Die Wand zwischen den Studierenden und mir hat einen Namen

und der lautet: Beamer. Wie komme ich zu dieser Aussage? Es geht mal wieder um meine Einführungsvorlesung. In der zweiten Hälfte des Jahres 2011 hatte ich mir dazu wieder mal ein paar grundlegende Gedanken und einen neuen „Plan“ gemacht. Dies hatte ich schriftlich für mich festgehalten. Ich stelle die zwei Seiten hier gerne zur Verfügung:

Problem_Lösungsansatz_VL_DD_2012

Ich bin inzwischen fast bei der Hälfte der Veranstaltung angelangt und habe in den ersten vier Sitzungen ohne PowerPoint-Folien gearbeitet. Von außen mögen diese Sitzungen etwas unstrukturiert ausgesehen haben, weil wir viel diskutiert haben und manchmal auch zwischen den Themen gesprungen sind, aber: Immerhin ein Teil der Studierenden hat sich rege an Diskussionen beteiligt, eigene Beispiele beigesteuert und fast alle haben relativ aufmerksam zugehört. Wir haben zeitweise die Tafel und den guten alten Overhead-Projektor genutzt. Ich hatte für jede Sitzung Notizen dabei, welche Kernbotschaften ich in den Dialogen, mit den Beispielen und durch einige wenige systematische Darlegungen aus meiner Sicht „rüberkommen“ sollten. Auffällig war die vergleichsweise große Ruhe im mit ca. 80 Personen gefüllten kleinen Hörsaal. In der letzten Sitzung nun brauchte ich doch den Beamer, weil ich ein paar Beispiele für mediengestützte Lehr-Lernangebote direkt zeigen wollte: Das erschien mir angebracht, zumal es ja um Lehren und Lernen mit Medien geht und die Anschauung sollte ja auch eher motivierend sein als das Sprechen „über“ Medienangebote. Nun muss man dazu sagen, dass die Beamer in unseren Hörsälen unverschämt laut sind: Sie sind nicht an der Decke, sondern im hinteren Teil des Hörsaals angebracht, sodass vor allem die davor sitzenden Studierenden einem hohen Geräuschpegel ausgesetzt sind. Letzten Montag also war der Beamer an und schon war sie wieder da – die unsichtbare Wand zwischen den Studierenden und mir: Es war wesentlich unruhiger als in den Sitzungen davor, die Aufmerksamkeit war bei vielen woanders, ich hatte weniger Dialogpartner und war froh, als 90 Minuten um waren. Morgen lasse ich den Beamer wieder aus …

11 Gedanken zu „Die Wand zwischen den Studierenden und mir hat einen Namen“

  1. …ich weiß gar nicht mal, ob es „der Beamer“ an sich ist. Vielmehr denke ich, dass es an Power Point, an Präsentationen in Form einer Konserve liegt. Wer will schon eine Konserve, wenn die Vorlesung doch einen lebendigen Vortrag verspricht, zumindest potenziell. Vielleicht liegt es (der Wandeffekt) aber auch nur daran, weil wir mit und in Power Point sehr selten die Blacktaste drücken. Blacktaste? Der Europameister in Rhetorik erklärt es ;-): http://www.youtube.com/watch?v=rV5cOtVH_0g&feature=BFa&list=UUazERkc6Q2bxUGg00XZFUUg&lf=autoplay

  2. @Kristina Lucius: Ich habe das mit der Lautstärke der Vollständigkeit halber erwähnt, aber ich glaube NICHT, dass es diese, sondern der andere Aufmerksamkeitsfokus ist, wie auch Frank mit seinem Kommentar andeutet. Ich hätte dazu sagen sollen, dass ich das Phänomen auch schon in Seminarräumen bemerkt habe, in denen der Beamer leiser ist ;-)“Beamer“ habe ich geschrieben, weil es NICHT nur um PowerPoint-Folien geht, sondern um die Aufmerksamkeitsfokussierung an das auf die Wand geworfene Bild – also auch wenn man z.B. Anwendungen aus dem Netz zeigt (hier haben sich übrigens aus eigener Erfahrung Smartboards besser bewährt).
    Gabi

  3. Verstehe: dicht daneben ist auch vorbei, mein Fehler. Was ich nicht verstehe, ist die Verwunderung über die „Mehrwirkung“ des Bildes gegenüber des gesprochenen Wortes und dem damit verbundenen Abzugs der Aufmerksamkeit. Denn das ist doch klar. Oder habe ich dieses Problem auch falsch verstanden? Das wäre schlecht, weil sonst die Gedanken zum Problem_Lösungsansatz_VL_DD_2012 im Kopf vermodern müßten.

