Wider dogmatische Verkürzungen

Im Zuge einer Recherche aktueller Beiträge zu Scholarship of Teaching and Learning (SoTL) bin ich auf den Herausgeberband „Kritische Hochschullehre. Impulse für eine innovative Lehr- und Lernkultur“. Einer der darin versammelten Texte von Fahr und Zacherl trägt den Titel „Hochschullehre und Reflexion – Ein multimodales Lehr-Lern-Konzept am Beispiel eines Hochschuldidaktik-Kurses“ (S. 281-393), worunter ich erst mal nicht vermutet hätte, dass sich hier interessante Überlegungen zu SoTL und Wissenschaftsdidaktik finden lassen.

„Kritische Hochschuldidaktik ist eng verwandt mit der Wissenschaftsdidaktik, wie sie bereits in den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelt wurde“ (S. 283), so Fahr und Zacherl in einer Fußnote. Was Sie meinen, wird unter anderem deutlich, wenn sich erläutern, was er heißt „sich einer kritischen Hochschullehre zu öffnen“, nämlich „nichts anderes zu tun, als akademische Lehre wieder als das zu begreifen was sie sein sollte: Die in einer zutiefst wissenschaftlichen Haltung erfolgende Weitergabe von Wissen, Methoden und Haltungen an die nachfolgende Generation, damit diese selbst in dieser Haltung Einfluss auf die Gesellschaft nehmen kann“ (S. 284). Das klingt zunächst selbstverständlich, aber – und da geben ich den beiden Autoren recht – genau das ist es eben nicht, und das liegt zu einem ganz erheblichen Teil daran, dass das derzeitige Wissenschaftsverständnis auch in den Bildungswissenschaften auf empirisches Forschen (wiederum oft mit einem engen Empirie-Verständnis versehen) eingeengt wird. Doch empirische Wissenschaften, so Fahr und Zacherl „stellen im Kanon der Wissenschaft nur eine mögliche Form dar, die heute oft dogmatisiert wird. Mathematik, Logik oder Philosophie folgen anderen Verfahrensweisen und Erkenntniswegen und es wäre dogmatisch, Wissenschaft auf jene Wissenschaften zu verkürzen, die empirische Zusammenhänge beispielsweise mit statistischen Methoden zu erfassen suchen. Diese Feststellung erscheint uns gerade hinsichtlich der Didaktik und Pädagogik wichtig, die Wissenschaft allzu oft mit empirischer Wissenschaft gleichsetzen“ (S. 284 f.).

Zur Begründung dienen den Autoren im Folgenden die wegweisenden Schriften von Boyer aus der den 1990er Jahren. Ich zitiere einmal länger (mit Auslassungen), denn die Darstellung fasst aus meiner Sicht prägnant zentrale Botschaften zusammen, die für die Hochschuldidaktik bzw. Wissenschaftsdidaktik höchst relevant sind:

„Ernst L. Boyer hat bereits 1990 in Erinnerung gerufen, dass wissenschaftliche Gelehrsamkeit („scholarship“) vier unterschiedliche Dimensionen hat […]. Er unterschied die Aspekte Entdeckung – discovery, Integration – integration, Anwendung – application und Lehre – scholarship of teaching. Neue Zusammenhänge zu entdecken gehört fraglos zum Kernbestand wissenschaftlicher Tätigkeit. Boyer weist jedoch darauf hin, dass wissenschaftliche Forschung auch von der Integration neuer Erkenntnisse in den bestehenden Erkenntnisstand lebt.“ […] Drittens gehört zum scholarship auch die Reflexion auf die Anwendungsmöglichkeiten. Boyers Verständnis davon ist jedoch umfassender, als es in der aktuellen deutschsprachigen Debatte und Forschungsförderung erscheint.  […] Die von Boyer hervorgehobenen Aspekte laufen schließlich viertens in der Lehre zusammen. […] Boyer brachte damit wieder ein durchaus umfassenderes und kritisches Verständnis von Wissenschaft – von Forschung und Lehre – in Erinnerung. Er hat damit auch den Impuls dafür gegeben, das eigene Lehren in einer zunehmend wissenschaftlichen Haltung zu verstehen und sie zum Gegenstand eines Scholarship of Teaching and Learning zu machen […]. Wissenschaftliche Lehre heißt immer auch, diese Haltung exemplarisch den Studierenden vorzuleben. Und dies bedeutet letztlich, das eigene lehrende Handeln zum Gegenstand der – in einer wissenschaftlichen Haltung praktizierten – Beobachtung und Erforschung zu machen“ (S. 285)

Ob man jetzt unbedingt einen weiteren Begriff wie „kritische Hochschuldidaktik“ braucht, darüber lässt sich vermutlich streiten. Mir wäre es lieber, wenn es selbstverständlich werden würde, dass Hochschuldidaktik nur in der skizzierten „kritischen“ bzw. wissenschaftlichen Form zu praktizieren.

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