Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Von Lernbegleiterhochschulen und regionalen Motoren

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Über Jochen Robes bin ich auf den Beitrag „Die Hochschule der Zukunft: Fels in der Brandung?“ von Frank Ziegele, Philipp Neubert und Lisa Mordhorst aufmerksam geworden. Thema ist die (notwendige) Ausdifferenzierung der Hochschullandschaft angesichts der Expansion von Hochschulbildung und steigender Studierendenzahlen einerseits und der gesellschaftlichen Herausforderungen, auf die auch ein Studium vorbereiten soll, andererseits.

Die Autoren skizzieren beispielhaft vier Hochschultypen (es folgen Zitate):

(1) Der regionale Motor: „Eine Hochschule, die sich selbst als Treiber von Innovation in ihrem unmittelbaren Umfeld versteht. Als Hochschule mit stark ausgeprägtem Third Mission-Profil zielt ihre Strategie mit Nachdruck auf die Themen Transfer, Weiterbildung und soziales Engagement. So wird sie zum gefragten Partner für Politik und Wirtschaft in der Region. […] Als Hochschule der Zukunft übernimmt der regionale Motor Verantwortung für sein Umfeld und unterstützt dessen Entwicklung.“

(2) Die Online-Hochschule: „Ihre Studierenden sind fast ausschließlich Berufstätige, denen die virtuelle Lehr- und Lernumgebung maximale Flexibilität zur Erreichung ihrer Ziele bietet. Obwohl die Hochschule sich online verortet, bietet sie ihren Studierenden regelmäßig Face-to-Face-Beratungen an. […] Als Hochschule der Zukunft zeigt die Online-Hochschule, wie die Digitalisierung zum Vorteil einer heterogenen und großen Gruppe Studierender genutzt werden kann.“

(3) Die Lernbegleiterhochschule: „Hier werden Lerninhalte und -wege den Anforderungen der Einzelnen angepasst. So entstehen Bildungswege mit ganz eigenem Lerntempo, -ziel und -stil. Ihre Ziele stecken die Studierenden im Austausch mit ihrer Lernbegleiterin ab und machen sie so zum Maßstab des eigenen Erfolgs. […] Als Hochschule der Zukunft leistet die Lernbegleiterhochschule nicht nur einen Beitrag zur Demokratisierung des Hochschulzugangs, sondern auch zum Studienerfolg.“

(4) Das tertiäre Bildungsinstitut: Es „löst das Dilemma von entweder Hochschule oder Berufsausbildung elegant auf. Für ein konkretes Betätigungsfeld, beispielsweise das Versicherungswesen, werden hier unter einem Dach duale Berufsausbildung, akademische Bildung und Weiterbildung angeboten. […] Als Hochschule der Zukunft markiert das tertiäre Bildungsinstitut die große Chance der Verzahnung der Bildungssysteme.“

Die Autoren betonen, dass „natürlich“ Merkmale klassischer Volluniversitäten, technischer Universitäten und Fachhochschulen weiterbestehen würden – also neben der exemplarisch skizzierten institutionellen Vielfalt. Und am Ende des Textes betonen die Autoren die hohe Bedeutung der Hochschulleitungen: „Ein Hochschulmanagement, das auf Veränderungsfähigkeit angelegt ist, hat für die Zukunft zentrale Bedeutung.“

Gegen keinen der vier Hochschultypen, insbesondere gegen kein der damit verknüpften Ziele, kann man ernsthaft Contra-Argumente ins Feld führen: Ich denke, wir alle wünschen uns, dass Hochschulen bzw. Lehrende und Studierende an Hochschulen (1) Verantwortung für ihr Umfeld übernehmen und (3) einen Beitrag zur Demokratisierung leisten, dass auch große und heterogene Studierenden-Gruppen ein bestmögliches Bildungsangebot erhalten (2) und Erfolg haben (3), dass Bildungssysteme für mehr Bildungsgerechtigkeit durchlässig und daher sinnvoll (4) zu verzahnen sind. Das Problem, das ich bei solchen Vorschlägen zur Ausdifferenzierung des Hochschulsektors sehe ist, dass man es eben wegen dieser Unmöglichkeit, gegen solche Vorschläge zu sein, versäumt, einen normativen Diskurs darüber zu führen, welche Bildungsvorstellungen – ja im Plural – wir für die Gesellschaft „der Zukunft“ verfolgen wollen und warum. Bei aller Zustimmung fällt beispielsweise gar nicht mehr auf, dass es ja doch zumindest erklärungsbedürftig ist, warum nur die „Lernbegleiterhochschule“ für Demokratisierung sorgen oder nur der „regionale Motor“ Verantwortungsbewusstsein stärken sollte.

Eine Ausdifferenzierung erscheint mir durchaus sinnvoll, und sie hat ja auch längst begonnen. Aber müsste man – um bei den vier Beispiele aus dem Text zu bleiben – nicht in jedem Fall fragen: Welche Bildungsvorstellungen stecken hinter verschiedenen Hochschultypen? Sind sie sich ähnlich, sollen sie gar gleich sein (wozu aber dann die Diversifizierung?) und wenn nein: Was genau sind die Unterschiede? Vielleicht müsste man auch fragen: Was verstehen wir eigentlich unter „Studium“ und „studieren“ in einem so diversifizierten Feld? Und wie wollen wir künftig mit unseren Abschlüssen umgehen? Führen alle Wege zum gleichen Abschluss – zum Bachelor oder Master mit einem vergleichbaren Niveau? Eine Auseinandersetzung mit solchen und weiteren Fragen würde sicher auch dabei helfen, zu schärfen, was denn – heute – eigentlich ein universitäres Studium leistet, was es leisten soll und kann – im Vergleich zu einem Studium an anderen Hochschultypen.

Ich meine: Wenn wir es ernst meinten mit der Ausdifferenzierung, dann würde das doch nicht ohne eine Ausdifferenzierung der Ziele und Bildungsvorstellungen gehen und es würde wohl widersinnig sein, diversifizierte Formen von Hochschulen, Zielen und Formen des Studierens mit gleichen oder Vergleichbarkeit suggerierenden Abschlüssen zu versehen, oder?

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