  4. Das ist eine Erfahrung, die ich auch bereits gemacht habe: zuviel Information über einen Kanal – die Zuhörer/Schüler sehen mich, die PPP inklusive Text und sollen auch noch verarbeiten, was ich dabei sage. Damit ist das Arbeitsgedächtnis schlichtweg überlastet.
    Ich habe mich dann auch schon mal hinter die Gruppe/Klasse gestellt oder genau in den Lichtkegel des Beamers – je nachdem, wo er gerade stand. Letzteres lenkte schnell die Aufmerksamkeit wieder auf meine Person (wenn der Kegel klein genug war) und wenn es sich um eine Schülergruppe handelt werden sie automatisch ruhiger, wenn man hinten steht 😉 Das wird wahrscheinlich in einem großen Hörsaal nur schwer zu bewerkstelligen sein…

  5. Hallo,
    auch wenn ich mir bei den Gedanken etwas schäbig vorkomme: Es tut gut zu lesen, dass es erfahrenen Dozenten mit immensen didaktischen Hintergrund auch so geht und nicht nur mir, die ich wenig Erfahrung habe und mit verschienden Versuchen zwar unterschiedlich hart, aber doch regelmäßig wieder auf die Fr… falle. Im Seminar hab ich eine Reihe verschiedener Möglichkeiten versucht: kollaboratives Arbeiten, Peer-Reviews, eine geschlossene Microblogging-Plattform steht uns ohnehin zur Verfügung… im letzten Semester hatte ich die Studenten festlegen lassen, welche Termine sie wann wollen (bis auf den Abgabetermin), und das war mit Abstand die schlechteste Idee von allen. Kollegen grinsen dann und meinen oft, dass sie mit festen Regeln und Frontalunterricht immer noch am Weitesten kommen, so schön die anderen Spielereien auch sein mögen.
    Für die nächste Seminareinführung hatte ich aber auch den Gedanken, die blöden Folien einfach mal wegzulassen. Die Inhalte und Hinweise habe ich begonnen, in der Wikiversity festzuhalten. Auch einen Gamification-Ansatz mit Challenges und Badges fände ich erprobenswert, bezweifle aber, für die Ausarbeitung genug Zeit zu haben. Wir werden sehen, ich bin für die ein oder andere weitere Bauchlandung gewapnet.

  6. Hallo,
    ich kenne auch dieses Phänomen, selbst als Student und nun als Hochschuldozent. Ich habe drei Seminare unterschiedlich anmoderiert, einmal mit und zweimal ohne einleitende ppt. Die Seminare ohne ppt liefen eindeutig besser.
    Was mir Sorgen bereitet waren Rückmeldungen von Studierenden, dass Sie die offene Diskussions- und Herangehensweise an die Strukturierung des Seminars (Inhalte und Termine durch Plenumsdiskussion bei thematischer Einrahmung durch mich) als überflüssig, lästig, unstrukturiert und unnütz empfanden. Sie wollten klipp und klar gesagt bekommen was, wann wo und wie gemacht werden sollte. Eigenverantwortlichkeit und Selbststädnigkeit war da wenig vorhanden. Ich frage mich daher für kommende Seminare: Wie erreiche ich diese Studierenden. Ich werde die offene Herangehensweise beibehalten.
    Mich würde noch interessieren, wie groß die Diskussionsbeteiligung und die Methodik bei 80 TeilnehmerInnen ausgesehen hat. Bei mir sind es 40 SeminarteilnehmerInnen und da fällt es schwer, einen Seminarcharakter beizubehalten (gut, die TeilnehmerInnenzahl sinkt auf die Hälfte nach 3-4 Wochen).
    LG Robert

  7. Ach ja, noch etwas zum Thema Powerpoint und Aufmerksamkeit: Warnung vor Powerpoint von Prof. Nieke der Uni Rostock: http://www.uni-rostock.de/detailseite/news-artikel/professor-warnt-vor-power-point-praesentation/
    Die Pressemitteilung ist zwar etwas dürftig, bei Nachfrage schickt Herr Prof. Nieke aber den vorläufigen Bericht. Ist also nicht ungewöhnlich, dass Studierende abschalten.
    Meine Chefin hat bei ihrer letztjährigen Asienreise ähnliche Probleme bzw. Situationen in Korea, Taiwan und Japan beobachtet. Betrifft daher auch andere Länder und Kulturen. LG ra

