Einmal im Monat kommt per E-Mail der DHV-Newsletter. Vor ein paar Tagen habe ich die dritte Ausgabe von 2016 geöffnet; die erste drei Kurzmeldungen trugen die Titel: Eckpunkte der Exzellenzinitiative sollen stehen – Hochschulleitungen für exzellente Förderung über Spitzenforschung hinaus – Neue Förderpläne für innovative Hochschulen, wobei es auch unter dem dritten Titel um Leistung und Exzellenz geht. Letzten Monat (siehe hier) sah es ganz ähnlich aus; da hieß es: Exzellenzinitiative I: Imboden-Kommission legt Bericht und Empfehlungen vor – Exzellenzinitiative II: DHV will Neuausrichtung – Exzellenzinitiative III: HRK gegen Exzellenzregionen.
So viel Exzellenz – und natürlich will jeder exzellent sein. Und was ist das Gegenteil? Exzellent stammt aus dem lateinischen ex-cellere, was so viel bedeutet wie „herausragen“. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass man mit Exzellenz auch meine, aus etwas herauszuragen, was einem am Normal- oder Mittelmaß festhält. Dann wäre das Gegenteil von exzellent also normal. Was wiederum normal ist, dürfte, wenn man in der Wissenschaft und an Hochschulen bleibt, unter anderem davon abhängen, wie viele wie schnell in welchem Ausmaß exzellent sind, denn: Wenn viele exzellent sind, wird sich das, was als normal bzw. als Mittelmaß gilt, immer weiter nach oben verschieben. Oder anders formuliert: Was gestern noch exzellent war, ist heute leider nur noch normal. Und wie nennen wir eigentlich das, was unterhalb der Normalität liegt?
Jedenfalls hat mich der DHV-Newsletter an einen Text erinnert, der schon einige Jahre alt, aber aus meiner Sicht nach wie vor aktuell ist: „Elite und Exzellenz – Machttheoretische Analysen zum neuerem Wissenschaftsdiskurs“ von Norbert Ricken, online zugänglich hier. Der Beitrag setzt sich ausführlich mit dem Begriff der Exzellenz im Wissenschaftsdiskurs auseinander. Zum Zeitpunkt der Entstehung und Publikation des Textes war auch von „Elite“ in vielen Diskussionen zu hören, was aber meiner Beobachtung zufolge abgeklungen ist. Exzellenz ist dagegen weiterhin ein großes Thema – und natürlich gibt es einen Grund dafür, dass der Begriff im Moment ständig verwendet wird: Die Politik arbeitet an der Fortführung der Exzellenzinitiative. Exzellenzunis, Exzellenzcluster, Exzellenzzentren – alle wollen das: die Politik, die Öffentlichkeit, die Wissenschaft, die Wirtschaft. Exzellent soll auch die Lehre sein, und der einzelne Wissenschaftler natürlich auch und auch der Mitarbeiter – keine Bewertung mehr, die ohne „herausragend“ auskommt, weil alles andere ja nur normal (oder etwas Schlimmeres) wäre.
In seinem Text führt Ricken die Geschichte und Bedeutung des Begriffs Exzellenz aus und kommt zu dem Schluss: „Die ´Macht der Exzellenz´ verdankt sich […] sowohl der selbsterklärenden Kraft des Begriffs – ´Exzellenz´ erkennt man, wenn man sie trifft – als auch seinem implizierten (Selbst-)Anspruch, dem man sich – schon gar mit guten Gründen – kaum entziehen kann, und der einen doch irgendwie beschämt zurücklässt“ (S. 201).
Im weitere Verlauf des Textes untersucht Ricken die „Diskurse der Exzellenz“ und stellt fest, dass diese nicht entlang der oben genannten Differenz von Exzellenz und Mittelmaß oder Normalität verläuft, sondern auf andere Diskurse ausweicht: auf den der Ökonomisierung (z.B. Richard Münch) oder auf den der Ungleichbehandlung (z.B. Michael Hartmann). Ricken dazu: „So berechtigt und plausibel diese beiden Zugriffe auch sind, so sehr akzeptieren sie aber eine Implikation, die – mit Blick auf die Eigentümlichkeit von Wissenschafts- und Forschungsprozessen – wenigstens nicht unproblematisch ist: dass Wissenschaft als formale Leistung verstanden und bemessen werden kann und soll“ (S. 202). Die Frage nach Inhalten, nach Zweck und Sinn von Wissenschaft bleibe in der Folge außen vor. Die Auswahl von Forschungsschwerpunkten und -fragen werde beliebig, der Ort der Universität und dessen Sinne würden sich auflösen.
