„Wilhelm von Humboldt (1767-1835), Philosoph, Sprachforscher und Bildungspolitiker, droht in der Rede vom ´Mythos Humboldt´ verloren zu gehen“ – so beginnt der Klappentext zum Buch „Wilhelm von Humboldt. Bildungspolitik und Universitätsreform“ von Heinz-Elmar Tenorth (erschienen 2018 im Ferdinand Schöningh Verlag). Im Sommer habe ich dieses Buch gelesen. Es enthält mehrere Texte, die man auch je für sich lesen kann (alle von Tenorth verfasst), aber besonders in der Gänze ein schlüssiges Bild ergeben: Teils sind diese Texte bereits publiziert, teils neu bzw. umgeschrieben, teils erstmals veröffentlicht.
Das Buch hat drei Teile: Teil I „Die Idee der Universität und die ´Humboldtsche Universität“ umfasst drei Text; Teil II „Die Universität zu Berlin – Humboldts Gründung, der bildungspolitische Kontext und die historische Dynamik der Universität“ besteht aus fünf Texten; wiederum drei Beiträge gibt es in Teil III „´Bildung durch Wissenschaft´ – Universität als Lebensform“.
Ich habe viel gelernt bei der Lektüre und kann das Buch nur empfehlen: sowohl denen, die sich hochschuldidaktisch vor allem mit „forschendem Lernen“ beschäftigen, als auch denen, die sich im weitesten Sinne soziologisch mit hochschulpolitischen Fragen zur Universität auseinandersetzen. Das Ideal einer „Bildung durch Wissenschaft“, so meine Erfahrung der letzten Jahre, wird nicht selten als naive und überkommene Vorstellung disqualifiziert – in der Regel gepaart mit dem Hinweis auf die faktischen Gegebenheiten in heutigen Massenuniversitäten. Das folgende Zitat aus der Einleitung im Buch ersetzt auf keinen Fall die Lektüre (die sich wirklich lohnt), fasst aber vermutlich gut zusammen, was Tenorth mit seiner fundierten Expertise zu Wilhelm von Humboldt über alle Texte hinweg deutlich macht:
„Die spezifische Leistung in der tertiären Bildung, das ist meine Lektion für die Universität, kommt nur aus der Symbiose des scheinbar Widersprüchlichen der Einheit von Forschung und Lehre, Bildung, Ausbildung und Wissenschaft, und auch von Staat und autonomer Korporation. Solche Symbiose ist nur als Lebensform möglich, nicht systemisch garantierbar, sie bleibt immer fragil. Organisation ist nur eine Ermöglichungsform, wirklich wird die Symbiose erst in der Interaktion. Aber dort kann das Paradoxe möglich werden: Disziplinierte Kreativität, reflektierte Experten, selbstkritische Disziplinen. Eine solche Universität muss man allerdings auch wollen und mutige Politiker sollten sich trauen, solche Anomalien zu finanzieren. Humboldt kann dabei inspirieren und für die Realisierung sogar Preußen ein Vorbild sein, als Kulturstaat, als den es ihn ja auch gab“ (S. 10).
Das Paradoxe möglich werden lassen, wenn es der Staat denn will und dann auch Anomalien zu finanzieren bereit sein – ich finde, das bringt es gut auf den Punkt. Vor allem wird deutlich, wie weit weg das von der Leitfigur des Wettbewerbs ist, dessen Merkmale Sichtbarkeit, Eindeutigkeit und Exzellenz auf einem nach ökonomischen Vorbild inszenierten Markt sind.