Was hat die Hochschulrektorenkonferenz mit dem Web 2.0 zu tun? Nichts, werden die meisten sagen. Sie hat die „neuen“ (schon langsam in die Jahre kommenden) Entwicklungen des Internets und diverser Anwendungen zur Kenntnis genommen, werden andere entgegnen, nämlich die, die (wie z.B. Mandy) bereits auf die „HRK-Handreichung Herausforderung Web 2.0“ gestoßen sind (hier online). Die Handreichung ist (ich nehme mal an dank einiger Experten, die da auch namentlich genannt werden und hinzugezogen wurden) als ein kompakter Überblick aus meiner Sicht ganz gut geeignet, wenn sich jemand erstmals über Nutzungsszenarien von Web 2.0-Anwendungen in der Hochschule informieren will. Das wird verständlich und mit ausgewählten Beispielen auch relativ anschaulich gemacht.
Ähnlich wie Mandy finde ich es grundsätzlich gut und begrüßenswert, dass das Thema überhaupt aufgegriffen wird. Allerdings besteht ein wenig die Gefahr, dass es eine dokumentierte Sammlung von ein paar Spinnern bleibt, die offenbar zu viel Zeit haben, dass sie sich mit solchen Spielereien beschäftigen. Das nämlich ist durchaus eine Facette in der (teil-)öffentlichen Wahrnehmung von Personen/Lehrenden, die versuchen, die immer wieder neu sich verbreitenden Software-Anwendungen verschiedenster Art auszuprobieren und in Wissenschaft und Lehre nutzbar zu machen. Sinnvoller wäre es mir erschienen, im Kontext von Qualität in Lehre, Forschung und übrigens auch Verwaltung(!) die Frage zu stellen, ob und wenn ja, wie Web 2.0-Anwendungen hierbei eine Rolle spielen können. Ansonsten besteht nämlich wieder mal die Gefahr, dass man ausgehend von einer neuen Technologie verkrampft danach sucht, wo man die denn jetzt einsetzen könnte, statt ausgehend von einem Problem oder einer Herausforderung nach geeigneten Lösungen und dazu brauchbaren Werkzeugen Ausschau zu halten. Es geht ja letztlich, so meine ich, NICHT darum, wie man das Web 2.0 in die Hochschulen bringt (so wie jede größere Firma erst in Second Life und dann in Facebook vertreten sein wollte). Eher geht es darum, wie wir künftig die immensen Anforderungen bewältigen, die auf uns zukommen:
Wie motivieren wir die Studierenden für ein selbstverantwortliches Studieren trotz faktisch gestiegener Vorgaben im Bachelor? Wie vermitteln wie den Nutzen wissenschaftlichen Denkens und Handelns für die Persönlichkeit, den Beruf und die Gesellschaft trotz anhaltender Ökonomisierung allen Tuns? Wie kann es uns gelingen, Forschung und Lehre zusammenzubringen trotz der immer noch vorherrschenden Dominanz der Forschung für Wissenschaftlerkarrieren? Und, und, und … Das Web 2.0 löst diese Probleme nicht für uns. Ich bezweifle auch zunehmend flächendeckende Chancen der Web 2.0-Nutzung in der Lehre, weil die Voraussetzungen oft fehlen. Dennoch empfinde ich die heute verfügbaren Web 2.0-Anwendungen als eine herausragende Bereicherung – unter anderem dafür, dass völlig neue Informations-, Kommunikations- und Lernkulturen entstehen können. Da verändert sich der Umgang mit Information, die Artikulation und Verbreitung von Meinungen, der Dialog und die Sicht auf „Experten“, da können sich Machtverhältnisse verschieben und neue Einflusskräfte entwickeln etc. Und da frage ich mich jetzt schon: Wie viel kulturellen Wandel verträgt eine Institution wie die HRK?
