Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Digitalisierung versus Digitalität?

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Was ist der Unterschied zwischen Digitalisierung und Digitalität? In vielen Fachkreisen liest man davon, dass es sich hier um Gegensätze handeln würde – nach dem Motto: Von Digitalisierung sprechen die, die allein den technologischen Wandel im Blick haben und eine technische Perspektive einnehmen; Digitalität dagegen sagen die, die den kulturellen Wandel vor Augen haben und die Welt aus einer sozialen Perspektive betrachten. Tatsächlich kann man die Autorinnen von Texten inzwischen recht gut in verschiedene (wissenschaftliche) „Lager“ einordnen, wenn man danach schaut, welche der beiden Begriffe vermehrt und in welcher Form verwendet werden. Ist das aber tatsächlich sinnvoll? Ich meine nicht, und möchte das kurz begründen:

Rein sprachlich betrachtet, leiten sich beide Begriffe, also Digitalisierung und Digitalität, vom Adjektiv digital ab. Daraus kann man ein Verb machen: digitalisieren. Was damit gemeint ist, tun wir seit Jahrzehnten ständig: Wir digitalisieren unsere Texte, Bilder und Videos, wir digitalisieren unser Informations- und Kommunikationsverhalten, wir digitalisieren Forschungsprozesse und Lernmaterial etc. Die Endung -ung macht in der deutschen Sprache aus Verben Nomen, zum Beispiel: vorbereiten → Vorbereitung. Analog dazu kann man aus dem Verb digitalisieren → Digitalisierung bilden. Das kann man jetzt ganz ohne jede weitere Deutung schlicht als eine sprachliche Kennzeichnung betrachten, denn: Der so bezeichnete Prozess (Digitalisierung) lässt sich aus allen möglichen Perspektiven betrachten, etwa aus einer technischen, ökonomischen, individuellen, sozialen oder kulturellen Perspektive. Man kann im Deutschen aus einem Adjektiv aber auch direkt ein Nomen machen; dafür gibt es ebenfalls verschiedene Endungen – eine davon ist die Endung -tät. Dann wird zum Beispiel aus flexibel → Flexibilität und das ist eine Eigenschaftsbezeichnung. Entsprechend können wir aus dem Adjektiv digital → Digitalität machen. Auch das lässt sich ohne jede weitere Deutung als eine sprachliche Kennzeichnung betrachten, denn: Die so bezeichnete Eigenschaft (Digitalität) kann genau genommen ganz unterschiedlich motiviert oder verursacht sein; es kann sich um das Ergebnis eines technischen, ökonomischen, individuellen, sozialen oder kulturellen Wandels handeln.

Wenn zwei Begriffe nicht auf der gleichen (sprach)logischen Ebene liegen, also ein Begriff einen Prozess und der andere eine Eigenschaft bezeichnet, dann ergibt es keinen so rechten Sinn, diese beiden Begriffe als Gegensätze zu stilisieren – zumindest sprachlich nicht. Allerdings scheint der Zug da schon abgefahren zu sein. Ich erlebe es gar nicht so selten, dass es geradezu Aversionen gegen den Begriff der Digitalisierung gibt oder missionarischer Eifer in der Verwendung des Begriffs Digitalität zum Vorschein kommt (oder umgekehrt) – quasi als Ausdruck verschiedener Weltsichten. Vielleicht aber ist das wiederum ein Ausdruck unserer Zeit: Wörter werden gekapert – für die gute oder die schlechte Seite (man denke nur an den Begriff Querdenker, der einst einen kreativen Menschen kennzeichnete, heute aber ein verbranntes Wort ist, obschon es – früher – eine schöne metaphorische Bedeutung hatte; siehe dazu auch hier). Falls sich aber im Kontext des Digitalen der Zug doch noch aufhalten ließe, dann wäre ich klar dafür: Statt unterschiedliche Auffassungen und Weltsichten an zwei Nomen festzumachen, wäre es hilfreicher, jeweils konkret und für alle verständlich auszudrücken, was man zum Thema rund um digitale Technologien zu sagen hat.

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