Seit Dezember 2014 gibt es das Themenheft zum Übergang von der Schule zur Hochschule bei der Zeitschrift für Hochschulentwicklung (hier). Die Inhalte der Beiträge reichen u. a. von fachspezifischen Fragen studentischer Erwartungen über Maßnahmen für einen besseren Einstieg in ein wissenschaftliches Studium bis zu psychologischen Voraussetzungen zu Studienbeginn. Auf einen Beitrag möchte ich an der Stelle besonders hinweisen – den von Brahm, Jenert und Wagner zur „subjektiven Wahrnehmung des Übergangs Schule – Hochschule“. Der Text (hier online) berichtet über die Ergebnisse einer empirischen Studie an der Universität St. Gallen und damit (so die eigene Bezeichnung) an einer Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften sowie Internationale Beziehungen, was bei der Interpretation der Ergebnisse zu beachten ist.
Die Autoren/innen des Textes konzentrieren sich auf das Merkmal der Selbstwirksamkeit – ein in der Lern- und Motivationsforschung seit langem bekanntes Konstrukt – und stellen fest, dass sich Studierende im Ausmaß wie auch in der Entwicklung der Selbstwirksamkeit (im Verlauf des ersten Studienjahres) unterscheiden – allerdings auf einem insgesamt hohen Niveau, und das heißt: Man kann Studierende zwar danach einteilen, ob sie in einem hohen, mittleren oder niedrigeren Maße erwarten, den Herausforderungen des Studiums gewachsen zu sein; es befürchtet aber kaum jemand, den Anforderungen des Studiums hilflos ausgeliefert zu sein. Interessant ist außerdem der entdeckte Gender-Unterschied: Studentinnen neigen offenbar zu geringeren Selbstwirksamkeitserwartungen als Studenten selbst dann, wenn sie die Schule mit einer besseren Note abgeschlossen haben. Die Folgerungen für die Praxis, die die Autoren/innen formulieren, kann ich gut nachvollziehen (also z.B. Diagnose der Selbstwirksamkeit für eine Binnendifferenzierung von Unterstützung; Coaching für besonders ängstliche Studierende; generell Förderung der Selbstreflexion für eine bessere Einschätzung der eigenen Stärken und Schwächen etc.).
Ich kann den Autor/innen in der Annahme gut folgen, dass Selbstwirksamkeit ein wichtiges Merkmal ist, welches das Lern- und Studierverhalten beeinflusst. Insbesondere die Verbindung etwa mit Prüfungsangst und anderen emotional-motivationalen Konstrukten liegt nahe (dazu siehe auch mein Vortrag auf der ILIAS-Konferenz in Bozen – hier).
Wenn ich die Studienergebnisse und Folgerungen mit meinen persönlichen Erfahrungen vergleiche, dann muss ich sagen, dass es gar nicht so einfach zu entscheiden ist, was man als „Soll“ zu Studienbeginn erwarten, erhoffen und dann eben auch fördern sollte: Mehr Selbstwirksamkeit oder weniger Selbstwirksamkeit? Mehr Selbstwirksamkeit ist gut, wenn man damit Angst bekämpfen kann, denn Angst ist wohl immer ein schlechter Lernbegleiter (bzw. ein Hindernis für tiefes Lernen); weniger Selbstwirksamkeit könnte aber ebenfalls gut sein, nämlich dann, wenn man damit verhindert, dass sich Studierende selbst überschätzen, in der Folge auch überfordern und/oder sich mit oberflächlichem Lernen zufrieden geben. Womöglich gibt es auch verschiedene Formen von Selbstwirksamkeit: die Erwartung etwas bewirken zu können im Sinne einer Veränderung der Außenwelt („mit meinem Verhalten verändere ich etwas, erzeuge eine nach außen sichtbare Wirkung“) oder im Sinne einer Veränderung nach innen („ich kann selbst hinbekommen, mir diese oder jene Fähigkeit anzueignen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen“).
Ich vermute mal, dass auch der jeweilige „Zeitgeist“, die gesellschaftlichen Normen und die impliziten und expliziten Erwartungen von Eltern, Arbeitgebern, Medien etc. an Studienanfänger einen Einfluss darauf haben, wie wirksam sich Studierende fühlen (oder glauben, fühlen zu müssen), was sie eigentlich selber bewirken wollen, welche Ängste sie haben, vor welchen Anforderungen sie sich fürchten etc. Hier anzusetzen, ist natürlich weitaus schwieriger und unbestimmter als sich nach didaktischen Maßnahmen umzusehen. Trotzdem könnte es auch ein Ansatzpunkt sein: Es wäre wahrscheinlich vielen Studierenden geholfen, wenn sie auch mal Botschaften hören würden, die in eine andere als die heute übliche Richtung gehen: z.B. die Botschaft, dass man mit 22 nicht bereits zweimal im Ausland gewesen sein MUSS, dass man nicht schon mindestens zwei Praktika gemacht haben MUSS, dass man nicht fließend mindestens drei Sprachen sprechen MUSS, dass nicht der Beste ist, wer am meisten gemacht hat. Selber etwas zu bewirken, sieht nämlich ohnehin anders aus …