Liebe Gabi
Danke für deinen kritischen Einwurf. Ich habe mich in einem Artikel, der im Moment im Druck ist, auch mit dem kritischen Blick auf Social Software an Unis auseinandergesetzt und bin dabei zu folgendem Fazit gekommen:
„Die oben vorgestellten Beispiele dürfen allerdings nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass dies zumeist Einzelfälle sind. Im Rahmen der Integration von Social Software an Universitäten handelt es sich um individuelle, freiwillige Projekte, die wenig Wirksamkeit über das jeweilige Einsatzszenario hinaus entfalten können. Potentiale wurden in unterschiedlichen Bereichen gezeigt: in Forschung, Lehre und Dienstleistung. Obwohl Universitäten und Web 2.0-Prinzipien an vielen Stellen sehr gut zusammenzupassen scheinen, kann man (noch) nicht von einem Durchbruch im Bereich der Nutzung von Web 2.0 an Universitäten ausgehen. Diese Erkenntnis ist allerdings nicht neu: Schon 2005 beklagt sich Declan Butler, dass Wissenschaftler die neue Technologie verschlafen. Fünf Jahre später, eine gefühlte ›Ewigkeit‹ im digitalen Zeitalter, ist man nur an wenigen Stellen wirklich weiter. Doch liegt dies wohl nicht unbedingt an der Technologie, sondern eher an der Institution. (…)“
Was ich damit sagen will: ich denke, die HRK-Initiative zeigt zumindest, dass „etablierte“ Wissenschaftsorganisationen einen Schritt in die Richtung gehen. Dass dies immer noch recht 1.0lig wirkt, vom Zeitpunkt über das Vorgehen bis hin zum Sprecher, ist jedem, der sich mit dem Thema auskennt, klar. Ich gebe dir auch recht, wenn du bemängelst, dass von einer Technologie ausgegangen ist, und weniger über konkrete Problemstellungen ein Zugang gefunden wurde. Zumindest aber öffnet es aber mal ein Fensterchen. Und wenn es von der HRK kommt, dachte ich zumindest, wäre der „Spinnervorwurf“ zumindest eher abgefangen, als wenn es plötzlich engagierte Professoren machen 😉 – Kulturen, zumal an Universitäten, ändern sich langsam, sehr langsam.
Und ich denke, es ist in einem ersten Moment „unverfänglicher“, über Technologien zu diskutieren, als gleich die „wirklich richtigen Probleme“ auf den Tisch zu packen. Dabei habe ich immer noch die Hoffnung, dass Web 2.0 Technologien hier gewissermassen als „trojanische Pferde“ für eine Veränderung an Hochschulen fungieren können: hin zu Partizipation und Dynamisierung, Interaktion und Authentizität und letztendlich einer verändernden Kommunikations- und Lernkultur an Universitäten.
to be continued … 😉
Liebe Grüsse
Mandy
Hallo Mandy,
ganz klar – besser so eine (auch noch gut lesbare)Hhandreichung als gar keine Beschäftigung mit dem Thema. Vorsicht aber vor der Feigenblattfunktion, die das haben kann, nach dem Motto: „Web 2.0? – machen wir doch schon – da ist die Handreichung“. Aber man muss natürlich irgendwo anfangen. Und der zweite Schritt ist, das zu verbreiten UND zu diskutieren – und das beginnen ja WIR hier gerade :-)Dennoch bleibt meine Skepsis, wie viel Öffnung (und Web 2.0-IDEE) traditionell hierarchisch strukturierte Organisationen ernsthaft umsetzen werden.
Gabi
Ich habe das Papier der HRK über einen Twitter-Beitrag von Martin Ebner gefunden und war ganz begeistert, dass sich eine solche Institution überhaupt an dieses Thema heranwagt. In meinem Arbeitsbereich (Schule) wird man wohl noch lange warten müssen, bis eine ähnliche top-down-Initiative erfolgt. Gabis Bedenken treffen natürlich auch für den Schulbereich zu; natürlich müsste man auch hier eigentlich von didaktischen Problemen ausgehen; aber Mandys Hinweis auf das Trojanische Pferd sollte man ernst nehmen: Jede halbwegs konequente Nutzung von neuen Möglichkeiten für selbstorganisiertes etc. Lernen stellt einen kleinen Stachel dar für antiquierte Systeme, strahlt ein wenig aus, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wenn durch entsprechende kleine Fortschritte in der Lehrerausbildung demnächst ein paar mehr KollegInnen in der Schule da mitmachen würden, wäre schon etwas gewonnen. Auf eine top-down-Vorgabe zu warten, heißt Aufgabe. Und die Skepsis ist leider im Schulbereich noch stärker angebracht.
