Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Kompetenzen auf dem Papier

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Gestern habe ich im Zug mehrere Artikel zum Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) in der aktuellen Ausgabe von Forschung und Lehre gelesen. In den DQR sollen sämtliche Ausbildungsberufe und Studiengänge eingeordnet werden. Im Hintergrund steht der Europäische Qualifikationsrahmen (EQR), der eine Empfehlung, aber nicht rechtsverbindlich ist (Erläuterung dazu hier). Der DQR soll die Transparenz im Ausbildungssystem verbessern, langfristig auch die Ergebnisse informellen Lernens einbeziehen und gleichzeitig die Durchlässigkeit einzelner Bildungsinstitutionen erhöhen. Und wie im Zusammenhang mit der Bologna-Reform im Hochschulbereich liest man hier, dass statt einer Input-Orientierung die Output-Orientierung zu gelten hat. Das heißt: Kompetenzen zählen, egal wo wie und in welchem Zeitraum man diese erworben hat. Es gilt das Prinzip der „Gleichwertigkeit“, nicht der „Gleichartigkeit“, sodass die in der beruflichen Bildung erworbenen Kompetenzen und die akademisch erworbenen Kompetenzen auf der glichen Niveaustufe stehen können (sollen).

Ich habe da ja zunehmend meine Zweifel, wie das gehen soll. Diesen Zweifeln liegen mehrere Überlegungen zugrunde.

Punkt 1: Ich kann ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass und wie „gleichwertige Ergebnisse“ völlig unabhängig von Inhalten und Kontexten zustande kommen. Wie soll ich mir das denn vorstellen, dass jemand in seiner beruflichen Ausbildung etwa zum Einzelhandelskaufmann Wissen erwirbt, die „gleichwertig“ etwa zu genuin wissenschaftlichen Kompetenzen eines Bachelor-Absolventen an der Universität sind? Was genau ist da „gleichwertig“? Gleichwertigkeit im Sinne einer gesellschaftlichen Anerkennung individueller Potenziale und Expertisen – ja, da in ich dabei. Aber ist das nicht etwas anderes als eine vergleichbare Ausgangsbasis für eine weitere wissenschaftliche Qualifizierung (z.B. für einen Master)?

Punkt 2: Es klingt ja verlockend zu hören, dass zählt, was man weiß und kann und nicht das, was einem jemand etwa allein via Anwesenheit auf einem Schein bestätigt hat. Wo aber bleiben dann die Assessment-Verfahren, die genau das feststellen helfen? Wer soll diese anbieten und durchführen? Und wenn das massenhaft geschieht, dann dürfte doch wohl klar sein, dass man auf simple Prüfverfahren zurückgreift, die kaum etwas mit dem zu tun haben werden, was einem vorschwebt, wenn man an „Handlungskompetenz“ denkt. Verschiebt man nicht also das Problem und auf Kosten welcher Personengruppen wird das gehen? Wieso ist das kaum ein Thema in der Diskussion zum DQR?

Punkt 3: Wenn ich lese, wie man laut den Richtlinien des DQR beispielsweise ein Modulhandbuch eines Bachelorstudiengangs den insgesamt acht Niveaustufen sowie den Kategorien „Wissen“, „Fertigkeiten“, „Selbstkompetenz“ und „Sozialkompetenz“ zuordnen soll und welche tollen Tabellen dabei herauskommen, frage ich mich, ob man da nicht durch die Hintertür nur eine neue Input-Orientierung kreiert. Denn was bitte haben die Ziele und Pläne in einem Studiengang wirklich mit dem zu tun, was letztlich herauskommt? Bei so einem Verfahren produziert man letztlich aus Papier neues Papier, man arbeitet mit Kompetenzen auf dem Papier, aber nicht mit tatsächlich erworbenen. Wo also ist eigentlich der große Gewinn im Vergleich zu alten Curricula?

Politiker sowie Vertreter der Hochschulrektorenkonferenz und des Wissenschaftsrats äußern sich dennoch begeistert über den DQR – meist mit Verweis auf die ökonomischen (!) Vorteile (auch dazu eine Gegenüberstellung verschiedener Meinungen in Forschung und Lehre). Allein der Präsident des Deutschen Hochschulverbands mag in die Euphorie nicht einstimmen und kommt zu dem sinnigen Schluss: „Dem Aufwand steht kein gleichwertiger Nutzen gegenüber“.

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