Seit sich der Soziologe Hartmut Rosa kritisch mit der Zeitalter der Beschleunigung auseinander gesetzt hat (hier), scheint er sich vermehrt dagegen wehren zu müssen, als Entschleunigungsguru angesehen zu werden. Das jedenfalls kann man in einem aktuellen Interview (hier) hören, das sich um den „ewigen Steigerungszwang“ dreht. Ausgangspunkt der Überlegungen von Hartmut Rosa ist die Feststellung, dass Menschen immer mehr bestimmte Dinge nicht um ihrer selbst willen tun, sondern um damit etwas zu erreichen bzw. um das ökonomische Kapital, das soziale Kapital, das kulturelle Kapital, ja sogar das Körperkapital zu steigern. Auch die Hochschulen ticken inzwischen so: „An Hochschulen zum Beispiel heißt es, es war ein gutes Jahr, wenn wir mehr Studierende haben, mehr Doktoranden, mehr Drittmittel, mehr internationale Publikationen usw.“ (was unter anderem an die Erkenntnisse von Richard Münch erinnert – siehe z.B. hier). Und genau das werde dem Menschen zum Problem, ohne dass er es aber alleine lösen könnte: „Es ist ganz wichtig zu sehen, dass man nicht einfach nur entschleunigen kann oder solche Oasen für alle schaffen, während gleichzeitig das System weiterhin ein Steigerungssystem ist.“ Das sei der kritische Punkt, denn moderne kapitalistische Gesellschaften setzen auf Steigerungen, weshalb man letztlich Systemreformen brauche; oder anders formuliert: Die große Sehnsucht der Menschen nach Langsamkeit und Resonanz sei unter den Bedingungen des Steigerungszwanges nicht möglich.
Ein wichtiger Faktor in dieser Entwicklung ist laut Hartmut Rosa die Technik: Wenn man Jugendliche danach frage, wie wir in 20 Jahre leben wollen, dann würden sie nicht nach politischen, sondern nach technischen Möglichkeiten suchen, um die Welt zu gestalten. Dahinter stünden die Erwartung und auch das Versprechen, dass Technik Welt in Reichweite bringe. Aber auch diese Erwartung gehe nicht auf, was er an Beispielen demonstriert.
An der Stelle kommt dann im Interview auch die Postwachstumsgesellschaft ins Spiel, die aber natürlich keine Welt des Stillstands sei und unsere Werte weiter transportiere – nämlich eine Gesellschaft, die pluralistisch, liberal und demokratisch selbstbestimmt ist. Anders lasse sich das kaum vorstellen. Notwendig dafür sei eine ökonomische Reform, die mit der Steigerungslogik Schluss macht, die dem Kapitalismus eingebaut ist. Notwendig sei außerdem eine Reform des Sozialstaates, der nicht nur, wie heute, Zuwächse verteilt, sondern unter anderem jedem ein Grundeinkommen sichert. Und auch das eigene Leben müsse man reformieren: „Wir fragen uns eigentlich ´Geht es mir gut?´, indem wir einen Blick werfen auf unser kulturelles, ökonomisches, soziales und Körperkapital“ – und damit wäre man wieder am Anfang (des Interviews) und es bliebt die Frage: Was machen wir da eigentlich wozu und wer oder was treibt uns dazu an?