Paul Watzlawick, Janet H. Beavin und Don D. Jackson haben im Jahr 1967 – auf Deutsch im Jahr 1969 – erstmals ein Axiom verkündet, das sich alsbald in alle Köpfe gepflanzt hat und – nicht ohne Grund – heute als selbstverständlich gilt (Titel: Menschliche Kommunikation. 2011 in der 12. Auflage erschienen). Das berühmte Axiom lautet: „Man kann nicht nicht kommunizieren“. Die Begründung ist: Jede Kommunikation (nicht nur mit Worten) sei Verhalten und genauso wie man sich nicht nicht verhalten könne, könne man nicht nicht kommunizieren.
Engen wir den Kontext ein und begeben uns in einen institutionalisierten Bildungskontext – genauer: in die Universität, die als eine ihrer Kernaufgaben Lehrangebote an Studierende macht. Sobald ein Lehrender Verantwortung für ein Lehrangebot übernimmt, also eine Veranstaltung anbietet, mit Studierenden in Interaktion tritt und lehrend tätig wird, um Studierende zum Lernen anzuregen und darin zu unterstützen, gilt:
Man kann unter diesen Bedingungen nicht nicht didaktisch handeln, denn: Jede didaktische Handlung (nicht nur eine, die man als solche explizit benennt) ist Lehrhandeln und genauso wie man in der Rolle als Lehrender nicht nicht lehren kann, kann man auch nicht nicht didaktisch handeln.
Didaktisch handeln bedeutet also mitnichten, dass man auf eine ganz bestimmte Art und Weise – nämlich „didaktisch“ im Sinne von „So-habe-ich-es-in-einem-Hochschuldidaktik-Kurs-gelernt“ – lehrt. Vielmehr handelt man didaktisch, sobald man eine Lehrfunktion übernimmt (z.B. weil er als Professor eben auch Hochschullehrer ist). Jemand, der sich im Rahmen seiner Lehrfunktion dazu entscheidet, einfach nur etwas aus der Forschung zu erzählen, ohne Studierende zu bestimmten Aktivitäten anzuleiten, handelt ebenso didaktisch wie jemand, der Studierende zu einem Text Aufgaben und ein spezielles Verfahren der Gruppenarbeit zur Aufgabenbearbeitung vorlegt, oder jemand, der einen MOOC veranstaltet, in dem er Studierenden neben einigen Informationen „nur“ eine Struktur des kollaborativen Lernens zur Verfügung stellt.
„Didaktisch“ ist also kein Bewertungsurteil im Sinne von: „didaktisch“ ist gut (oder schlecht – je nach Auffassung) und „nicht-didaktisch“ ist schlecht (oder umgekehrt), sondern die Beschreibung eines Lehrhandels und der damit verbundenen Entscheidungen. Sind die didaktischen Entscheidungen beschrieben, kann man sie freilich auch beurteilen: z.B. danach, ob sie reflektiert und wie sie begründet sind oder welche Auswirkungen sie haben und wie sich diese zu den Zielen und Erwartungen verhalten etc.
Jegliche Form von Didaktik-Bashing löst sich in Luft auf, wenn man erkennt, dass man im Kontext der Hochschullehre nicht nicht didaktisch handeln kann. Und das hat dann auch gar nichts damit zu tun, ob man die Botschaften und Erkenntnisse der Hochschuldidaktik gut findet oder nicht, ob man Hochschuldidaktik als bildungswissenschaftliche Disziplin begreift oder nicht etc.
Da man an der Universität als einer auch der Bildung verpflichteten Institution nicht nicht didaktisch handeln kann, liefe eine Ablehnung der Didaktik letztlich darauf hinaus, institutionalisierte Bildungssettings generell abzulehnen, um z.B. gänzlich auf ein „naturwüchsiges“ informelles Lernen zu setzen. Allerdings: Hier würden dann doch viele vermutlich wieder einen Rückzieher machen, denn bei aller Begrenztheit, allen Risiken und Widersprüchen sind institutionalisierte Bildungssettings doch eine kulturelle Errungenschaft, die ihren eigenen Wert haben – so auch die Universität als Bildungseinrichtung.
Wenn wir uns also darauf einigen könnten, dass wir an Universitäten didaktisch handeln, weil wir gar nicht nicht didaktisch handeln können, können wir uns schon mal die Diskussion darüber sparen, ob wir eine Didaktik an Hochschulen brauchen. Wir brauchen sie nämlich nicht, wir praktizieren sie. Und weil wir sie praktizieren, brauchen wir in der Tat eine Orientierung für unser Handeln, weil wir uns bei all unserem Handeln an etwas orientieren.
Die Frage ist nun: Woher kommt diese Orientierung? Ich meine, sie muss aus der Wissenschaft selbst kommen: Didaktisches Handeln in der Lehre erfordert zum einen eine Selbstreflexion der Wissenschaft, zu der auch der normative Diskurs über die Rolle und Aufgabe der Universität in unserer Gesellschaft gehört. Zum anderen kann und soll die Forschung zum Lehren und Lernen (im Modus der Wissenschaft) dem didaktische Handeln Heuristiken liefern, auch wenn Bildungssituationen am Ende immer unwägbar bleiben. In ihrer Verschränktheit und Selbstbezüglichkeit sind diese beiden Orientierungsmarken (Selbstreflexion und Forschungsstand) eine besonders komplexe Herausforderung.
Die Einsicht, dass man in einer Bildungseinrichtung wie der Hochschule nicht nicht didaktisch handeln kann, hat also nicht nur Folgen für die alltägliche Lehrpraxis, in der es schlicht keinen Sinn ergibt, sich gegen didaktisches Handeln zu (ver)wehren. Sie hat auch Folgen für die dazugehörige Forschung, die abzulehnen in einer wissenschaftlichen Institution einer Bankrotterklärung gleichkäme.
Liebe Frau Kollegin Reinmann.
Ich stimme Ihnen ganz und gar zu – nicht in der Didaktik sein, das geht nicht.
Schon mit dem Eintreten in den Seminarraum beginnt es.
Später einmal mehr dazu.
Viele Grüße Elfriede Brinker-Meyendriesch