Heute habe ich einen für mich sehr interessanten Text von Wilfried Rudloff gelesen:
Rudloff, W. (2011). Die Studienreform in der Hochphase der Hochschulexpansion: Zwischen Effektivierung und Projektstudium. In R. Pöppinghege & D. Klenke (Hrsg.), Hochschulreform früher und heute. Zwischen Autonomie und gesellschaftlichem Gestaltungsanspruch (S. 186-216). Köln: shVerlag.
Rudloff beleuchtet hier den für die Hochschuldidaktik höchst relevanten Zeitraum vom Ende der 1950er bis Mitte der 1970er Jahre – ein Zeitraum der Studienreformen, deren Folgen und Anregungen sowie Erfahrungen des Scheiterns bis heute wirken.
Systematisch stellt Rudloff drei Stränge der Studienreform im genannten Zeitabschnitt zusammen: Lösungsvorschläge der Hochschulpolitik („Reform von oben“), Reformbewegungen aus der Studentenbewegung und von Assistenten ausgehend („Reformkonzeptionen von unten“) und Studienreformmodelle an neu gegründeten Hochschulen („Reformen durch und durch“). Die Lektüre bringt nichts fundamental Neues zutage, ist aber dennoch sehr erhellend, weil hier verschiedene Reaktionen, Ereignisse und Lesarten der damaligen Geschehnisse klar aufeinander bezogen werden.
Die Politik reagierte damals vor allem auf den Übergang von der Elite- zur Massenuniversität; ihre „Aufhänger“ waren die wachsenden Studierendenzahlen, aber auch die lange Studiendauer und die mangelnde Studierfähigkeit bzw. fehlende Studieneignung. Politische Reformkonzepte (es gab mehrere, unter anderem war auch schon eine Art Bachelor- Masterstufung dabei) zielten darauf ab, das Studium zu rationalisieren und effektiver zu machen. An interessanten Ideen mangelte es nicht, aber deutlich an deren Umsetzung und an echtem Veränderungswillen. Die Studenten- und Assistentenbewegung dagegen sah die Misere in der schlechten Lehre, in gesellschaftsfremder Forschung und ungenügender Organisation der Studiengänge. Ihr Ziel war eine Reform von Lehre und Studium, also eine Reform, wie gelehrt und studiert wird: forschendes Lernen, Kleingruppenarbeit, Projektstudium etc. Hier ist die „Hochschuldidaktik“ zu verorten – auch die Forderung (und das Scheitern) ihrer Institutionalisierung. Eindeutige Brüche mit der Tradition bewirkten eigentlich nur Neugründungen: Rudloff macht es exemplarisch an den Universitäten Kassel und Bremen fest, denen es gelang, neue Studienkonzepte tatsächlich umzusetzen – um sie dann zehn Jahre später wieder aufzugeben und sich dem Mainstream anzugleichen.
Eine einzige Geschichte des Scheiterns also? Sicher nicht ganz: Das forschende Lernen etwa hat seit Mitte der 2000er Jahre eine Renaissance erfahren. Neue Studienmodelle, wohl nicht ganz so, wie 1960 oder 1970 erhofft, sind allgegenwärtig – ebenso wie die Klagen darüber. Die Rahmenbedingungen für Hochschulen haben sich geändert, einiges aber, was man über die Zeit zwischen 1960 und 1970 liest, klingt ziemlich aktuell – und auch wieder nicht. Umso wichtiger scheint es mir, immer wieder den Blick auch in die Vergangenheit zu wenden, wenn man reflektiert in die Zukunft schauen will. Was kann man vor allem aus dem Scheitern lernen?
Leider gibt es den Text nicht online. 2018 aber hat Rudloff einen englischen Text veröffentlicht, der inhaltlich einige Schnittmengen mit dem Beitrag von 2011 aufweist und dieser ist online hier zu finden:
Rudloff, W. (2011). “Projekt Studies!” Reform Experiments in Academic Learning and Teaching in the 1960s and 1970s. Moving the Social. Journal of Social History and the History of Social Movements, 60, 45-70.
Allerdings halte ich den Text von 2011 für instruktiver. Es lohnt sich, ihn zu beschaffen und zu lesen.
vielen Dank für den Tipp!!!