Früher war das Selbststudium etwas, was einem schlicht selbst überlassen war – darum heißt es ja wohl auch SELBTstudium: Ob und wie intensiv ein Studierender Veranstaltungen vor- und nachbereitet hat, ob und wie er sich Wissen und Können angeeignet hat, das plötzlich vorausgesetzt war, ohne dass es man es offiziell vermittelt bekommen hat, ob und wie er sich Bücher beschafft, diese gelesen, etwas daraus exzerpiert und sich auch für Inhalte interessiert hat, die nicht genau so auch in Prüfungen verlangt sind etc. – na ja, das war halt einem selbst überlassen. Und ist es das jetzt nicht mehr? Irgendwie schon und dann doch wieder nicht:
Es gibt für das Selbststudium nun mal Credit Points, also man bescheinigt Studierenden ganz konkret eine Leistung, ohne dabei gewesen zu sein, und macht das an den vermuteten oder erhofften investierten Stunden fest. Dass das hinten und vorne nicht stimmt, haben wohl alle schon lange geahnt und ist jetzt unter anderem mit der von Rolf Schulmeister initiierten Zeitlast-Studie sozusagen evidenz-basiert. Ob das früher anders war: Ich weiß es nicht. Die Zeitlast-Studie hat auch große individuelle Unterschiede entdeckt – ich nehme mal an, genau so war das früher auch. Jetzt aber gibt es dafür Punkte und ich muss in diesem Zusammenhang immer wieder an sogenannte Token-Systeme denken, die ich aus dem Psychologie-Studium kenne (ich meine da ging es vor allem um Untersuchungen mit Affen!) In Wikipedia heißt es: „Ziel eines Token-Systems ist der Aufbau erwünschten Verhaltens durch Verwendung systematischer Anreize. … Ein Token ist … einem echten Tauschmittel zur Erlangung des primären Verstärkers vergleichbar, funktioniert allerdings nur in seinem System …. Als Tokens eingesetzt werden können z.B. Chips, Punkte, Smilies, Murmeln, Kredit in einem Kreditkartensystem, Scheckheftsystem etc.“ – na also, passt doch!
Aber dieses System will nicht so recht funktionieren: Weil niemand das Selbststudium kontrolliert, man also seine Tokens unkontrolliert bekommt, wird auch kein oder nur wenig Selbststudium praktiziert, z.B. weil (angeblich) keine Zeit dazu ist, weil es andere (wichtigere, schönere) Dinge gibt, weil man gar nicht weiß, wie man das anstellen soll, weil einem niemanden dabei hilft, weil ….
Nun gibt es Fächer, bei denen das nicht sofort auffällt. In Fächern wie Mathematik aber bekommt man die Quittung für fehlendes Wissen und Können – das vielleicht fehlt, weil man eben das großzügig bemessene Selbststudium nicht adäquat nutzt – sofort. Entsprechend hoch sind die Abbrecherquoten nicht nur in Mathematik, sondern überall da, wo Mathematik zu den Voraussetzungen gehört. Das Projekt OPTES nimmt sich diesem Problem nun an. Wir dürfen dieses Projekt wissenschaftliches begleiten – das heißt: Wir entwickeln selbst keine Konzepte für das Problem und erproben auch nichts, sondern wir beraten didaktisch, begleiten im Prozess und evaluieren Ergebnisse der Teilprojekte von vier Partnern in einem BMBF-Verbundprojekt, die das Selbststudium „optimieren“ wollen (hier die Projektskizze auf unserer Web-Seite).
Ich bin sehr gespannt, wie gut wir diese Rolle ausfüllen können werden. Interessant werden auch die angestrebten Ergebnisse zur Verbesserung des Selbststudiums sein – einem Thema, dem man aus meiner Sicht bisher zu wenig hochschuldidaktische Aufmerksamkeit geschenkt hat.
Für jemanden, der an der FernUni in Hagen Mathematik studiert sehr interessant – auch wenn per Mailinglisten und vereinzelten Präsenzveranstaltungen zusammen mit anderen gewerkelt wird, ist es in weiten Teilen ein Selbststudium. Und fehlt das, kommt es in der Tat zu schmerzlichen Lücken. Stelle ich an mir selbst immer wieder fest.