Das Thema Hybridlehre bewegt. Dabei geht es akut wohl weniger um freudige Erwartung auf einen erweiterten didaktischen Handlungsspielraum (der sich durchaus auftut), sondern um die bange Frage, wie das (vor allem logistisch) im Wintersemester eigentlich alles gehen soll … (siehe auch hier). Und so verwundert es nicht, dass die Hybridlehre auch ein Thema für die Vizepräsidentinnen für Studium und Lehre der Universtäten in Baden-Württemberg ist, die im Hochschuldidaktik Zentrum (HDZ) kooperieren. Am vergangenen Freitag war ich zu deren „Lehrdialog“ eingeladen, um über Hybridlehre zu sprechen. Auch wenn aktuelle Beiträge dazu als Video (hier) und Text (hier) schon verfügbar sind, war noch einmal ein synchroner Vortrag gewünscht mit anschließender Diskussion.
„Das schwierigste Semester seit Pandemiebeginn liegt vor uns!“, so eine Stimme aus dem Kreis der Teilnehmerinnen, was die aktuell unberechenbare Situation gut auf den Punkt bringt: Nach dem Schock der Umstellung von Präsenz- auf Online-Lehre haben sich nun viele Lehrende mit Online-Angeboten arrangiert, und für alle Beteiligten herrschte zumindest weitgehend Klarheit: keine physische Präsenz. Nun soll so viel Präsenz wie möglich wieder möglich sein, aber es gibt Einschränkungen: Abstandsregeln, potenzierte Raumengpässe, zusätzliche Prüfvorgänge (Impfpässe, Testergebnisse), also alles in allem sehr viel logistischer Aufwand. Wer wird präsent sein können und wann und wer nicht? Und ist das für die Studierenden jeweils ein Nachteil oder ein Vorteil? Wie wird das koordiniert? Genügt die technische Ausstattung für das geforderte Höchstmaß an Flexibilität? Usw.
Alle zehn Universitäten waren vertreten. Eine kurze Vorstellungsrunde zeigte, dass die Vizepräsidenten sowie zwei Leiterinnen aus dem Bereich Hochschuldidaktik (als Vertreter) verschiedene Fachhintergründe haben. Das dürfte sicher mit dazu beigetragen haben, dass neben dem allgemein geteilten Respekt vor dem kommenden Semester schnell ein Konsens darüber da war, neben fachübergreifenden Anforderungen auch fachkulturelle Spezifika für die Gestaltung der Lehre nicht außer Acht zu lassen. Was habe ich noch aus dieser Diskussion mitgenommen?
Ein interessanter Effekt ist der folgende: Mit der Pandemie ist das Bewusstsein für die Qualität der Lehre gestiegen. Viele verbinden mit „höhere Qualität“ vor allem mehr Aktivierung – am besten über zu bearbeitende Aufgaben. Das ist ja auch nicht falsch. Die Folge aber ist eine steigende Arbeitsbelastung der Studierende, über die zunehmend geklagt wird. Wichtig wäre – und das wird aus meiner Sicht zu wenig kommuniziert – eine gute Balance zwischen (a) Rezeption und Muße für die aktive Aneignung von Wissen (via gut gemachter Vorlesungen, Literatur, Materialien, Lesezeit etc.), (b) ausreichenden Möglichkeiten, das eigene akademische Können auszuprobieren und einzuüben sowie (c) die Chance (auch digital) mit anderen zusammen projektorientiert tätig zu werden (z.B. forschendes Lernen). Die Betonung aber liegt auf BALANCE. Man müsste, so eine Gesprächsteilnehmerin, mehr die studentische Perspektive einnehmen, also die Frage stellen: Was rollt da alles auf Studierende (als Individuen) zu? Doch anders als in der Schule ist es in vielen Studiengängen mit verschiedenen Fächern, Modulwahl und individuellen Studienplänen kaum möglich, für jeden Einzelnen ein im Hinblick auf die Arbeitsbelastung ausgewogenes Studienprogramm anzubieten. Mehr Koordination zwischen den Lehrenden wäre allerdings dennoch vonnöten – was nicht wenige der Gesprächsteilenehmer kritisch sehen (wer macht dabei mit? Wer fühlt sich dadurch eingeschränkt? Wer hat dafür Zeit?). Auch die Arbeitsbelastung der Lehrenden war ein Thema: Hyflex etwa – da waren sich alle einig – kann nicht das Gebot der Stunde sein, denn zu schaffen sind Mehrfachangebote (mehrere Wege, z.B. präsent, synchron und asynchron, zum selben Ziel) nicht auch noch.
Neben etlichen weiteren interessanten Gesprächspunkten möchte ich zum Schluss noch den Präsenzaspekt herausgreifen: Hier gab es – wohl unter anderem fachspezifisch gefärbt – durchaus unterschiedliche Ansichten, wofür genau wir auch künftig ganz dringend die Präsenz brauchen und was angesichts fehlender oder eingeschränkter Präsenz nach wie vor leidet: Es fielen Stichworte wir Klima und Atmosphäre, aber auch so etwas wie eine gemeinsam geteilte Universitätskultur, kollektive Identität und das Informelle – und zwar bezogen auf Lehrende und Studierende gleichermaßen.