Oh ja, die Lehrer Aus- und Fort- und Weiterbildung muss sich eher mit die Web 2.0 Technologien beschäftigen als mit diesen ganzen Whiteboards. Aber die Fragen sind genau die Richtigen und wir können die Web 2.0 Technologien nur als Werkzeuge einsetzen, nicht als Allheilmittel.
Man ist so auf die Technologie fixiert, sucht krampfhaft Einsatzszenarien, statt sich die oben geschilderten didaktische Herausfordernungen anzunehmen. Ich finde die Broschüre aber auch sehr gelungen – und ein sehr kompetenter Expertengremium steht dahinter.
Liebe Frau Prof. Reinmann,
wir arbeiten seit 2005 aktiv an Möglichkeiten das Lehren, Lernen und Informieren mit möglichst vielen Sinnen zu gestalten. Dabei sind wir immer in kleinen Step’s mit Analysen und Befragungen von Lehrenden und Lernenden vorangegangen.
Vorigen Monat haben wir nun die ersten Produkte zeigen können, die eine Kombination aus eBook, Hörbuch und Video darstellen. Jetzt kann man den Text lesen, anhören oder sich die integrierten Videoausschnitte ansehen. Dafür bedarf es keiner neuen Technik, sondern der DVD-Player am Fernseher geht genau so wie der Laptop mit Beamer oder der mp3-Player.
Vorallem die nutzbare Flexibilität (stationär und mobil) sowie die Integration von Emotionen und die Aufbereitung der Inhalte sind uns als wichtige Punkte genannt wurden.
Frau Weber-Wulff, Sie sprechen es meiner Meinung genau an. Weshalb macht man den zweiten Schritt schon vor dem Ersten? Viel wichtiger ist es doch Inhalte so zu gestalten damit diese im Gehirn besser verarbeitet werden können.
Wir alle kennen es aus eigenem Erleben. Lernen funktioniert nicht mit dem Stundenklinkeln oder auf Knopfdruck. Ich habe zu diesen Punkten Sinne des Menschen oder kognitive Fähigkeiten in unserem Web-Log http://www.lehr-hoerbuch.de ein paar Beiträge geschrieben.
Bei unseren Entwicklungen haben eine ganze Reihe von Dozenten, Studierenden und auch Lern- und Gedächtnistrainerinnen mitgewirkt. Trotzdem muss ich Ihnen, Herr Meschede, auch recht geben. Es ist leider bisher nur ein kleiner Stachel – aber es tut sich was.
Daher lassen Sie uns weiter den Hauptaugenmerk auf die Inhalte und Umsetzung legen und die dafür notwendige Technik, die es ja bereits gibt, einfach nur nutzen.
Liebe Frau Reinmann,
ich halte sehr viel von der Idee, technologische Neuerungen als trojanische Pferde für tiefgreifendere Veränderungen einzusetzen und möchte dazu ein Beispiel aus meiner beruflichen Praxis im Wissensmanagement bringen:
Ein sehr hierarchisch strukturiertes Unternehmen hat sich eine Kommunikations- und Wissensplattform angeschafft ohne darüber nachzudenken wozu (weil es eben modern ist). Mein Job war es, die MitarbeiterInnen zu motivieren mit der Plattform zu arbeiten. Nach vier Monaten gibt es bereits eine Anzahl von Gruppen, die in Communities of Practice arbeiten und ihr Wissen austauschen, Arbeitsprozesse wurden kollaborativ gestaltet, es gibt einen CEO-Blog, ein „schwarzes Brett“ und vieles andere mehr. Und das, ohne dass das Management diese Änderungen bewusst herbeigeführt hätte, da es von Anfang an einem Wissensmanagement ablehnend gegenüber stand. Ich bin mir bewusst, dass das nicht die optimale Vorgangsweise ist, aber in diesem Fall heiligte der Zweck die Mittel. Das Managment hatt keine Ahnung, welche Lawine von Kommunikation und Kollaboration es mit der Anschaffung der Plattform lostreten würde. Das Ergebnis scheint ihnen aber doch zu gefallen.
