Das Verhältnis der Hochschuldidaktik zu den Fächern stand gestern (wie schon im Rahmen des Vortrags von Wolfgang Nieke im November) im Mittelpunkt unserer gestrigen HUL-Ringvorlesung (Video inzwischen hier). Ingrid Schaurlau von der Universität Paderborn skizzierte ihre Auffassung von fachsensibler Hochschuldidaktik, die zwischen den Fachdidaktiken und einer Allgemeinen Hochschuldidaktik changiert. Man kann das Konzept auch in einem Text von Ingrid Scharlau und Gesche Keding (2016)* nachlesen. Dort heißt es: „Unter einer fachsensiblen Hochschuldidaktik verstehen wir einen hochschuldidaktischen Ansatz, der darauf abzielt, dass die Fächer oder Fachvertreter/-innen miteinander in Kontakt gebracht werden und – wichtiger noch – Elemente ihres akademischen und Lehrhandelns gemeinsam wahrnehmen und systematisch reflektieren und so dazu angeregt werden, die eigene Lehre als eine besondere Form wissenschaftlicher Praxis wahrzunehmen, zu explizieren und auf den Prüfstand zu stellen. Durch den Kontrast zu jeweils anderen Fächern können Annahmen und Vorgehensweisen bewusst werden, die in der eigenen Praxis so selbstverständlich, automatisiert oder verleiblicht sind, dass sie kaum noch wahrgenommen werden. Diese Bewusstwerdung ist sowohl für die Lehre als auch für die Forschung hilfreich.“
Im Vortrag hat Ingrid Scharlau unter anderem Ergebnisse aus einer Interviewstudie mit Ludwig Huber vorgestellt zu der Frage, ob es derzeit noch Fachkulturen gibt und welchen Einfluss sie auf die Lehre haben. Die Ergebnisse erweisen sich stellenweise als durchaus unerwartet: Einige sehen gar keine Fachkulturen mehr aufgrund der wachsenden Diversität, andere erkennen Unterschiede nur noch repräsentiert durch Personen; die meisten aber bestätigen Fachkulturen allerdings vor allem bei den anderen und weniger bei sich selbst. Was mich überrascht hat: Ingrid Scharlau berichtete von viel Vorsicht und augenscheinlichem Respekt vor den jeweils anderen Disziplinen bzw. Fächern, aber auch von pragmatischen Haltungen und versteckter Ironie – also kein „Streit der Fakultäten“, kein offenes Austragen von Dissens sowie wenig Selbstkritik und wenig Selbstidentifikation. Auch die „Topografie der Macht“, so Scharlau, werde kaum thematisiert.
Zwei ausgewählte Punkte möchte ich noch festhalten: Zum einen fiel mir ein Satz auf, den man vielleicht schnell hat überhören können: In der Lehre, so Ingrid Scharlau, fehle eine differenzierte Sprache. Da stimme ich in hohem Maße zu und möchte ergänzen, dass das schwerwiegende Folgen hat, über die wir meiner Einschätzung nach zu wenig nachdenken. In meinem Vortrag auf der letzten dghd-Tagung hatte ich dieses Thema ebenfalls aufgegriffen und für mehr einheimische didaktische Begriffe plädiert (siehe hier). Zum anderen verwies Ingrid Scharlau auf ein interessantes Vorgehen, um anhand von wissenschaftlichen Texten fachkulturelle Unterscheide zu thematisieren: Wenn etwa Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen typische Texte aus ihrer Publikationspraxis bei einem gemeinsamen Zusammentreffen auf den Tisch legen und austauschen, dann lässt sich anhand der Unterschiede in Gestaltung, Aufbau, Argumentation und Zitationsweise der Texte wirkungsvoll ein Diskurs über wissenschaftliche Stile generell anregen.
Insgesamt betrachtet halte ich es für zentral, die Hochschuldidaktik noch deutlicher als eine sowohl Allgemeine als auch fachbezogene und fachsensible Wissenschaftsdidaktik auszuarbeiten und dabei unter anderem genauer als bisher zu bestimmten, worin das Allgemeine liegen kann, etwa (1) im institutionalisierten Lernen versus informellen Lernen, (2) in der Wissenschaft als Gegenstand versus andere Gegenständen, (3) in der Doppelrolle von Lehrenden, die gleichzeitig forschend tätig sind etc. und was genau mit der Disziplin, der Forschungspraxis, der Fachkultur etc. zu tun hat bzw. zu tun haben muss.
* Scharlau, I & Keding, G. (2016). Die Vergnügungen der anderen: Fachsensible Hochschuldidaktik als neuer Weg zwischen allgemeiner und fachspezifischer Hochschuldidaktik. In T. Brahm et al. (Hrsg.), Pädagogische Hochschulentwicklung (S. 39-55). Wiesbaden: Springer.
Ein Gedanke zu „Von augenscheinlichem Respekt und versteckter Ironie“