„Reimagining the new pedagogical possibilities for universities post-Covid-19“ – das ist der Titel eines kollektiven Schreibprojekts mit dem Ergebnis eines Sammelartikels in der Zeitschrift Educational Philosophy and Theory mit rund 30 kurzen Essays zur Zukunft der Hochschulbildung „post COVID-19“. Michael Peters und Fazal Rizvi – die Initiatoren des Projekts, die dazu eine Gruppe von Wissenschaftlern eingeladen haben, leiten das Ergebnis wie folgt ein:
„Our minds are still racing back and forth, longing for a return to ‘normality’, trying to stitch our future to our past and refusing to acknowledge the rupture. But the rupture exists. And in the midst of this terrible despair, it offers us a chance to rethink the doomsday machine we have built for ourselves. Nothing could be worse than a return to normality. Historically, pandemics have forced humans to break with the past and imagine their world anew. This one is no different. It is a portal, a gateway between one world and the next.“
Die Essays spiegeln eine große Vielfalt an Einschätzungen wieder – vom notwendigen Zurück zu zumindest irgendeiner Form von physischer Präsenz bis zu euphorischen Visionen von Online-Lehre, von eigenen Erfahrungen bis zu kundigen Überblicken, von provokanten Einzelbeobachtungen bis zu kreativen Vorschlägen. Die einladenden Autoren kommen zu dem Schluss, alle Texte würden darauf hindeuten, dass Wissenschaftler entschlossen sind, die COVID-19-Krise zu nutzen, um Hochschullehre und die Universität als Ort von Forschung und Bildung zu überdenken. Man habe nun vor allem gar keine andere Wahl als zu experimentieren.
Ich halte dieses kollektive Schreibprojekt für eine sinnvolle Sache. Es ist wichtig, neben all den Notfall-Reaktionen, pragmatischen Entscheidungen und improvisierten Lösungen, die im Sommersemester 2020 alle ihre Berechtigung hatten, nun auch grundsätzlich zu reflektieren (selber habe ich das im Juni hier auch versucht). Ich teile aber nicht so ganz den Optimismus der Autoren, dass die historische Chance tatsächlich flächendeckend genutzt wird. Beobachtbar ist derzeit – auf Seiten der Lehrenden wie der Studierenden – eine etwas einseitige Verklärung der physischen Präsenz als Voraussetzung, mitunter auch als Granat für Bildung. Das scheint mir doch etwas zu einfach zu sein. Bei der Diskussion um die Rolle der physischen Präsenz müsste man vermutlich auch besser zwischen Hochschulsozialisation, wissenschaftlicher Enkulturation sowie Lehren und Lernen unterscheiden, die alle wichtige Aspekte von Bildung durch Wissenschaft an einer Hochschule sind, aber anders mit der physischen Präsenz umgehen können. Genau das aber scheint mir im Moment noch nicht der Fall zu sein. Wenn man so hört, liest und beobachtet, dass die Vorbereitungen auf das Wintersemester vor allem logistischer Natur sind (wie viele Menschen können in welchen Zeitintervallen gleichzeitig in welchen Räume sein, und wie verändern wir entsprechend die bisherige Organisation der Lehre als Reaktion auf die neuen raumzeitlichen Herausforderungen?), dann ist das eben genau kein grundsätzliches Nachdenken über die bei uns verbreiteten Formen der Hochschullehre. Vielmehr machen wir hier etwas ziemlich Ähnliches wie in Kinos, Einkaufszentren und touristischen Einrichtungen …
Ich habe auch keine Lösung, aber das oben genannte Schreibprojekt, das erfahrene Lehrende und Forschende zum lauten Denken über die Hochschullehre einlädt, erhöht zumindest die Chance, dass wir neue Lösungsideen kreieren – jenseits der Lenkung von studentischen Strömen in den Räumen und Fluren unserer Hochschulen.