  8. Hallo zusammen,
    erst mal vielen Dank für die Kommentare. Ohne mich jetzt auf jeden einzeln zu beziehen, versuche ich mal einen „Kommentar zu den Kommentaren“.
    Zunächst einmal ist es mir wichtig zu sagen, dass man sich aus meiner Erfahrung NICHT entmutigen lassen sollte, auch wenn nicht alles klappt wie geplant, und auch, wenn andere darüber lächeln! Außerdem: Zum einen ist das persönliche Erfolgserlebnis immer auch vom eigenen Anspruch abhängig, und nicht alles, was man als „hat nicht gut geklappt“ bezeichnet, war vielleicht wirklich so schlecht. Zum anderen sehe ich NUR in einer gewissen Experimentierfreude die Chance, nicht nur mehr Erfahrung, sondern auch übertragbare Erkenntnisse zu Qualitätsverbesserungen beim Lehren und Lernen zu erlangen (dass das selbst die Studierenden durchaus nicht einheitlich so sehen, weiß ich allerdings selbst – dazu ein andermal mehr).
    Des Weiteren möchte ich an der Stelle sagen, dass ich KEIN PowerPoint-Gegner bzw. genereller: kein Visualisierungsgegner bin. Bei einem Vortrag auf einer Tagung z.B. kann es – ja nach Thema – sehr hilfreich sein, das Wort begleitend zu visualisieren, z.B. mit Bildmaterial oder logischen Grafiken; auch Animationen (z.B. ein allmählicher Aufbau einer komplexeren Grafik) können das Zuhören schon erheblich erleichtern. Das ist aber etwas anderes als 90 Minuten lang (in einer Vorlesung) reine Textfolien mit zu verfolgen, die dem Lehrenden als Stichwortgeber dienen. Genau solche Folien will erfahrungsgemäß ein Teil der Studierenden zur Prüfungsvorbereitung. Wenn das dann allerdings fürs reine Auswendiglernen und als Ersatz für eigene Lektüre verwendet wird, ist das eher frustrierend. Wenn es dagegen um wichtige, in Stichpunkten auch darstellbare, Informationen geht (z.B. bei einführenden Informationen, wie in einem der Kommentare genannt), dann kann man diese Infos ja auch unabhängig von der Präsenzsitzung online zugänglich machen und die Präsenzsitzung selbst interaktiver gestalten. Das eine schließt ja da das andere nicht aus.
    Die Vorstellung, dass Visualisierungen sozusagen die kognitive Kapazität „abziehen“, die dann dem Zuhören und Mitdenken fehlen, erscheint mir jedoch (den Theorien, die es dazu gibt, zum Trotz) zu simpel. Ich habe das Gefühl, dass es da zumindest AUCH um mehr geht, woraus sich der Titel meines Blog-Beitrags erklärt: es geht wohl auch um die „Wand“ zwischen Studierenden und Lehrenden in dem Sinne, dass man sich oft genug nicht aufeinander „einlässt“ und dann die PowerPoint-Folie vielleicht sogar ganz gern dazwischen schiebt.
    Übrigens: „Interaktiv“ in einer Vorlesung heißt in der Regel, dass man sich vielleicht mit 15 % der Studierenden „unterhält“ – aber das ist ja besser als nichts! Das muss man aus meiner Sicht ganz klar von Seminaren trennen. Seminare mit 40 Personen sind selbst bei uns leider keine Seltenheit. Aber mit Teamarbeiten und fall- oder problemorientierten Aufgaben lässt sich da dennoch eine ganze Menge machen, sodass wirklich alle (die wollen) nicht nur rezeptiv, sondern produktiv tätig sind.
    Gabi

  9. Vielen Dank für das ausführliche „Kommentar zu den Kommentaren“. Ich finde viele Gedanken sehr hilfreich und zum weiterdenken bzw. weiterprobieren.
    Das Problem bei dem „interaktiv“ in VLs und Seminaren besteht aus meiner Sicht auch an einer falschen Erwartung, die generell Besteht, vielleicht besser eine Forderung: Nämlich alle zu erreichen. Das der Anspruch aus meiner Sicht nicht aufgeht bzw. schwierig zu realisieren ist, ist das eine. Jedoch wird auch von Seiten einiger Lehrenden, so mein Eindruck, der kontraproduktive Schluss gezogen, alle mit ein und der selben Methode erreichen zu können. Und wie äußert sich schon „alle erreichen“? Ich habe mir die Frage oft in den Seminaren gestellt, da hier auch die aktive Beteiligung auf einige wenige verteilt war. Ich kam u.a. zu dem Schluß, dass „nicht äußern“=“zuhören“ sein kann. Das dieses auch zu „nachdenken“ und „weiterdenken“, also kongnitive Anreize, anregen kann. Dass ich also „schweigen“ nicht als passiv, sondern auch als mgl. einer aktiven Teilnahme sehen kann (überprüfen kann ich das unmittelbar nicht). Für die kommenden Seminare will ich versuchen, verstärkt andere Aufbereitungs- und Informationskanäle zu nutzen, andere Möglichkeiten der aktiven (aber vielleicht nicht die unmittelbare Seminarsitzung betreffend) Teilhabe am Seminar zu schaffen. Vielleicht hat jemand noch Ideen und Vorschläge?
    Danke und LG Robert

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