Gerade an der Uni müsste es doch viel einfacher sein, neue Lernformen und -prozesse in Gang zu bringen, aber die Technologie ist dabei wahrscheinlich das kleinste Problem
Hallo zusammen,
danke für die Kommentare. Ich stimme zu, dass man irgendwo anfangen muss, dass man mitunter „Trojanische Pferde“ braucht etc. Mir ging es nicht so sehr um eine Kritik an diesem Papier: Es ist anschaulich und verständlich und vor diesem Hintergrund gelungen. Ich denke nur, dass man über Papiere hinaus der Lehre und didaktischen Fragen an sich sowie eben auch der Lehr-Lernkultur an unseren Hochschulen mehr Beachtung schenken müsste. Da kann dann ein solches Ppaier schnell zum Feigenblatt verkommen („zumindest haben wir mal darüber gesprochen“). Und wie gesagt: Ich sehe im Moment tatsächlich (das sage ich jetzt als Medienbefürworter!) drängendere Probleme als Twitter einzuführen.
Gabi
Hier ein aktueller Hinweis zu den „drängenderen Problemen“: Der Hauptausschuss des BIBB hat gerade eine „Empfehlung … zur Förderung der Durchlässigkeit zwischen beruflicher und hochschulischer Bildung“ herausgegeben, die im Rahmen der Arbeit an dem DQR entstanden ist. In dem Papier finden sich Sätze, die bei tatsächlicher bildungspolitischer Umsetzung „drängende Probleme“ für die Hochschulen bedeuten können, z.B.:
„3. Bedarfsgerechte Angebote für beruflich Qualifizierte
Neben der Regelung des Hochschulzugangs und der Anrechnung beruflich erworbener Kompetenzen kann die Durchlässigkeit zwischen beruflicher und hochschulischer Bildung durch eine zielgruppengerechte Ausgestaltung von Studienangeboten verbessert werden. Berufsbegleitende Studienformen, aber auch Teilzeitstudiengänge sind für die Partizipation von Berufstätigen von zentraler Bedeutung, da sie eine bessere Vereinbarkeit von Studium, Beruf und Familie ermöglichen. Der Hauptausschuss empfiehlt daher, berufsbegleitende Studienangebote Schritt für Schritt auszubauen.
Ebenso sind zielgruppengerechte Vorbereitungs- und Unterstützungsprogramme verstärkt anzubieten, die beruflich Qualifizierten den Übergang in ein Hochschulstudium erleichtern. Dazu zählen beispielsweise Propädeutika, Brückenkurse und Mentorenprogramme. Der Hauptausschuss fordert vor allem die Träger der beruflichen Bildung und die Hochschulen auf, solche Programme gemeinsam, gegebenenfalls auch mit weiteren Akteuren zu entwickeln und durchzuführen.
Der Hauptausschuss empfiehlt, bereits bei der Entwicklung von Studienangeboten verstärkt die Zielgruppe der beruflich Qualifizierten mit zu berücksichtigen. Dazu sollte die berufliche Vorerfahrung integriert sowie Didaktik und Methodik auch auf diese Zielgruppe und ihre Kompetenzen ausgerichtet werden.
Für Absolventinnen und Absolventen der beruflichen Aufstiegsfortbildung, die bereits eine umfangreiche Bildungs- und Erwerbsbiografie vorweisen können, bietet sich der direkte Zugang zu Master-Studiengängen an. Dazu eröffnen die überarbeiteten
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ländergemeinsamen Strukturvorgaben der KMK neue Spielräume. Der Hauptausschuss ist der Auffassung, dass beruflich Qualifizierte mit erfolgreich abgeschlossener beruflicher Aufstiegsfortbildung verstärkt die Möglichkeit erhalten sollten, auch ohne ersten akademischen Abschluss ein Master-Studium aufzunehmen.“
http://www.bibb.de/dokumente/pdf/HA-Empfehlung_zur_Durchlaessigkeit.pdf
Ich bin leider schon etwas spät dran, habe jetzt erst den Artikel hier gesehen 🙂 – schön, dass die Handreichung eine so lebhafte Diskussion nach sich zieht, und danke auch für das Lob für unsere Arbeit.
Die Gefahr, dass diese Handreichung in der alltäglichen Arbeit und/oder in der Organisationsstruktur der Hochschulen untergeht, haben wir im Zuge der Erstellung auch immer wieder mit diskutiert; das Problem besteht sicherlich. Uns hat es motiviert, den Text so knapp, knackig und verständlich wie möglich zu halten – ich stimme aber zu, dass es letztlich darauf ankommt, ob sich in den Organisationen einzelne Akteure das Thema „Hochschule 2.0“ zu eigen machen; „trojanische Pferde“ trifft es sehr gut. 🙂