„Bildung durch Wissenschaft. Skizze einer universitären Wissenschaftsdidaktik“. Das ist der Titel eines online hier zugänglichen Dokuments – entstanden im Rahmen des Projekts „KOSMOS – Konstruktion und Organisation eines Studiums in offenen Systemen“ und verfasst von Wolfgang Nieke und Konstantin von Freytag-Loringhoven.
Das Dokument ist allein schon deswegen interessant, weil es den Vorschlag einer Wissenschaftsdidaktik aufgreift, wie er 1969 auf einer Tagung an der Universität Bielefeld vor allem von Hartmut von Hentig formuliert worden ist (erschienen sind die Tagungsergebnisse in der Zeitschrift „Neue Sammlung“ im Jahr 1970 unter dem Titel „Wissenschaftsdidaktik“, herausgegeben von Hartmut von Hentig, Ludwig Huber und Peter Müller).
Der Text enthält einige streitbare Thesen und Forderungen, aber genau deshalb finde ich ihn auch lesenswert. Er fordert auf diese Weise dazu auf, die inzwischen offenbar internalisierten Aufforderungen, selbstorganisiert zu lernen und den „shift from teaching to learning“ zu vollziehen, zu hinterfragen und ruhig mal kritisch zu diskutieren. Für eine solche Diskussion dürften die Ausführungen ab dem Punkt 4.3 (insbesondere ab Seite 22) instruktiv sein: Hier stellen die Autoren die universitäre Lehre ganz in den „Dienst der Wissenschaft“ und fordern, die bisherigen Konzepte der Hochschuldidaktik einer umfassenden Revision zu unterziehen.
Kritisch erörtert wird erstens die „Lernererorientierung“ mit einem Hinweis auf die Zeigepädagogik von Klaus Prange (später auch auf die kategoriale Didaktik von Wolfgang Klafki) und dem Vorschlag, der „Präsentation“ wieder mehr Raum zu geben (kultur- statt lernerorientiert). Betont werden zweitens die Vorbildfunktion von Lehrenden und das erforderliche Vertrauen in der Lehre. Drittens wird dafür plädiert, dass Studierende von Anfang an selber forschen – wenn auch unterstützt durch Beratung und Anleitung.
Unter Punkt 5 (ab Seite 24) skizzieren die Autoren ihre “Organisation einer Wissenschaftsdidaktik“. Eine Prämisse ist: „Die Konstruktion einer Wissenschaftsdidaktik kann nur kooperativ im Team aus Fachwissenschaftlern und Bildungswissenschaftlern geschehen“ (S. 24). In weiteren Punkten geht der Text auf Lehrformate, etwas näher auch auf das Forschende Lernen, ein. Dabei machen die Autoren mehrfach klar, dass es ihnen um ein „Bildungsstudium“ und darum geht, dass Studierende Sprachkompetenz, einen „Wissenschaftshabitus“ und Fachkompetenz entwickeln und lernen, Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen.
Ich würde nicht jedem Satz in diesem Beitrag zustimmen. Auch ist mir der Argumentationsgang nicht durchgehend klar. Trotzdem halte ich den Beitrag aus den oben schon genannten Gründen für lesenswert. Ich entnehme dem Text unter anderem Hinweise darauf, darüber nachzudenken, in welchem Verhältnis in einem wissenschaftlichen Studium Lehrende, Lernende und die Wissenschaft und Gesellschaft zueinander stehen und was das für die Organisation und Gestaltung von Studiengängen und Lehrveranstaltungen heißt bzw. heißen kann (ohne reflexartig immer nur auf DIE Lernerorientierung zu pochen). Ob man dabei zu dem Schluss (wie die Autoren) kommt, dass die Universität der „Kulturtradierung“ und nicht dem „einzelnen Lernenden“ gegenüber verpflichtet ist (S. 25), sei dahin gestellt. Nachdenken kann man darüber allemal …