Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Normal? Nein Danke!?

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Heute – so scheint es – muss man beständig innovativ sein. Normalisierung ist vor dem Hintergrund der Allgegenwart von Innovationen so etwas wie Stillstand, Lähmung, in der Folge Rückstand, Erstarrung, und damit eine Gefahr für Organisationen, auch für Hochschulen, deren Entwicklung (Stichwort Hochschulentwicklung) wohl nie so stark eingefordert wurde wie im vergangenen Jahrzehnt. Interessanterweise – so scheint es ebenfalls – brauchen wir heute aber auch überall Standards. Normalisierung ist vor diesem Hintergrund eigentlich eine logische Folge, denn wenn es Standards gibt und man sich an diesen orientiert, führt das zu einem standardisierten Zustand und der ist entsprechend berechenbar, also doch eigentlich auch „normal“. Aber vielleicht liegt die Zukunft ja in einer Standardisierung der Innovation jenseits der Normalisierung? Ginge das? Ich bin mir nicht sicher. Wie auch immer: Neulich bin ich im Kontext Hochschule über den Satz gestolpert, dass Normalisierung eine Gefahr sei. Und darüber musste ich in den letzten Tagen immer wieder nachdenken. Irgendetwas an diesem knappen Satz hat mich gestört, ohne dass ich zunächst hätte sagen können, was genau.

Wendet man den Satz auf Personen an, werden sich die Geister scheiden: Vielen Menschen ist ein gewisses Maß an Normalität schon sehr wichtig, denn wenn man sich außerhalb der „Norm“ (das steckt da ja auch drin) bewegt, ist das ist fast immer anstrengend. Allerdings gibt es auch (wahrscheinlich weniger) Menschen, die genau nicht normal sein wollen, weil sie Normalität als langweilig empfinden und die Anstrengung, sich außerhalb der Norm zu bewegen, in Kauf nehmen, um die damit verbundene Aufmerksamkeit zu erhalten. So oder so: Was normal ist und was nicht mehr so ganz und was ganz bestimmt nicht, ist ja nun etwas, was historisch, regional und kulturell höchst unterschiedlich ist, und selbst zu einer konkreten Zeit an einem konkreten Ort in einer konkreten Kultur lässt sich trefflich darüber streiten, wann man als Mensch normal ist (und wann nicht – mehr).

Wendet man den Satz nun auf Organisationen an, stellt sich die Frage, was normal ist, noch einmal anders, wie ich meine. Nehmen wir als Beispiel eben Hochschulen. Was ist an einer Hochschule normal? Und wann wird Normalisierung – wenn überhaupt – zu einer Gefahr? Betrachten wir einfach mal die drei klassischen Bereiche einer Hochschule: Verwaltung – Lehre – Forschung.

Wenn man die obige Verbindung zwischen Normalisierung und Standardisierung noch einmal aufnimmt, dann komme ich zu dem Schluss: Normalisierung in der Verwaltung kann nicht schlecht sein. Wenn es da Standards gibt, dann ist das wunderbar: Das schafft Verlässlichkeit und Planbarkeit. Normalisierung auf der Ebene der Verwaltung einer Hochschule ist also alles andere als eine Gefahr, sondern ein Hort der Sicherheit und vermutlich für die meisten höchst willkommen. Dass Normalisierung in diesem Sinne in jedem Fall eine Bürokratisierung ist oder zwangsläufig wird (und das würde man dann wahrscheinlich schon als Gefahr sehen), kann ich allerdings nicht beurteilen. In der Verwaltung würde ich die „Normalisierungsampel“, die vor etwaigen Gefahren warnt, dennoch tendenziell auf Grün setzen: Routinen dürften hier vor allem funktional sein.

Schwieriger wird das schon in der Lehre: Nach meinen eigenen Erfahrungen mit der Organisation von Studienprogrammen sowie mit der Planung und Durchführung von Lehrveranstaltungen, komme ich hier zu dem Schluss: Möglichst einfache, aber fest verankerte Standards auf der Ebene der formalen Organisation von Lehre und der rechtlichen und technischen Organisation von Prüfungen sind hilfreich. Warum? Weil das Ressourcen freisetzt für die andere Ebene, nämlich die der inhaltlichen Gestaltung von Programmen, Modulen, Veranstaltungen und Prüfungen. Auf dieser Ebene sehe ich Normalisierung im Sinne von „haben-wir-schon-immer-so-gemacht“, „läuft-doch-soweit-erträglich-warum-soll-ich-was-ändern“ durchaus als Gefahr. Eingeschliffene Routinen, die nicht mehr reflektiert werden, die Experimente in der Lehre zum Störfaktor machen, können in der Tat zu Stillstand und Rückstand führen. In der Lehre würde ich daher die „Normalisierungsampel“ auf Gelb setzen, denn hier ist sicher Achtsamkeit geboten.

Kommen wir zur Forschung: In der Forschung kann (muss?) man die Normalisierung aus verschiedenen Gründen, so denke ich, kritisch sehen. Auch wenn gerade für die Forschung Standards wichtig sind (nämlich bei Methoden), gehört es natürlich auch zum Wesen der Wissenschaft, genau solche Standards immer wieder zu hinterfragen und weiterzuentwickeln. Standards dürfen nicht zu Dogmen werden, denn das wäre ein Widerspruch in sich gegenüber der Kritikfähigkeit, die man von den Wissenschaften erwarten darf oder wohl auch muss. Wenn Wissenschaft zu einer „Normalwissenschaft“ wird, dann werden Abweichungen immer weniger geduldet, dann erstarrt das Wissenschaftssystem, dann erlahmt die Kreativität der Forscher. Nun kann man natürlich an der Stelle einwenden, dass es auch nicht sein könne, dass jeder macht, was er will (und bei solchen Gelegenheiten machen sich viele gerne über den nie gelesenen Paul Feyerabend und seinen aus dem Zusammenhang gerissen Spruch „Anything goes!“ lustig). Aber dieser Einwand ist letztlich lächerlich, denn Wissenschaft steht ja ohnehin stets unter Kontrolle, nämlich unter Selbstkontrolle der Peers. Wichtig ist daher die Offenheit der Wissenschaftler für Neues – auch für Abweichendes, auch für das, was sich auf den ersten Blick der üblichen Norm entzieht. In der Forschung würde ich die „Normalisierungsampel“ daher ganz klar auf Rot setzen: Ja, hier ist in jedem Fall Gefahr in Verzug!

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