Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Ethos des Gehorsams

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Akademische Freiheit und das Prinzip Schule – das hört sich erst einmal nach einem Widerspruch an. Im einem Text von Jan Masschelein mit diesem Titel (Untertitel: Öffentliche Begegnungsorte als Voraussetzung für Autonomie) aber ist das ganz und gar nicht als Gegensatz gemeint. Der 2016 in der Zeitschrift die hochschule (2/2016, 37-53) erschienene Artikel (hier Einblick in den Inhalt) geht vom griechischen Begriff „scholé“ als „freie Zeit und Muße“ aus – als einer Zeit, die nicht schon vorab auf bestimmte Lernergebnisse, sondern im Gegenteil ergebnisoffen angelegt ist. Das Credo des Textes lautet, die „Universität als pädagogische Form zurückzufordern, also als Hochschule“ (S. 38) – aber eben mit einer ganz anderen Idee von Schule im Hintergrund als man sie üblicherweise heute im Sinn hat.

Wer dahinter u. a. die Forderung vermutet, nun z.B. verpflichtend für alle Lehrende eine didaktische Qualifizierung einzuführen oder ähnliches, irrt. Masschelein kritisiert eher indirekt solche Versuche, scheint aber auch das verbreitete enge Verständnis von Didaktik zu haben (siehe dazu auch hier), doch das soll an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden. Vielmehr möchte ich auf einige aus meiner Sicht sehr interessante und wichtige Botschaften hinweisen, die sogar gut mit einem Verständnis von Hochschuldidaktik als Wissenschaftsdidaktik kompatibel sind.

Basis der Argumentation des Autors ist Kants Unterscheidung zwischen dem privaten und dem öffentlichen Gebrauch der Vernunft. „Der Öffentlichkeitscharakter manifestiert sich … im Gebrauch, den jemand dann von seiner Vernunft macht, wenn er sich nicht den Regeln einer ´Maschine´ unterwirft und wenn er sich nicht an ein Publikum wendet, das von dieser Institution definiert wird“ (S. 40). Scholé entspricht Masschelein zufolge denn auch einem öffentlich-kollektiven Studium; er spricht von einer „Bewegung des öffentlichen Denkens“, die Hochschule hervorbringen könne (S. 42) sowie von einem „kollektiven Experiment“ (S. 43) oder einer „Methodologie des öffentlichen Prüfens“ (S. 43).

Die unternehmerische Hochschule inklusive der bestehenden Exzellenzobsession ist für Masschelein die größte Gefahr für die Universität als einem Ort öffentlichen Denkens und Prüfens. Es seien weniger die verschiedenen, auch nicht-öffentlichen Finanzierungsquellen, die gefährlich sind, als vielmehr die Orientierung an Exzellenz und Arbeitsmarktfähigkeit und die inzwischen ausschließliche Definition von „Forschung als Produktion von Wissen, Bildung als Produktion von Lernergebnissen  und Dienstleistungen als Produktion von Einfluss („Impact“) auf soziales und wirtschaftliches Wachstum (Innovation).“  (S. 47) Kritisch sei also die „Exzellenzhochschule“ und diese versteht Masschelein als einen Ort, “ der anstelle einer experimentellen Haltung ein unternehmerisches, gewinnorientiertes und professionelles Ethos des Gehorsams oder der Unterwerfung unter ein permanent wachsendes Qualitätstribunal erfordert“ (S. 47).

Eine für (hochschul-)didaktische Ohren sicher ungewohnte These von Masschelein ist, dass von den allseits geforderten (studierendenzentrierten) „Lernumgebungen“ ebenfalls eine Gefahr für akademische Bildung ausgehe. Lernumgebungen nämlich, die in diesem Sinne ein effektives und effizientes Lernen fördern sollen (so fasse ich das jetzt mal zusammen), würden es „nicht länger mehr erlauben, akademische Bildung als wesentliches Element einer Methodologie des öffentlichen Vortrags zur Förderung des wissenschaftlichen Fortschritts  … zu betrachten, einer Methodologie, die diesen Fortschritt jedoch zugleich auch verlangsamt, da sie ihn öffentlich präsentiert und ihn kritischer Reflexion aussetzt“ (S. 49). Ich finde, darüber sollte man tatsächlich mal nachdenken anstatt immerzu die gleichen Slogans auszurufen.

Am Ende seines Textes fordert Masschelein „Aufmerksamkeit statt Exzellenz“ (S. 50 f.) und macht sich für eine „experimentelle Forschung“ stark – „verstanden als vertieftes Nachdenken, Begegnung mit der Welt und damit als Achtsamkeit“ (S. 51).

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