Und gibt es dazu auch etwas Aktuelles? Ja, gibt es: Peter Strohschneider verteidigte kürzlich den Begriff der Exzellenz in einem Interview in der Zeitschrift INDES so, dass er diesem die Funktion einer „Marke“ zuspricht, deren Aussagekraft nicht allzu hoch sei: „´Exzellenz´ ist eher eine wissenschaftspolitische Marke […] denn ein programmatischer Begriff. Als solchen verwende ich lieber den Ausdruck ´allerbeste Forschung´. Wenn man Wissenschaft allein unter dem Code ´exzellent/nicht-exzellent´ beobachtete, dann würde das mit erheblichen Einbußen an Analysefähigkeit einhergehen. ´Exzellenz´ ist nämlich ein digitaler Ausdruck. Brauchbarer sind Kategorien wie ´Qualität´, die man skalieren kann. In diesem Sinne verwenden wir selbstverständlich auch in der DFG Namen wie ´Exzellenzinitiative´ und ´Exzellenzcluster´ oder ´Exzellenzzentrum´, während dann typischerweise von Forschung auf einem sehr guten oder außerordentlichen Qualitätsniveau die Rede ist, wenn es anstatt um die Marke um Kategorien geht.“ (der Beginn des Interviews ist online hier zugänglich, das ganze Interview findet man in der elektronischen Ausgabe in Uni-Bibliotheken).
Allerdings entfaltet diese wissenschaftspolitische Marke eine große Macht: In der Klinischen Psychologie beschäftigt man sich bereits mit mentalen Wirkungen beim Individuum. In einem aktuellen Buch mit dem Titel „Perfektionismus und seine vielfältigen psychischen Folgen“ setzt sich der Autor Nils Spitzer unter anderem mit der Frage auseinander, wie sich das wachsende Perfektions- und Exzellenzstreben in der Gesellschaft auf den Einzelnen auswirkt, welche Vorzüge das haben kann und welche negativen Erscheinungen zu beobachten sind. In einem Kapitel, das der Entwicklung unserer Gesellschaft gewidmet ist, kommt er zu dem Schluss, dass das erwünschte Exzellenzstreben zu einer Art mentaler Fehlhaltung werden könne: „Die Begeisterung der Gesellschaft für die Optimierung ihrer ´Insassen´ macht aus dieser mentalen Fehlhaltung allerdings in der Gegenwart ein epidemisches Problem“ (S. 40).
Der Mechanismus, dass man Menschen auch über ihren eigenen Wunsch nach Optimierung und Selbstverwirklichung steuern kann, ist lange bekannt. Ich denke, das funktioniert im Rahmen der Wissenschaft immer schon sehr gut – daran ist auch nicht zwingend etwas auszusetzen. Aber das ist nur ein Aspekt. Nils Spitzer nennt einen weiteren und verweist darauf, dass Perfektionismus auch eine maximierende Moraltheorie sei: „Sie gibt jedem Menschen vor, die größte Vollkommenheit zu erreichen, die er erreichen kann. Und sie fordert von einem guten Staat, jedem Einzelnen die dafür nötigen Mittel bereitzustellen. Auch hier geht es also um die Bedingungen für ein bestmögliches Leben – als Anforderungen an einen Staat, aber auch an den Einzelnen. Anders als liberale Theorien, denen es um faire Bedingungen und freie Entscheidung des Einzelnen ohne Einmischung geht, formulieren perfektionistische Theorien ´how people should live´ […]“ (S. 41).
Das Thema ist also mindestens ambivalent und entsprechend wert, diskutiert zu werden – in den Wissenschaften allemal, was Norbert Ricken eindrücklich klar macht, wenn er im Zuge der Exzellenzdiskussion auf die Notwendigkeit verweist, den Sinn und Zweck von Wissenschaft nicht aus den Augen zu verlieren. Leider aber wird „Exzellenz“ als Ziel und Leitkriterium kaum mehr ernsthaft diskutiert oder gar hinterfragt; argumentative Auseinandersetzungen zur Exzellenz sind rar geworden; deren Existenz als Marke scheint allseits akzeptiert. Die Frage bleibt, wie wissenschaftlich genau das am Ende ist.