Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Zeitenthobene Insel

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Weihnachten und Neujahr gehören nicht zu den Zeiten im Jahr, zu denen ich mich besonders hingezogen fühle – im Gegenteil. Es ist ein Zeitraum, der mich abstößt und Fluchtreflexe auslöst: ein nicht abreißender Trubel, der schon Ende November mit einem Aufgebot an Dekoration und jahrmarktähnlichen Ansammlungen einschließlich undefinierbarer Geruchsmischungen massiv beginnt und dann zu Silvester in ohrenbetäubendem sinnlosen Krach und Müll endet.

Allerdings: Vor ein paar Jahren hat Hartmut Rosa – bekannt durch seine Arbeiten zur Beschleunigung in unserer Zeit und zur Resonanz als ein mögliches „Rettungskonzept“ – zugegebenermaßen eine besondere Qualität dieser Zeit (hier) angesprochen: nämlich die „Tatsache, dass Weihnachten am 24. Dezember kommt und Silvester am 31. Wie Bollwerke, wie Rammböcke stehen sie da im Strom der Zeit, im Wirbel der Deadlines und Fristen und Termine und Vorhaben, die allesamt flexibel und verhandelbar sind. […] Es ist, als würden diese beiden Zeitfelsen in der Brandung das große Hamsterrad für einen Moment stillstellen“.

Diese sogenannte „Zeit zwischen den Jahren“ bildet tatsächlich einen Zwischenraum, den ich – als solchen – auch nicht missen möchte; ich würde ihn mir nur anders wünschen. Rosa beschreibt den (Zeit-)Raum zwischen Weihnachten und Neujahr als „eine kleine, eigenartig zeitenthobene Insel, deren Besonderheit darin besteht, dass sie die zeitliche Weltreichweite radikal beschränkt: Was immer wir in dieser Zeit tun, es gehört nicht zum alten und nicht zum neuen Jahr, es erzeugt seinen eigenen Horizont: Die Welt steht für acht Tage still. Das ist etwas ganz anderes, als wenn wir im Urlaub einmal für ein paar Tage aussteigen: Dann stehen wir still, während die Weltzeit weiterläuft“.

Nun, da ist was dran, wobei ich das mit der „zeitenthobenen Insel“ gerne wörtlich nehme und auf eine der nordfriesischen Inseln fliehe, die in der Tat (an einigen Stellen zumindest) der Zeit entrückt zu sein scheinen (weil sich kaum etwas ändert) und den lärmenden und gefährlichen Wahnsinn am Ende dieses Zeitraums, den – wie es in Wikipedia so schön heißt – „Feuer-Festen am Jahreswechsel mit germanischen Wurzeln“, kurzerhand verbieten.

Übrigens: „Früher, von der Zeit der Ägypter über die der Römer und das ganze Mittelalter hindurch dauerte die Zeit zwischen den Jahren als Differenz zwischen Sonnen- und Mondjahr übrigens zwölf Tage“, so Hartmut Rosa. Schade, dass diese vier zusätzlichen Tage irgendwo im Strom der Zeit verloren gegangen sind.

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