Im September 2011 habe ich hier erstmals über das Format der Zeitschrift „Erwägen – Wissen – Ethik“ geschrieben, das so funktioniert, dass auf einen längeren Auftaktartikel Weiterführungen von anderen Autoren geschrieben, ein Zwischenfazit des ersten Autors erstellt und von einem der Herausgeber eine „Synopse“ erarbeitet wird, um am Ende noch einmal von allen Beteiligten Bilanzen zu erhalten. Gut ein Jahr später (im Oktober 2012) konnte ich (hier) davon berichten, dass „nur“ noch die letzte Stufe, nämlich die Bilanz, aussteht. Geplant war, dass das Heft im März 2013 erscheint. Es ist dann doch ein klein wenig später geworden: Anfang Mai aber lagen die Heft auf meinem Tisch und ich konnte noch einmal von 19 Autoren insgesamt 17 Bilanzen lesen – und alle Beteiligten natürlich auch. An sich ist ein ganzes Buch entstanden. Das Inhaltsverzeichnis kann man hier anschauen.
Dass vier Autoren zu dem Schluss gekommen sind, sich auf der letzten Stufe besser auszuklinken, ist schade, aber nachvollziehbar. Das Format ist sehr aufwändig und wenn man zu einem speziellen Thema angefragt wird, dann ist es wohl eher Zufall, wenn das gerade den Fokus dessen trifft, womit man sich selbst aktuell beschäftigt. In diesem Fall lohnt sich dann natürlich der Aufwand. Ansonsten macht man so etwas eher als „Nebenbeschäftigung“. Das ist nun im wissenschaftlichen Alltag nicht ungewöhnlich (also Nebenbeschäftigungen), aber die dürfen dann natürlich auch nicht allzu viel Zeit kosten. Denn diese hat man meist nicht mehr: Lange Phasen des Lesens und Nachdenkens muss man sich in der Regel geradezu erkämpfen, weil das „Tagesgeschäft“, Aufgaben, die einen „sicheren Gewinn“ versprechen, Wettbewerbe um Preise und Drittmittel etc. drängender sind bzw. als drängender empfunden werden.
Ich bin dennoch der Meinung, dass Formate dieser Art eine Berechtigung haben und ausgebaut werden sollten. Meine „Bilanz“ nach den Weiterführungen und der Erwägungssynopse möchte ich hier in der Manuskriptfassung (Bilanz_Reinmann) zugänglich machen. In diese Bilanz konnten natürlich die Bilanzen der anderen Autoren nicht eingehen (weil ich sie noch nicht kannte). Meine Bilanz bezieht sich zum einen auf das Thema Vermittlung/Vermittlungswissenschaft und zum anderen – worum es mir hier in diesem Blogbeitrag geht – auf die „Forschungskooperation“, welche die EWE angestoßen hat.
Eine der Autoren, nämlich Larissa Krainer, hat angemerkt, dass der Texttypus „Weiterführung“ etwas ist, das einerseits offen ist, andererseits aber auch Erwartungen weckt und z.B. nicht das Gleiche sein sollte wie klassische „kritische Stellungnahmen“ (ich ergänze: oder gar Gutachten). Aus meiner Sicht waren einige der Texte tatsächlich Weiterführungen in dem Sinne, das einzelne Aspekte und natürlich vor allem der Begriff der Vermittlung aufgegriffen und weitergedacht bzw. aus anderer Perspektive betrachtet worden sind. Andere Texte dagegen unterscheiden sich in der Tat kaum von klassischen „Kritiken“, die man zwar auch in gewisser Weise als „weiterführend“ sehen kann, aber doch in eine etwas andere Richtung gehen. Vor diesem Hintergrund schlägt Krainer vor, einen Auftaktartikel am Ende mit konkreten Fragen zu versehen, an die Autoren mit ihren Weiterführungen anknüpfen können (aber nicht müssen). Einen ganz ähnlichen Vorschlag haben meine Doktoranden bei der Beschäftigung mit diesem Format kürzlich auch gemacht. Mehrere Autoren haben auf die grundsätzliche Schwierigkeit hingewiesen, ohne konkretes Forschungsprojekt (mit eigenen Ressourcen) auf der Ebene der schriftlichen Auseinandersetzung eine „Kooperation“ zu praktizieren. In Bezug auf die Motivation mag das richtig sein; in Bezug auf die Klärung von Potenzialen eines Themas, einer Fragestellung oder auch einer neuen interdisziplinären Ausrichtung muss das aus meiner Sicht allerdings nicht zwingend der Fall sein.
