Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Kaskade von Entwurfsübungen

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Wie integriert man Lehre, Forschung und Entwurfspraxis in entwerfenden Disziplinen? Mit dieser Frage beschäftigt sich ein Text (Titel „Entwerfen lernen“) von Susanne Wollin-Giering und Jochen Gläser (online zugänglich hier). Im Kern vergleichen die Autoren exemplarisch die Entwurfsprozesse der Architektur und der Nachrichtentechnik als zwei wissenschaftliche Disziplinen und erörtern die Folgen für Integrationsbemühungen von Forschung, Lehre und (Entwurfs-)Praxis. Ich finde in diesem Text drei interessante Anker bzw. Impulse für meine eigene Arbeit, die ich mal als Fragen formuliere: (a) Welchen Einfluss hat die Art der Forschung auf verschiedene Ausprägungen von „forschendem Lernen“ als didaktisches Konzept? (b) Inwiefern ist die Didaktik – und damit auch die Hochschuldidaktik – eine entwerfende Disziplin? (c) Wie verhält sich der Entwurfsprozess im Design-Based Research in Bildungskontexten (wie der Hochschule) zu den im Text vorgestellten Entwurfsprozessen?

Der Beitrag beginnt mit der Beobachtung, dass das Entwerfen (verstanden als „Ausarbeitung und Realisierung von Plänen für Handlungen, Strukturen und Artefakten“; S. 1) eine Praxis ist, die in ganz unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen eine Rolle spielt und daher auch in Forschung und Lehre höchst relevant ist. Beispielhaft greifen die Autoren zwei Disziplinen heraus, die sich – so zeigen die sie anhand einer Analyse auf – deutlich in folgenden Dimensionen unterscheiden: (1) in der Rolle der persönlichen Perspektiven im Entwurfsprozess, (2) in der Zerlegbarkeit des Entwurfsprozesses, (3) im Grad der Kodifizierung des Wissens, das man für den Entwurfsprozess braucht, (4) im Stand der Forschung („state of the art“) und (5) in der Entwurfspraxis.

Zusammenfassend kann man die Entwurfspraktiken der beiden ausgewählten Disziplinen wie folgt zusammenfassen (S. 10): Die Nachrichtentechnik ist „eine Wissenschaftsdisziplin mit eindeutig beurteilbaren Lösungen, hohem Kodifizierungsgrad und in einzelne Teilaufgaben zerlegbaren Forschungsprozessen […], während die Entwurfslehre in der Architektur mit perspektivenabhängigen Lösungen, ganzheitlichen Entwurfsprozessen und ohne kodifiziertes Wissen auftritt. In der Nachrichtentechnik ist Entwerfen von Systemen eine Fähigkeit, die aufbauend auf einem umfangreichen Grundlagenstudium bei fortgeschrittenen Studierenden entwickelt wird, während die Entwurfslehre der Architektur für ihre Studierenden beginnend mit dem ersten Semester eine Kaskade von Entwurfsübungen wachsender Komplexität konstruiert.“ Es ist naheliegend, dass die Möglichkeiten, Forschung und Lehre bzw. Forschung, Lehre und Berufspraxis zu integrieren in den beiden Disziplinen entsprechend divers sind. Und in der Tat zeigen die Autoren in ihrem Text auf, dass verschiedene Formen dieser Integration in der Lehre gefunden werden können.

Zurück zu meinen eingangs gestellten Fragen, die mir beim Lesen in den Sinn gekommen sind:

(a) Welchen Einfluss hat die Art der Forschung auf verschiedene Ausprägungen auf das „forschende Lernen“ als einem didaktischen Konzept? Der Text zeigt an zwei Beispielen sehr schön auf, dass die Art der Forschung nicht nur Einfluss darauf hat, wie forschendes Lernen umgesetzt werden kann (Gestaltung von Veranstaltungen), sondern auch darauf, wann forschendes Lernen eine besonders gute Chance hat (Gestaltung von Studiengängen). Mehr dazu unter anderem hier.

(b) Inwiefern ist die Didaktik – und damit auch die Hochschuldidaktik – eine entwerfende Disziplin? Wenn Architektur und Nachrichtentechnik – mal als These formuliert – zwei Extreme für entwerfende Disziplinen darstellen und sich zwischen diesen, ich will nicht sagen ein Kontinuum, aber ein Raum befindet: Wo würde man die Hochschuldidaktik platzieren? Aus meiner Sicht ist die Didaktik in jedem Fall eine entwerfende Disziplin. Aber wie lässt sie sich in diesem Charakter genauer beschreiben? Ist sie der Architektur ähnlicher oder der Nachrichtentechnik? Oder bildet sie einen ganz anderen „Entwurfstyp“ aus? Darüber werde ich sicher weiter nachdenken.

(c) Wie verhält sich der Entwurfsprozess im Design-Based Research in Bildungskontexten (wie der Hochschule) zu den im Text vorgestellten Entwurfsprozessen? In Bezug auf diese Frage fallen mir im Text von Wollin-Giering und Gläser ein paar Aussagen auf, denen ich widersprechen würde. Auf der einen Seite stellen sie entwerfende Disziplinen als solche dar, für welche „die Gestaltung die zentrale Praxis der Erkenntnisgewinnung ist“ (S. 2). Erkenntnisse zu gewinnen, ist aber nun das Ziel einer jeden Forschung, oder anders formuliert: Den Weg zur Erkenntnis kann man als Forschung bezeichnen. Geht man diese Argumentation mit, ergibt es aber keinen Sinn, auf der anderen Seite zu fordern, entwerfende Disziplinen von forschenden Disziplinen zu unterscheiden. Der Forschungsbegriff scheint hier verengt zu sein – was meiner Beobachtung zufolge häufig anzutreffen ist. Ich würde auch entwerfende Disziplinen als forschende Disziplinen sehen wollen, nämlich als solche, deren Forschungsverständnis das Gestalten als einen Weg zur Erkenntnis integriert. Und genau das ist ja auch der Kern von DBR (mehr dazu hier): Der Entwurf und die Konstruktion von Interventionen zur Lösung von Bildungsproblemen (im weitesten Sinne) sind Teil des Forschungsprozesses. Aber wie ist der Entwurfsprozess genau beschaffen? Vermutlich hat er eine ebenso große Varianz wie die, welche die Autoren in ihrem Text „Entwerfen lernen“ in verschiedenen Disziplinen vermuten. In Bezug auf die Frage, ob und wenn ja wie man speziell den Akt des Gestaltens mit „Standards“ versehen sollte, dürfte ganz wesentlich genau davon abhängen: nämlich von der Qualität des Entwurfsprozesses.

Fazit: Ein eher kurzer Text ohne direkten bildungswissenschaftlichen Bezug, der aber eine Fülle von Impulsen für die Hochschuldidaktik, die didaktische Praxis und die Didaktik-Forschung bereithält.

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