Wem gehört die Wissenschaft? Diese Frage habe ich mir gestellt, als ich auf der ersten Seite der aktuellen Ausgabe von Forschung & Lehre unter „Standpunkt“ (hier) einen kurzen Text des Literatur-Professors Hans Ulrich Gumbrecht gelesen habe. Ein Anker für den kurzen Essay von Gumbrecht ist der englische Begriff „Humanities and Arts“. Gumbrecht schreibt, er habe darunter lange einfach „Geisteswissenschaften“ verstanden. Sucht man im Netz nach Übersetzungen, trifft man auf viele Möglichkeiten: „Bildende Künste und Geisteswissenschaften“, „Kunst- und Geisteswissenschaften“, bei „Faculty of Arts and Humanities“ auch die Übersetzung „Philosophische Fakultät“. Gumbrechts eigene Umschreibung von „Humanities“ lautet: „denkende Auseinandersetzung mit Grundproblemen der menschlichen Existenz in verschiedenen thematischen und epistemologischen Dimensionen“. Dazu, so Gumbrecht, gehören auch Gespräche und Kontemplation, also eine „immer neu sich vollziehende Rückkehr der Konzentration zu Fragen, Texten, Figuren und historischen Momenten, die nur selten zu definitiven Antworten führt, aber immer wachsende Komplexität der Erfahrung hervortreibt“. In dieser Tätigkeit aber möchte Gumbrecht lieber gar nicht mehr als „Wissenschaftler“ bezeichnet werden. Es habe Vorzüge, sich vom Begriff der Wissenschaft zu befreien, da dieser in der Regel analog zu den Naturwissenschaften gesetzt und assoziert wird mit: empirischer Verifizierung, akkumuliertem Fortschritt, Drittmittel-Einwerbung, Sonderforschungsbereichen und deren Begehungen.
Ich glaube zu verstehen, was Gumbrecht meint. Oft genug wundere ich mich selbst über die wenig hinterfragte Übernahme von Prinzipien aus den Naturwissenschaften für die Erforschung von Sachverhalten gerade auch im breiten Kontext von „Bildung“, in dem wir wenig mit natürlich gegebenen, aber in hohem Maße mit sozial konstruierten Phänomenen, kulturellen Errungenschaften, individuellen Handlungen etc. zu tun haben. Warum aber den deutschen Begriff der Wissenschaft wie das englische „science“ so sang- und klanglos den Naturwissenschaften überlassen? Warum Forschung auf die empirische Forschung einengen? Warum Empirie auf eine bestimmte Form der Generierung von Auswertung von Daten begrenzen? Weil es zu spät ist, das Wissenschafts-, Forschungs- und Empirie-Verständnis für verschiedene Perspektiven zu öffnen (oder offen zu halten)? Oder weil genau das zu mühevoll ist? Oder weil es letztlich egal ist?