Trotzdem schließe ich mich den Hinweisen einiger der Autoren in ihren Bilanzen an, dass man das Format noch verbessern könnte. Ich stelle einfach mal zusammen, was mir dazu in den letzten Tagen so durch den Kopf gegangen ist:
1. Die größte Änderung mit Potenzial für weitere Änderungen würde aus meiner Sicht darin bestehen, das Format online zu betreiben. Welche weiteren Möglichkeiten würden sich dadurch ergeben?
a. Man hätte mehr Leser, und zudem könnten interessierte Leser alle Beiträge kommentieren. Die Diskussion könnte auf diesem Wege noch lebendiger werden.
b. Interessierte Wissenschaftler, die von den Herausgebern nicht angeschrieben worden sind, aber einen engen Bezug zum Thema haben, könnten sich (weil man schneller und einfacher darauf aufmerksam wird, wenn es online abläuft) selbst melden, um als Autoren eigene Texte zum Thema zu verfassen. Die Passung der Autoren zum Thema könnte auf diese Weise größer werden.
c. Weiterführungstexte wie auch Bilanzen könnten sukzessive hochgeladen werden, je nachdem, wann sie fertig sind (z.B. in einem vorher definierten Zeitraum). Je nachdem, wie schnell (oder langsam) man ist, hätte man so die Möglichkeit, sich jeweils auf mehrere Beiträge zu beziehen.
d. Man könnte jedem Autor die Möglichkeit einräumen, auch jenseits der eingeforderten Textsorten (Auftaktartikel, Weiterführungen, Zwischenfazit, Synopse, Bilanzen) einzelne Beiträge in kürzerer Form zu kommentieren.
2. Inhaltlich würde ich den Vorschlag aufgreifen wollen, am Ende des Auftaktartikels Fragen zu formulieren, die von den Autoren der Weiterführung aufgegriffen werden können.
3. Bezogen auf die Zusammensetzung der Autorengruppe bei einer Forschungskooperation könnte man neben direkten Ansprachen von Autoren auch eine Art Call machen, wer sich beteiligen möchte.
4. Vielleicht müsste man die Autorengruppe zahlenmäßig eingrenzen, damit der Einzelne die Fülle an Material, das da zustande kommt, besser bewältigen kann: also z.B. statt 21 Weiterführungstexte „nur“ zehn. Mit dieser Reduktion ließe sich der Prozess womöglich etwas beschleunigen, sodass die Autoren nicht immer so große zeitliche Lücken haben, die es schwer machen, sich immer wieder neu auf den jeweiligen Inhalt einzulassen.
5. Die „Erwägungssynopse“ ist ein besonderer Texttyp, der in dieser Form wahrscheinlich nicht allzu oft umgesetzt werden kann. Eine Alternative (wenn sich niemand für eine solche Synopse findet), wären kleinere „Zwischenfazits“ von bislang unbeteiligten Autoren, die den Prozess bis dahin aus einer distanzierteren Perspektive kommentieren.
6. Um solche aufwändigen theoretischen Auseinandersetzungen „gewinnbringender“ zu machen (in Anführungszeichen gesetzt, weil der persönliche Gewinn auch bei der jetzt umgesetzten Variante aus meiner Sicht hoch ist), könnte man solche Formate auch zu Beginn eines z.B. empirischen Forschungsprojekts oder auch als Abschluss eines solchen oder als Vorbereitung auf einen Forschungsantrag umsetzen. Mir ist allerdings klar, dass die aktuelle Förderlogik hier andere – effizientere – Verfahren erforderlich macht. Aber nachdenken könnte man darüber ja trotzdem mal.
Ein Gedanke zu „Nichts für das Tagesgeschäft?“