unterschied. Die aufgeworfene Frage des Ob stellt sich also nicht. – Wenn überhaupt stellt sich heute doch vielmehr die Frage, ob diejenigen Wissenschaftler, die nicht online publizieren, überhaupt noch und: wie häufig und intensiv gelesen werden? Vor allem aber: wie stark zitiert, verarbeitet und bearbeitet werden?
2. Der Unterton von: „wer die Öffentlichkeit solcher Blogs ist“, ist (für mich) kaum zu überhören und grenzt ob der Unkenntnis ans Unerträgliche. Sämtliche Studien, die sich mit Blogs und Onlinepublikationen allgemein beschäftigen, attestieren speziell wissenschaftlichen und Fachblogs-/publikationen ein enorm „hochwertiges“ Auditorium: hochwertig bezogen auf Formalbildung, Berufsstand, aber auch Einkommen etc.
3. Immerhin ist diese Passage richtig, auch wenn Weingart es sicherlich anders verstanden wissen möchte: „Die meisten solcher Blogs werden wohl nicht von Leuten gesehen oder gelesen, die normalerweise in die Zeitung gucken oder auch im Internet Presseerzeugnisse studieren“. – Ob der Qualität heutiger Presseerzeugnisse schauen tatsächlich immer mehr Menschen (speziell 1.) verhältnismäßig stärker auf „die Quellen“ (sprich Blogs etc.) und weniger auf schlecht recherchierte Beiträge von „journalistisch angehauchten Mittelsmännern“ (formerly „Gatekeeper“). Auch hier zeigen die Studien heute noch deutlicher als vor 6/7 Jahren 😉 wohin die Reise geht; siehe etwa die aktuelle Massenkommunikation 2010; http://j.mp/Massenkommunikation2010
Lesenswert, wenn auch viel allgemeiner, ist Niggemeiers aktuelle Auseinandersetzung bezüglich Print vs. Online: „Ich will guten Journalismus machen, egal in welcher Mediengattung“; http://j.mp/9GuRIt – Es wird immer noch ein Widerspruch gesucht, der schon lange nicht mehr existent ist; http://j.mp/ccHTFw – Well, jede (R)Evolution hat halt ihre Verlierer.
Und zugegeben: Heute ist es anstrengender, sich die relevanten „Medien“ (Autoren) zusammen zu suchen und zu verfolgen. Aber der Gewinn rechtfertigt diese Auseinandersetzung: höhere Qualität, besseres Verständnis durch tiefere und breitere Einblicke. Wir leben in einem Schlaraffenland, das vor 2 Dekaden völlig undenkbar war.
@Sandra Ich glaube eher nicht, dass der Begriff „Öffentlich“ tatsächlich eine neue Definition benötigt. Ich vermute vielmehr, dass immer noch Licht ins Dunkel getragen werden muss, also erklärt werden muss, wo sich Öffentlichkeit heute abspielt, wie sie funktioniert und welche Vorzüge (und Nachteile!) sie bietet.
Häufig wird auch (technisch) „öffentlich zugänglich“ mit „öffentlich relevant“ (Anspruch klassischer Massenmedien) verwechselt. Jan Schmidt hat diesen Kategorienfehler schon vor Jahren wiederholt herausgestellt.
Moin.
Wir haben das Interview mit Weingart wieder frei zugänglich gemacht. Der Link im text müsste jetzt funktionieren.
Der Artikel ist freigeschaltet und damit wieder uneingeschränkt lesbar.
Viele Grüße
Antje Findeklee
Toll – danke! 🙂
Gabi
@ Lars Fischer: Klasse, merci!
Sandra