Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Auslaufmodell Vorlesung oder Chance einer Renaissance?

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iTunes U – das war ein Beitrag in diesem Blog, der vergleichsweise viele Kommentare provoziert hat, weshalb ich an der Stelle mal zusammenfassen will, welche Aussagen mir aufgefallen sind, und überlegen will, welche Folgerungen ich daraus ziehe.

Ausgangspunkt ist die Vorlesung, die in aller Regel in einem Monolog besteht, den man heute mit Folien begleitet, die allerdings nicht wenigen Studierende inzwischen auch schon zum Hals raushängen (was ich verstehen kann). Die erste Grundsatzfrage ist nun die, ob wir diese Veranstaltungsform überhaupt noch wollen oder ob wir sie mangels deutlich erkennbarer Wirkungen nicht ganz einstellen sollten. Wenn ich mir die Modulhandbücher von neuen BA- und MA-Studiengängen ansehe und an den Zustrom der Studierenden in den kommenden Jahren denke, bin ich mir nicht mehr ganz sicher, ob wir uns diese Grundsatzfrage überhaupt noch stellen können, oder ob nicht die Realität ohnehin schon den Weg in Richtung „mehr Monologe“ geebnet hat – schlicht aus Ressourcengründen. Man kann diese Grundsatzfrage aber auch nutzen, um zu überlegen, unter welchen Bedingungen Zuhören doch einen Lerneffekt haben kann. Warum sollte ich nicht etwas lernen können, wenn mir jemand was erzählt, der mehr Wissen und Erfahrung hat? An sich ist das ein alltäglicher Vorgang – ich lerne von anderen, und zwar durchaus auch, wenn andere mir etwas erklären. An der Stelle kann man sich fragen, ob das Zuhören denn einen Vorteil gegenüber dem Lesen hat: Warum nicht gleich ein gutes Lehrbuch statt einer Vorlesung? Nun ja, oft genug ist es ja so, also dass Studierende, falls es passend zur Vorlesung ein Lehrbuch gibt, dieses vorziehen. Von daher gilt für mich: Wenn es einen guten Studientext, ein Lehrbuch oder ähnliches gibt, dann ist es wohl wenig sinnvoll, das Ganze nochmal „vorzulesen“. Und wenn das nicht gibt? Ja, wenn es das nicht gibt, wenn man statt dessen z.B. eine Sammlung verschiedener Texte aus verschiedenen Quellen hat (also das, was man gemeinhin einen „Reader“ nennt), dann kann es natürlich wieder extrem nützlich sein, wenn ein Lehrender mit dem, was er erzählt, die Lernenden durch diese Inhalte führt, ihnen Orientierung gibt in der Fülle an verfügbaren Informationen, die ein Reader und natürlich überhaupt Bibliotheken und digitale Ressourcen zu einem Themengebiet hergeben. Dann kann ein Vortrag quasi navigieren und der Lernende nutzt dann die Texte, um das Gehörte zu elaborieren. Hier nun stellt sich die Frage, wie man das macht, damit auch zugehört wird. Die meisten Kommentatoren waren sich einig, dass ein 90-minütiges aufmerksames Lauschen mehr als unwahrscheinlich sein dürfte. Ob es nun unbedingt die 15 bis 20 Minuten Podcast-Länge sein muss, oder ob auch 30 oder 40 Minuten möglich sind, wenn es sich um ein LERNangebot handelt, sei mal dahingestellt. Ich denke, das müsste man ausprobieren. Wenn man das ausprobiert, ja, dann kostet das eine ganze Menge Zeit und dann kann man sich als Lehrender NICHT auch gleichzeitig noch in den Hörsaal stellen und dasselbe nochmal in 90 Minuten erzählen. Es würde wohl ohnehin kaum jemand kommen.

Eine weitere Frage ist die, ob man solche Audio-Angebote als Nutzer „bearbeiten“ können soll: also verschlagworten, Fragen stellen (und dann logischerweise auch Antworten bekommen), kommentieren, natürlich auch beliebig anhalten und zu bestimmten Stellen „springen“ usw. Das hört sich zunächst einmal sinnvoll an, denn ein aktiver Umgang mit den Inhalten ist selbstverständlich gegenüber der reinen Rezeption zu bevorzugen. Aber vielleicht ist es doch nicht so einfach? Meine Beobachtung ist, dass es offenbar gar nicht so selbstverständlich ist, zusammenhängende Argumente zu verstehen, richtiggehend „mitzudenken“ und für sich nachzuvollziehen, worum es geht und was wichtig ist etc. (das ist schlicht anstrengend!). Um das aber hinzubekommen, muss man mal an einem Stück zumindest eine Zeitlang zuhören. Springen kann ich ja nur zwischen „Informationshappen“, bei denen es egal ist, was jeweils vorher war und was nachher kam. Aber genau das ist bei komplexeren Gedankengängen ja durchaus nicht immer der Fall. Man müsste also schon sehr genau überlegen, wo man das will und wo es zielführend ist: Das Springen von einer Stelle zur nächsten. Ähnlich ist das mit dem Fragen und Kommentieren – mal unabhängig davon, dass man bei einem frei zugänglichen Angebot von keinem Lehrenden verlangen kann, dass er Fragen von einer nicht kalkulierbaren Menge an Zuhörern beantwortet. Da bleibe ich bei der Position, die ich bereits in einem der Kommentare versucht habe deutlich zu machen: Man muss da verschiedene Strategien, von mir aus auch „Kanäle“ haben: offene Kanäle, auf denen man nur distribuiert, und geschlossene Kanäle, auf denen man mit einer begrenzten Anzahl an Personen auch kommuniziert. Dieser begrenzte Anzahl an Personen kann ich als Lehrende dann auch geeignete Anlässe bieten, um zu kommentieren, zu verschlagworten oder zu Inhalte zu erweitern – denn dass das komplett selbstorganisiert von vielen ohnehin gemacht wird – na, mal ehrlich: Wir wissen, dass das NICHT der Fall ist.

Die letzte Gruppe an offenen Fragen und Argumenten betrifft dann letztlich den Anbieter, von dem wir hier ausgegangen sind: iTunes U ja oder nein? Nutzt man den „Ort“, wo sich junge Menschen ohnehin tummeln, oder verweigert man sich, ein Unternehmen bei seiner Marketingstrategie zu unterstützen? Ja, das ist natürlich auch eine Grundsatzfrage (ähnlich wie bei Google-Angeboten) und für beide Seien gibt es gute Argumente. Im Moment würde ICH das eher pragmatisch sehen und sagen: Ja, klar, lasst es uns nutzen. Aber ich sehe schon auch, dass man wachsam sein und genau verfolgen muss, wie sich das entwickelt und an welcher Stelle negative Effekte auftreten könnten.

Sorry, es ist ein bisschen lang geworden – aber es geht halt nicht alls in Info-Happen 😉

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