Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

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In der aktuellen Ausgabe der Psychologischen Rundschau (Psychologische Rundschau, 66 (4), siehe hier) findet sich eine interessante Diskussion zu Fehlauffassungen im Bereich Lehren und Lernen mit Anwendungsbeispielen in der Hochschullehre. Alexander Renkl liefert dazu den Impuls mit einem Beitrag, der den Titel trägt: „Drei Dogmen guten Lernens und Lehrens: Warum sie falsch sind (Renkl, 2015, 211 – 220). Ich kopiere hier mal das Abstract rein, weil es die Inhalte gut auf den Punkt bringt:

„Es werden Fehlannahmen (Dogmen) über Fragen des Lernens und Lehrens in Schule und Hochschule diskutiert, die in öffentlichen, aber auch in fachlichen Diskussionen immer wieder zum Vorschein kommen. Das Konstruktivismus- und Aktivitätsdogma besteht darin, Lernarrangements ungerechtfertigter Weise in solche einzuteilen, die entweder passives oder aber konstruktives und aktives Lernen fördern. Das Dogma des guten Unterrichts spiegelt sich in der Annahme wider, dass es DEN guten Unterricht gibt. Das Strukturreformdogma manifestiert sich darin, dass bei Bemühungen um die Verbesserung von Bildungsqualität weniger das eigentlich ausschlaggebende Lehr-Lern-Geschehen im Unterricht als vielmehr Schul- oder Hochschulstrukturen fokussiert werden. Die Relevanz der Identifizierung dieser drei Dogmen wird exemplarisch an vier (immer wieder einmal) aktuellen Themen der Hochschullehre aufgezeigt: Vorlesung als veraltete Lehr-Lern-Methode? Problembasiertes Lernen als Qualitätsmerkmal von Hochschullehre? Evaluation von Lehrveranstaltungen durch Studierende? Reform der Lehramtsausbildung zur Verbesserung des Schulunterrichts?“

In Bezug auf die Vorlesung kommt Renkl zu dem Schluss, dass die immer wieder auftauchende Forderung, diese abzuschaffen, nicht gerechtfertigt sei: „Auch vermeintliche empirische Evidenz für derartige Forderungen verliert bei genauerer Betrachtung schnell an Überzeugungskraft. Sinnvoll ist eine lernziel- und lernvoraussetzungsangemessene Auswahl von Lehr-Lern-Formen, die dann in qualitativ hochwertiger Form zu realisieren sind“ (S. 216 f.)

Was das problembasierte Lernen als Qualitätsmerkmal von Hochschullehre betrifft, weist Renkl darauf hin, dass es nicht überzeugend sei, eine einzige Lehr-Lernform als Ikone vor sich herzutragen, damit mehr oder weniger Marketing zu betreiben und in diesem Zusammenhang die Abhängigkeit der Passung einer Lehrform von Lernzielen und Lernvoraussetzungen zu vernachlässigen.

In der kritischen Auseinandersetzung mit der Evaluation von Lehrveranstaltungen durch Studierende schließt Renkl seine Ausführungen mit der Feststellung, dass es nicht sinnvoll sei, einzelne didaktische Elemente oder Verhaltensweisen von Lehrenden mit Fragebogen-Items abzufragen und daraus Qualitätsurteile über die Lehre zu ziehen (was Evaluationen insgesamt allerdings nicht obsolet mache).

Zu diesem Beitrag, der für sich bereits lesenswert ist (ich muss sagen, dass ich Renkl in vielen Punkten zustimme), kommen noch vier Kommentare namhafter Kollegen/innen: Rainer Bromme, Cornelia Gräsel, Elsbeth Stern und Ewald Terhart setzen sich mit Renkls „Dogmen guten Lernens und Lehrens“ in eigenen kurzen Texten auseinander. Und das ist gleich noch lesenswerter! Bei der Lektüre habe ich oft an meine eigenen Erfahrungen mit den Kommentaren zu meinem Artikel zur Vermittlungswissenschaft (siehe hier) in der Zeitschrift „Erwägen – Wissen – Ethik“ denken müssen. Auch die Kommentatoren von Renkls Beitrag greifen recht unterschiedliche Teilaspekte aus dem Beitrag heraus und machen diese zu Kernpunkten, kritisieren dann deren unterkomplexe Darstellung und bemängeln das Fehlen weiterer Aspekte. Stellenweise beißen sich die Kommentaren an einzelnen Begriffe fest, hier vor allem am Begriff des Dogmas: Dieser treffe in seiner theologischen Fundierung nicht das, was Renkl diskutieren wolle. Das ist nun insofern ganz interessant, als dass hier quasi ein Nebenschauplatz eröffnet wird, der an den Botschaften Renkls eigentlich ziemlich vorbei geht. Diskutiert wird auch die Zielgruppe des Textes gepaart mit dem Hinweis, dass der Beitrag für Bildungswissenschaftler nichts Neues enthalte.

Renkl zeigt sich in seiner Erwiderung auf die vier Kommentare (so scheint es zumindest) etwas irritiert angesichts der aus seiner Sicht entstandenen Missverständnisse etwa in Bezug auf den Begriff des Dogmas (diesen habe er nur im umgangssprachlichen und nicht in einem theologischen Sinne gemeint), aber auch in Bezug auf die Zielgruppe, die er beim Schreiben im Auge gehabt habe (nämlich wissenschaftlich arbeitende und an einer Hochschule lehrende Psychologen).

Renkl beendet die Diskussion schließlich wie folgt: „Aus den Kommentaren entnehme ich ein Unbehagen, das wohl in der von mir gewählten Fokussierung begründet ist: Diskussion dreier typischer Fehlauffassungen und deren Implikationen für ausgewählte Fragen der Hochschullehre. [..] Ich denke, dass die Kommentator/inn/en eher froh sein können, dass sie nur einen ´fokussierten Artikel´ zu lesen hatten, nicht einen, in dem ich versucht hätte, noch etliche der in den Kommentaren angesprochenen Erweiterungen zu integrieren, wie etwa die psychologische Analyse der Art der Fehlauffassungen, Wissenschaft und Öffentlichkeit, epistemologische Überzeugungen, Werte und multiple Ziele in Bereich der Bildung, Evidenzbasierung in der Bildungsforschung, soziologische Betrachtung auf Makro-, Meso- und Mikroebene, Inklusion und Heterogenität im Unterricht und Wert interdisziplinärer Kooperation in der Bildungsforschung. Ich bin jedenfalls heilfroh, dass ich mir erstens nicht einen Artikel vorgenommen habe, der all dies zu integrieren versucht, und dass mir zweitens die Kommentare die Arbeit abgenommen haben, interessante Aspekte zu ergänzen.“

Ich wünsche mir mehr von diesen Diskussionen. Sie sind eine Bereicherung – für Leser/innen und Autoren/innen – und sie regen die Diskussion auf einem hohen Niveau an, das man auf Tagungen in dieser Form mündlich kaum erreichen kann. Ich halte das für wichtig, weil wir meiner Einschätzung nach zu wenig diskutieren bzw. uns zu wenig im sozialen Austausch mit verschiedenen wissenschaftlichen Beiträgen intensiv auseinandersetzen – und zwar jenseits der Selektion und Bewertung aus Selektionsgründen.

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