Dualismen machen das Leben, das Wahrnehmen, vor allem das Entscheiden leichter, geben einem Sicherheit und zerstreuen Zweifel – auch an der Hochschule und in der Hochschuldidaktik. Dualismus bedeutet so viel wie Polarität, Zweiheit, auch Gegensätzlichkeit. Mit Dualismen in der Hochschullehre und Hochschuldidaktik beschäftigt sich ein Text von Bruce Macfarlane, über dessen Inhalt es sich aus meiner Sicht lohnt, genauer nachzudenken:
Macfarlane, B. (2015). Dualisms in higher education: a critique of their influence and effect. Higher Education Quartely, 69 (1), 101-118.
Macfarlanes Ausgangsthese ist: Grob vereinfachende Dualismen spielen im Denken auch akademischer Gemeinschaften eine große Rolle; speziell in der Hochschullehre und Hochschulbildungsforschung (higher education research) lassen sich hierzu viele Beispiele finden. Dualismen, so Macfarlane, werden selten hinterfragt, halten aber einer kritischen Prüfung ebenso selten Stand. Er unterscheidet drei Arten von Dualismen: (a) moralische Dualismen, die zwischen Gut und Böse in verschiedenen Variationen unterscheiden, (b) soziale Dualismen (genauer: „othering dualism“), mit denen eine Gruppe von Menschen (oder deren Haltungen/Ideen) von anderen isoliert wird, und (c) Ordnungsdualismen, mit denen jeweils verschiedene Prinzipien unterschieden werden (z.B. Körper-Seele, Natur-Kultur, Universalismus-Relativismus etc.). Letztere werden dann (etwa in Abhängigkeit von der verwendeten Sprache) mitunter auch zu moralischen oder sozialen Dualismen. Macfarlane skizziert in seinem Text neun Dualismen, die ihm in der Hochschullehre/Hochschuldidaktik auffallen:
Moralische Dualismen wie (1) Kollegialitätsprinzip versus New Public Management-Prinzip, (2) Studierendenzentrierung versus Lehrendenzentrierung, (3) Tiefenlernen versus Oberflächenlernen; soziale Dualismen wie (4) akademisch versus nicht-akademisch, Ordnungsdualismen wie (5) Forschung versus Lehre, (6) alte Universitäten versus neue Universitäten, (7) (geistes-)wissenschaftlich versus beruflich, (8) öffentliche Universitäten versus private Universtäten, (9) Hochschulbildung versus Weiterbildung.
Ich greife exemplarisch den zweit genannten Dualismus heraus, weil ich glaube, dass dieser besonders relevant (und ungünstig) für die Hochschuldidaktik ist. Es ist quasi in den Mainstream übergegangen, dass man studierendenzentriert zu lehren hat, dass der Lehrende nicht mehr vermitteln, sondern als Coach und Lernbegleiter agieren soll (S. 105 ff.). Kritisch ist das in mindestens dreifacher Hinsicht: Erstens bleibt völlig unbegründet, warum der Lehrende keinerlei vermittelnde Rolle mehr haben bzw. warum er sich darauf beschränken sollte, nur mehr selbstorganisierte Lernprozesse zu begleiten. Zweitens hat dieser Dualismus zu ausgeprägten Bewertungen in Richtung „Studierendenzentrierung ist gut“ und „Lehrendenzentrierung ist schlecht“ (S. 105) geführt, ohne zu differenzieren, was in entsprechenden Settings eigentlich genau passiert. Drittens bleibt die Studierendzentrierung vielerorts eine „rhetorische Prahlerei“ (S. 106), denn die Wirklichkeit an Hochschulen sieht in der Regel anders aus – da wird vermittelt und da werdende Studierende in einigen Disziplin/Fächern nach wie vor in eine fast ausnahmslos rezeptive Rolle gedrängt.
Ich möchte einen vierten Punkt ergänzen, der nicht in Macfarlanes Text steht, mir aber dennoch wichtig erscheint: Es handelt sich bei der Studierenden- versus Lehrendenzentrierung gar nicht um einen „echten“ Dualismus, denn Lehren und Lernen und damit Lehrende und Lernende sind keine Pole eines Kontinuums, sondern zwei Seiten einer Interaktion in dem, was man Unterricht nennt (siehe auch hier).
Das Thema Dualismen ist tatsächlich sehr relevant. Die Entgegensetzung von „studierendenzentrieren“ vs. „lehrendenzentrierten“ Methoden führt mitunter zu einer Methodengläubigkeit. Schnell werden „aktivierende Lehrmethoden“ gleichgesetzt mit Lernerfolgen und man glaubt, mit einem „Worldcafé“ würde man bereits Lernen anregen. Bettina Zurstrassen hat in einer Rezension eines Sammelbandes zur Didaktik in der Soziologie diese Haltung kritisiert. Moderationstechniken dieser Art können, so Zurstrassen, tatsächlich auch bestimmte Lernertypen behindern. Ich selber habe zudem erlebt, dass die Dynamik von Gruppenarbeit etwa sehr kontraproduktiv wirken kann. Aber wenn man mit vereinfachenden Dualismen arbeitet, übersieht man schnell dass hier die Aufgabe noch aussteht, diese Instrumente erst didaktisch handhabbar zu machen.
Vielfach begnügt man sich aber damit, sich demonstrativ einem neuen Trend anzuschließen und Innovation eben zu inszenieren. Unterstützt wird das durch „Kitsch“ und „pädagogische Überredungsbegriffe“ (Reichenbach). Auf einer Tagung zum Thema Qualitätsmanagement ist mir aufgefallen, wie stark wertbezogen viele QM-Aktive argumentierten. So wurde häufig betont, dass man das Gute wolle, dass man von dem Potenzial des QM überzeugt sei und diese Überzeugung authentisch vertrete und dass QM das Richtige sei. Entsprechend emotional aufgeladen wurde auch debattiert. Anstatt zu reflektieren, mündeten viele Beiträge in Emphase und Pathos.
Diese Haltung und Selbstinszenierung kann auf dem Boden des Gut-/Böse-Dualismus gedeihen, angeschlossen an einen „historischen“ Dualismus des Vorher/Nachher. Bologna wird dann als harte Zäsur interpretiert, zur Stunde Null erklärt, zu einem Neuanfang, was aber zu einer Sortierung führt: Altmodisches aus Zeiten vor der Reform wird abgewertet, das Neue hingegen euphorisch begrüßt.
Es ist nun einerseits naiv, zu glauben, man könnte die universitäre Lehre plötzlich vollkommen neu erfinden. Andererseits werden eben Scheingegensätze erzeugt wie der von Ihnen erwähnte zwischen „Instruktion“ und „Konstruktion“ oder ebenfalls von Ihnen genannte zwischen „Kompetenz“ und „Wissen“, wobei man dann manchmal so tut, als hätte es vor der Reform von dem als gut bewerteten Teil der Unterscheidung nichts gegeben.
Ich habe selber in meinen Veranstaltungen durchaus aktivierende Methoden und Moderationstechniken eingesetzt. Die häufig naive, dafür umso stärker normative Euphorie vieler Hochschuldidaktiker wirkt aber abschreckend, weil sie die Analyse der mit diesen Techniken verbundenen didaktischen Probleme blockieren und weil – selbst auf Tagungen – Methoden wie das „Worldcafé“ oft stark infantilisierend wirken.