„Nur mit einer spürbaren Reduzierung der Studierendenzahl pro Unterrichtendem wird man auch in Deutschland eine Verbesserung der Lehre erreichen und damit einen neuen, einen besseren pädagogischen Kontext schaffen“ – einfache und klare Worte von Jeffrey D. Peck, der als Gastautor auf dem Blog von Jan-Martin Wiarda seine Gedanken zur erneuten Diskussion über Anwesenheitspflicht an Hochschulen – hier – beisteuert. Das Zitat verweist indirekt darauf, worin Peck einen zentralen Grund für das Abwesenheitsproblem sieht – nämlich in der Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden, was mit gegenseitigem Respekt, Interesse, Betreuung und ähnlichem zu tun hat. Eine gelungene Beziehung, so Peck, setze aber voraus, dass man als Lehrender dazu auch die Chance (vor allem Zeit) hat. Behindert werde das durch ein zu hohes Lehrdeputat und zu viele Studierende, die auf einen Lehrenden kommen.
Es ist ein großer Bogen, den Peck von der Anwesenheitspflicht zur inneren Struktur des deutschen Hochschulsystems schlägt, aber er hat aus meiner Sicht Recht mit der Frage: Worum genau geht es denn eigentlich, wenn wir über Anwesenheit sprechen (wobei man im akademischen Umfeld unbedingt die intellektuelle Anwesenheit im Blick habe sollte)? Vordergründig scheint es bei Diskussionen um Anwesenheitspflicht um die Frage zu gehen, wer die Macht hat, über das Studium zu bestimmen: Deswegen wird der Ruf nach Anwesenheitspflicht nicht nur, aber bevorzugt von Studierenden als Angriff auf die persönliche Freiheit, als Fremdsteuerung oder ein Zurück zu alten Hierarchien gedeutet. Anderen (meist Lehrenden) geht es beim Thema Anwesenheitspflicht eher um die konkrete Unterrichtssituation und notwendige Bedingungen für Lern- und Bildungsprozesse: Und zu denen gehören neben Anwesenheit und Engagement des Lehrenden eben auch die Anwesenheit und das Engagement der Studierenden. In beiden Fällen bleibt zum einen die Frage nach dem Warum der Abwesenheit weitgehend auf der Strecke. Zum anderen bewegen sich diese (üblichen) Pro-und Contra-Argumente auf verschiedenen logischen Ebenen und verlieren sich in unterschiedlichen Diskursen, die nicht mehr zueinander finden (können).
Für Peck nun liegt der Schlüssel für eine Lösung der Abwesenheitsproblematik „in einer neuen Wertschätzung und mehr Verantwortungsgefühl für die Lehre bei allen Beteiligten: bei den Professoren/Dozenten, den Studierenden und, nicht zu vergessen, dem ´System´ der Hochschulverwaltung, einschließlich Gesetzgebung und Finanzierung“. Dann, so Peck, werde ein echter Austausch zwischen Lehrenden und Studierenden auch ohne formale Anwesenheitspflicht möglich bzw. wahrscheinlicher. Aber werden im Zuge einer neuen Wertschätzung intellektuelle Anwesenheit, gute Vorbereitung und thematisches Interesse quasi von alleine entstehen? Ich bin mir da nicht so ganz sicher.
Einerseits stimme ich Peck zu: Es würde schon sehr viel helfen, wenn man es wirklich ernst meinen würde mit einer höheren Wertschätzung der Lehre. Dazu sollte dann gehören, den ganzen Wissenschaftsbetrieb (also Forschung und Lehre) von unnützen Wettbewerben zu befreien, kurzatmigen Reformen Einhalt zu gebieten und Ruhe einkehren zu lassen, die ein vernünftiges Forschen und Lehren überhaupt erst ermöglichen. Ich selbst bin nun seit 20 Jahren Professorin und fühle mich von Jahr zu Jahr gehetzter, ohne aber das Gefühl zu haben, tatsächlich schneller irgendwo anzukommen, wobei das „irgendwo“ bewusst da steht, weil mit dem Gehetze auch die Orientierung verloren zu gehen droht.
Genau das aber lässt mich andererseits fragen, ob Pecks angestoßene Reflexion zu den Gründen der Abwesenheit nicht noch tiefer gehen müsste: Es geht womöglich nicht nur um die Wertschätzung der Lehre an Universitäten, sondern um eine solche der universitären Bildung in der Gesellschaft generell. Vielleicht also bräuchten wir (Pecks Hinweis aufgreifend) auch eine neue Wertschätzung und mehr Verantwortungsgefühl für eine Bildung durch Wissenschaft bei allen Beteiligten: Staat/Politik, Wirtschaft und nicht zu vergessen jeden Einzelnen.