Hilfsbedürftige Wesen

„Die Ursachen der Unterrepräsentanz von Frauen liegen … nicht in erster Linie in den Arbeitsorganisationen (wo sie permanent gesucht werden), sondern im privaten Leben. Darauf hat die universitäre Frauenförderung aber kaum Einfluss“, so die These des Soziologen Stefan Hirschauer in der aktuellen Ausgabe von Forschung & Lehren (Dezember 2012), der sogar online (hier) zugänglich ist. In seinem Artikel legt Hirschauer dar, dass und warum Frauenförderung aus seiner Sicht nicht nur wenig bewirkt, sondern sogar Schaden anrichten kann – jedenfalls in der Form, wie sie seit längerem und aktuell praktiziert wird. Er geht davon aus, dass Frauen vor allem deswegen weniger gut in höhere Positionen auch an der Uni kommen, weil es nach wie vor schwierig ist, das private Leben und Familie (als Frau!) mit den Anforderungen („eingebauter workaholism“) am Arbeitsplatz „Professur“ in Einklang zu bringen (so übersetze ich jetzt mal das Soziologen-Deutsch). Zudem würden Frauen tendenziell „work-life-balance“ höher bewerten und sich dann bewusst gegen den Dauerwettbewerb an Unis entscheiden. Zu den schädlichen Folgen der bestehenden Frauenförderung, so Hirschauer, gehört, dass man Frauen als hilfsbedürftige Wesen abstempelt, außerdem Männer mitunter benachteiligt und letztlich gegen eigene Grundsätze verstößt (nämlich dass allein die Kompetenz zählen soll). Als Lösung schlägt Hirschauer vor, dass Unis mehr für die Kinderbetreuung tun sollen – auch für die Wissenschaftlerinnen (nicht nur für Studentinnen).

Ich finde, der Beitrag gibt ganz gute Denkanstöße. Mich nervt die Dauer-Frauen-Rhetorik schon lange, die mir meistens recht formal vorkommt. Auch die von Hirschauer beschriebenen Nebeneffekte der Frauenförderung, die man so sicher nicht gewollt hat, habe ich vereinzelt auch schon selbst erlebt (z.B. in Berufungskommissionen). Allerdings sind die im Text vorgeschlagenen Lösungen ein bisschen einseitig: Mit Betreuungsplätzen allein ist es sicher nicht getan (obschon das auf jeden Fall ein wichtiger Vorschlag ist). Dringend erforderlich wäre wohl ein kultureller Wandel dahingehend, das sich Väter genauso für die Betreuung ihrer Kinder zuständig fühlen wie Mütter und dass man dies auch strukturell honoriert. Außerdem müsste dieses „Rattenrennen“ (das viele Profs zu Workaholics macht) mal langsam aufhören, an dem wir uns (fast) alle beteiligen, obwohl wir es beklagen (ich nehme mich da auch nicht aus): Dazu gehören die beständige Jagd nach Drittmitteln, Publikationen und damit gekoppelter Anerkennung, aber auch der ausufernde Bürokratismus in Forschung (Drittmittel!) und Lehre (Bologna). Und wenn das so weit geht, dass man sich nebenher keine Familienzeit mehr leisten kann, wird das auf Dauer nicht nur den Menschen, sondern auch der Wissenschaft schaden.

 

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