„Eine gute Pädagogik macht sich unsichtbar. Sie lässt Ernsthaftigkeit und Leidenschaft an einer Sache in den Vordergrund treten.“ Das steht auf der Einstiegsseite von lehr-lernforschung.org von Ines Langemeyer am KIT (ich habe hier bereits vom KIT berichtet). Ich habe jetzt erst entdeckt, dass auf dieser Seite – unter dem Reiter ENTDECKENderLEHRE – auch die Antrittsvorlesung nachzulesen ist.
Der Vortrag dreht sich um das Forschen und darum, forschen zu lernen. Im Zentrum stehen die Begriffe Können und Könnerschaft sowie folgende Fragen: Worin besteht Könnerschaft, wenn wir forschen? Wie lässt sich das Verhalten im Forschungsprozess als Können verstehen? Gibt es hier etwas, das man verallgemeinern kann? Woran erkenne ich, dass im Forschen Können und nicht Unwissenheit, Nachlässigkeit oder Dilettantismus vorliegen? Welches Können gilt es, durch Studium und Lehre zu entwickeln, damit auch Studierende forschen lernen?
Wie das bei Fragen für einen Vortrag so ist, der zeitlich begrenzt ist, lassen sich diese in der Regel nicht vollständig beantworten, sondern regen im besten Fall zum Nachdenken an. In diesem Sinne, so meine Einschätzung, bietet der Vortrag ein paar neue Denkangebote auf dem Themengebiet „forschendes Lernen“. Ich greife ein paar von diesen heraus:
Langemeyer greift in ihrer Argumentation auf die Expertiseforschung zurück und stellt diese den Postulaten der hochschulpolitisch und -praktisch dominanten „Kompetenzorientierung“ (inklusive der Forderung nach Festlegung und Überprüfung von „Learning Outcomes“) gegenüber. „Was in der Expertiseforschung deutlich wurde: Regeln oder fertige Wissensbestände sind für Können zwar relevant – insbesondere in gut definierten Domänen wie der Mathematik –, doch nicht immer konstitutiv.“ Können, so Langemeyer, lasse „sich als entwickelndes Handeln verstehen – und dies unterscheidet sich vom Wissen-Anwenden erheblich.“ Deshalb sei Wissen auch nichts Dinghaftes oder Fixiertes, sondern eine Relation: „Es ist kein Werkzeug, das ich einfach anwende, sondern eine Beziehung, die ich denkend zu einem Gegenstand aufbaue.“
Daher sei Wissen (oder Theorie) auch nicht, wie oft behauptet oder befürchtet, völlig unpraktisch wie ein Rohstoff oder eine neutrale Ressource, die erst in der Anwendung lebendig und praktisch werde, sondern: „Wissen ist uns grundsätzlich nur als eine bestimmte Art der Denkfähigkeit gegeben, als ein Horizont, in dem wir uns unser Handeln und unser Sein in der Welt antizipieren, vorstellen und organisieren können“. Umgekehrt sei praktisches Handeln zwar in seinen theoretischen Prämissen mitunter unreflektiert, aber nicht grundsätzlich untheoretisch. Und genau daran macht Langemeyer ihre Definition von Wissenschaft fest, die wiederum für das forschende Lernen handlungsleitend sein müsste: „Wissenschaft ist entsprechend der Versuch, durch Reflexion dieser Prämissen die menschliche Denkfähigkeit im Allgemeinen wie im Konkreten zu erweitern. Sie entwickelt dazu Begriffe und Theorien und ist auf diese Weise gleichermaßen theoretisch wie praktisch.“
Ein weiterer wichtiger Begriff im Vortrag ist die „theoretische Erfahrung“. Auch dieser Begriff signalisiert das Bemühen von Langemeyer, die Grenzen zwischen Theorie und Praxis zu überschreiten. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist die Erkenntnis, dass Verstehen in der Wissenschaft dem „Anwendung“ von Wissen nicht untergeordnet und zudem selbst eine Handlung ist: „Verstehen ist eine komplexe Tätigkeit, bei der wir unsere Denkhorizonte bewusst erfahren und zwar vor allem dann, wenn wir dabei einen begrenzten Denkhorizont zu überschreiten versuchen. Dann müssen wir nämlich auf Erfahrungen, die in der Wissenschaft durch einen generationenübergreifenden Erkenntnisprozess gemacht wurden, rekurrieren lernen.“
Diese Form des „theoretischen Erfahrens“ sein auch für das Forschen in der Wissenschaft wesentlich und der Begriff des Könnens müsse für die Wissenschaft „das Machen theoretischer Erfahrungen, das Überschreiten-Können und das Verantwortung-Tragen“ einschließen und gehe damit freilich auch über das übliche Verständnis von Können hinaus.
Am Ende ist für mich der folgende Satz einer der wichtigsten in diesem Vortrag: „Verantwortung verlangt Können. Aber die Verantwortung selbst lässt sich nicht unter den Begriff des Könnens bringen. Man übernimmt Verantwortung oder man wehrt sie ab – oder man bleibt ahnungslos, was auf dasselbe hinausläuft.“