Oberflächenkonsens

Jetzt wird es Zeit, dass ich endlich mal über den Herausgeberband von Markus Weil mit dem Titel „Zukunftslabor Lehrentwicklung. Perspektiven auf Hochschuldidaktik und darüber hinaus“ berichte. Schon zum Jahresende lag es auf meinem Schreibtisch. Tobias Schmohl und ich haben einen Beitrag zur Reform bzw. Neuentwicklung des Masterstudiengangs Higher Education beigesteuert. Der eher schmale Band enthält insgesamt elf Texte. Ich möchte exemplarisch ein paar herausgreifen – ohne dass damit eine Wertung verbunden wäre. Auswahlkriterium für diesen Blog-Beitrag sind ganz persönliche „Hängen-Bleiber“, was immer auch mit aktuellen Beobachtungen und Erlebnissen zu tun hat. Ich begrenze mich mal auf vier (sonst wird das hier auch zu lang ;-)).

Da wäre erst mal Peer Pasternacks Text zur „Kompetenzorientierung“. Statt das Für und Wider dieses (aus meiner Sicht unsäglichen) Begriffs wiederzukäuen, steuert Pasternack eine andere, nämlich politische, Perspektive auf die Kompetenzorientierung bei und erklärt, wie es die Kompetenz zu ihrer „Konzeptkarriere“ hat bringen können. Er stellt vor allem auf die „Funktionsweise der Hochschulpolitik“ ab und schreibt: „Sieht man von Details ab, so wird das hochschulpolitische Feld durch drei wesentliche Strömungen geprägt: eine konservative, eine marktliberale und eine chancenausgleichsorientierte. […] Charakteristisch ist nun, dass hochschulpolitische Positionen häufig von jeweils zwei der drei Strömungen geteilt werden – und dann auch Bündnisse in Einzelfragen begründen –, allerdings mit je unterschiedlichen, mitunter konfligierenden normativen Begründungen“ (S. 44). Das halte ich für wichtige Erkenntnis – und für ein ganz gravierendes Problem, denn: Nicht selten läuft wohl genau das auf einen Oberflächenkonsens bei gleichzeitig bestehender Tiefenunstimmigkeit hinaus. In der Hochschulpolitik hat man sich laut Pasternack auf die „Kompetenzorientierung als Formelkompromiss“ geeinigt und das „mit unterschiedlichen, zum Teil einander ausschließenden Gründen“ (S. 46). Kein Wunder also, wenn wir in der Praxis und Forschung zum akademischen Lehren und Lernen unsere liebe Not mit der Kompetenzorientierung haben.

Unter dem Titel „Lernweltorientierte Hochschuldidaktik“ setzt sich Rudolf Egger auf der Basis von Ergebnissen einer eigenen Studie mit der „universitären Professionalität“ auseinander. Einmal mehr wird hier beklagt, dass diese zu einseitig auf Forschung ausgerichtet sei und die mögliche Koppelung der Lehre mit der Forschung infolge strukturelle Ähnlichkeiten viel zu wenig genutzt werde (was auch die Argumentation der Wissenschaftsdidaktik ist). Es ist naheliegend, wenn auch nicht näher behandelt, dass forschungsorientierte Lehre eine adäquate Brücke sein kann. Dazu habe ich im Text allerdings nur bereits bekannte Argumente gefunden. Zitieren möchte ich Eggers Schlussfolgerung für die hochschuldidaktische Forschung: „Die hochschuldidaktische Forschung muss […] ihre Praxisnähe verteidigen, um nicht von den politisierten und managementorientierten Polarisierungen aufgesogen zu werden“ (S. 72). Da gebe ich Egger in jedem Fall Recht, aber: Nimmt man Pasternacks Ausführungen dazu, dann müsste man zu dem Schluss kommen, dass das ganz besonders schwierig wird, denn: Wie etwa bekommt man es hin, Forschung zur Kompetenzorientierung nicht zu politisieren, wenn der Begriff im Moment eine der großen hochschulpolitischen Kompromissformeln ist?

Marian Füssel schreibt – ganz ungewohnt für aktuelle Hochschuldidaktik-Bücher – „Vom Nutzen der Universitätsgeschichte“ und liefert hierzu „zehn historische Schlaglichter“, die verbunden sind mit: Autonomie und Freiheit, Ökonomisierung, Forschung und Lehre, Wissenschaft und Erziehung, Hierarchien, Räume und Zeiten, Anwesenheit und Abwesenheit, Prüfung und Graduierung, Habitus und Ritual, Antiakademismus – was könnte aktueller sein?

Balthasar Eugster ergänzt Füssels Text mit „einigen Erwägungen“ im Anschluss (S. 113-120) und macht deutlich, dass sich Hochschuldidaktik im Prinzip ahistorisch verhalten kann und es auch meist tut: „Ohne merkliche inhaltlich Abstriche und ohne größere methodische Unzulänglichkeiten lässt sich Hochschuldidaktik betreiben, wenn ihrer eigenen Geschichte und jener der Universität nur begrenzt, d.h. bei besonderen Anlässen, Beachtung geschenkt wird. Das hat auch mit der Ausbildung ihres Nachwuchses und mit der organisationalen Verortung der Hochschuldidaktik zu tun. Wo meist Praktikerinnen und Praktiker in Dienstleistungszentren Handreichungen für den Lehralltag zur Verfügung stellen, wird eine vertiefende und sich selbst beforschende Reflexion nicht zum Leistungsauftrag gehören und werden bildungstheoretische und eben bildungshistorische Erkundungen die Ausnahme bleiben“ (S. 115). Genau das aber sieht Eugster als Problem an – und ich denke, es ist ihm beizupflichten, zumal wenn man, wie unter anderem der zitierte Egger, davon ausgeht, dass forschungsorientierte Lehre ein universitäres Studium kennzeichnen sollte. Und so folgert denn auch Eugster: „Wer andere lehren will, sich Wissen forschend (also kritisch) anzueignen, muss zunächst die Genese dieses Wissens mitsamt seinen institutionalisierten Praktiken didaktisch, d.h. erkenntniskritisch rekonstruieren, um dessen künftige Hinterfragung dem Zufall enthoben anzubahnen“ (S. 119).

Ich hoffe, der Band von Markus Weil findet viele Leser. Die einzelnen Texte jedenfalls bieten mehrere verschiedene Perspektiven sowie aktuelle und geradezu klassische Diskussionsanker.

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