Im SozBlog schreibt Michaela Pfadenhauer Mitte Februar (hier) über ihre Erfahrungen in einem Seminar in den USA (danke an Sandra für den Link-Hinweis). Ihre (auch als didaktisch bezeichnete) Ausgangsfrage im Kontext der Gestaltung von Lehrveranstaltungen lautet: „Was tun, wenn der Vorbereitungs-Aufwand und der Beteiligungs-Ertrag in keinem Verhältnis zueinander stehen? Wenn bei allem Engagement der Eindruck bestehen bleibt, dass kein Funke überspringt?“ Vermutlich haben sich schon viele Lehrende eine solche oder ähnliche Frage gestellt … sie ist also praktisch höchst relevant.
Pfandenhauer beschreibt, dass und wie ihr das in der Regel gelingt, also dass der „Funke überspringt“, nämlich durch die eigene Faszination für das Thema gepaart mit einer intensiven Vorbereitung, die auf Konzentration beruht: „Es ist jene Art der Zuwendung, durch die man selbst im Vertrautesten etwas Neues, Unvertrautes, erkennt, bei der einem ein Licht aufgeht, weil man irgendetwas sieht, was man vorher nicht gesehen hat, bei der sich ein Aha-Effekt einstellt, weil man etwas versteht, was man vorher als unverständlich ausgeblendet hat, oder eine Verknüpfung zwischen dem Gelesenen und dem hergestellt werden kann, was einen warum auch immer gerade brennend interessiert“. So vorbereitet, dränge es einem danach, im Seminar darüber zu sprechen, zu argumentieren, zu streiten, sich mit Beispielen, Bildern, Metaphern, Analogien auszudrücken etc. vorausgesetzt die Seminargröße bleibe unter 25. Dazu brauche es keine Referate, die als möglichst gelungene Performance daherkommen, in großer Geschwindigkeit abgespult werden, nah am Text bleiben und vor allem dem Lehrenden gefallen sollen, auch keine PowerPoint-Präsentationen, die nur Exzerpte aus Texten sind. Vielmehr sollten kurze Inputs als Einstieg in Gespräche und wissenschaftliche Diskussionen fungieren. Diese Gespräche kämen z.B. auch „besser in Gang, wenn nicht einfach der Textinhalt nacherzählt, sondern über die eigene Leseerfahrung berichtet wird“. Zu Recht, wie ich meine, überlegt Pfadenhauer an dieser Stelle, ob man dann besser nicht von Referaten sprechen sollte, um eben keine falschen Assoziationen wachzurufen, sondern von z.B. Gesprächseinstiegen mit Moderation. Ergänzend dazu experimentiert sie mit „Reading Response Papers“: kurze, ca. zweiseitige Texte, in denen die Studierenden neben einer kurzen Inhaltsangabe mit Kommentar ihre Leseerfahrung dokumentieren.
Nun aber wirken alle diese Maßnahmen nicht, wie Pfadenhauer in ihrem Erfahrungsbericht skizziert: „Dieses Seminarverständnis kann ich mit meinen Bostoner Undergraduates derzeit nicht realisieren – vielleicht eignet es sich überhaupt nicht vor dem 3. Studienjahr, vielleicht nur für Studierende mit wissenschaftlichen Ambitionen, vielleicht gar nicht zum Studieren“. Wie kommt das? Pfandenhauer vermutet auf der Basis ihrer Bemühungen, mit den Studierenden ins Gespräch zu kommen, dass diese sich nicht ganz im Klaren darüber seien, worauf sie hinaus will: Das könne an unpräzisen Formulierungen liegen, daran, dass sie zu wenig Zeit zum Antworten lasse u. ä. Sie versucht es daraufhin mit Arbeitsgruppen: zwei Gruppen bearbeiten die gleiche Frage aus verschiedenen Perspektiven. Auf die Reading Response Papers gibt sie mit kurzen Kommentaren Feedback – aber rechte Zufriedenheit stellt sich nicht ein. Insbesondere mangelt es an dem eingangs genannten, noch vertretbaren Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag.
Nun ist diese Geschichte für sich interessant und regt zum Nachdenken an. Aber es gibt einen zweiten Grund, warum ich auf den Beitrag verweise. Der Erfahrungsbericht von Michaela Pfadenhauer enthält eine Vielzahl kleiner didaktischer Entscheidungen und beschreibt anschaulich, warum sich die Lehrende für was entscheidet – ein schönes Beispiel für ein didaktisches Abwägen von Möglichkeiten der Gestaltung von Interaktionen. Für die Verfasserin aber ist genau das keine Didaktik, was deutlich wird, wenn sie schreibt: „Und weil ich im Seminar ganz ‚normal’ reden will, sträube ich mich gegen (Hochschul-)Didaktik. Ich mag keine Rollenspiele, Arbeitsgruppen, Flipcharts und Kärtchen, weil sie dieses Gespräch verhindern – in aller Regel jedenfalls.“ Hochschuldidaktik ist also gleich Rollenspiele, Arbeitsgruppen, Flipcharts und Kärtchen? Ja, diese Vorstellung ist weit verbreitet – leider. Im September 2013 habe ich diese Vorstellungen auch einmal in einem kurzen Vortrag zusammengefasst (siehe hier). Sicher findet man Gründe für diese Auffassung, sicher sind die vielen „Werkzeug-Koffer“ (die auch mal das eine oder andere Nützliche beinhalten) für das so schlechte Image zumindest mit verantwortlich. Mit meinem Verständnis von Hochschuldidaktik hat das allerdings wenig zu tun. Hochschuldidaktik verstehe ich als Theorie, Empirie und Praxis der Verwirklichung der Idee Bildung durch Wissenschaft (siehe auch hier).
Es ist der Dozentin aus meiner Sicht hoch anzurechnen, wenn sie selbstkritisch nach Möglichkeiten zur Verbesserung ihrer Seminare sucht und sich fragt, wie sie Studierende in der Lehrveranstaltung noch mehr aktivieren kann. Sie wird vermutlich an weiteren Fragen und Überlegungen zur Didaktik nicht vorbeikommen. Warum müssen Lehrende an Hochschulen eigentlich immer wieder so dermaßen gegen die Wand laufen bzw. das (didaktische) Rad neu erfinden? Im Beispiel von Michaela Pfadenhauer fehlt z. B. ganz offensichtlich die Zielorientierung für die Studierenden („Sie sind sich offenbar eher nicht ganz im Klaren darüber, worauf ich hinaus will, was natürlich auch an unpräzisen Formulierungen und dem Mangel an Reformulierungen liegt.“). Die Beschreibung lässt außerdem vermuten, dass es im Seminar gar nicht so sehr um einen möglichen Erkenntnisgewinn für die Studierenden geht. Die Dozentin will diskutieren und Fragen klären, die _sie_ hat. So geht das aus meiner Sicht aber nicht, weil das „Gefälle“ zwischen Dozentin und Studierenden damit nicht überbrückt werden kann, sondern sich eher noch vergrößert. Warum hilft ihr keiner?