Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Mitmach-Akkreditierung

| 9 Kommentare

Es ist nicht das erste Mal, dass ich darüber nachdenke, aber wenn – wie aktuell – mal wieder eine Anfrage kommt, sich an der Arbeit von Akkreditierungsagenturen etwa als Gutachter zu beteiligen, dann kreisen meine Gedanken erneut um das Thema. Ich finde es jedenfalls unglaublich, was man da für ein „Monster“ geschaffen hat. Man muss sich das mal vorstellen: Die Akkreditierung von Studiengängen kostet eine große Summe Geld, das die Universitäten aufbringen müssen. Gleichzeitig funktionieren die Akkreditierungsagenturen nur, indem Hochschullehrer sich als Gutachter und Mitarbeitende beteiligen. Dafür bekommen sie ein wenig Geld, ja, aber allem voran investieren sie Zeit, die ihnen an der eigenen Hochschule wieder fehlt. Der Staat zahlt also doppelt: für die Akkreditierung und dafür, dass Hochschullehrer daran mitarbeiten (mit der Folge, dass die entstandenen Bürokratisierung in der Hochschule nochmal kostet). Wie kann man sich das eigentlich erklären? Was sind die „Treiber“ dieser Situation?

Nun, ich habe das Gefühl, dass es da vor allem drei Treiber gibt: Da ist erstens eine Art „Logik des Misstrauens“: Seitens der Politik hat man beobachtet, dass Hochschulen Kolosse sind, dass in vielen Bereichen tatsächlich jahrzehntelang keine Reformen und Änderungen auf den Weg gebracht wurden. Das schmälert das Vertrauen in die Änderungsfähigkeit und -bereitschaft. Also beauftragt man externe Stellen und Personen (ähnlich wie in Hochschulräten), den Wissenschaftlern auf die Finger zu schauen – und zwar gleich mal ganz grundsätzlich – ähnlich einem Mehdornschen Kollektiv-Verdacht. Zweitens scheint es eine Art „Logik des Gütesiegels“ zu geben: Hier spielen sicher internationale Vorbilder eine Rolle – es klingt irgendwie gut und beruhigend „akkreditiert zu sein“. Man denkt vielleicht an den TÜV und an die Stiftung Warentest und wiegt sich dann in der Gewissheit, dass es jetzt „richtig“ ist. Und drittens handelt es sich wohl um eine ganz klare „Logik der Steuerung“: Hochschulen sollen autonom sein, also funktioniert ein direkter Zugriff des Staates auf die Lehre eher nicht besonders gut, obschon es der direkteste Weg wäre. Ein indirekter Weg würde eigentlich unmittelbar über den nationalen Akkreditierungsrat laufen – aber auch das vermeidet man und schaltet lieber Akkreditierungsagenturen dazwischen, die ausführen, was man politisch beschließt: Der längste Weg wird letztlich zum effektivsten Zugriff.

Interessant an der Sache ist, dass man sich „gegen staatlichen Zugriff“ gerne und schnell auch unter den Professoren wehrt. Wenn aber doch so viele Kollegen inzwischen an der Arbeit der Akkreditierungsagenturen so fleißigen mitwirken, dann funktioniert dieses „Ingroup-Outgroup“-Denken nicht mehr. Ja, es ist ja fast wie beim Web 2.0 (dem Mitmach-Web): Wir stehen vor einer „Mitmach-Akkreditierung“, nur dass die Folgen ganz andere sind.

Nun häufen sich ja inzwischen die Klagen von Professoren über Professoren, dass man dem Bologna-Prozess so widerstandslos gefolgt ist, sich nicht gewehrt hat etc. Und nun sei es zu spät. Aber halt: Ist das nicht eine Ausrede? Denn wenn man sich mal überlegt, dass das ganze Akkreditierungssystem nur funktioniert, weil sich Professoren daran als Gutachter u.ä. beteiligen und mitmachen, dann liegt ja eigentlich auf der Hand, dass NICHTS mehr funktionieren würde, wenn sie das NICHT mehr täten. Man würde sich also gar nicht weigern (müssen), den Akkreditierungswahnsinn über sich ergehen zu lassen, sondern nur eben NICHT mitmachen, wenn es darum geht, sich beim Akkreditieren der jeweils anderen zu beteiligen. Also nur mal so als Gedankenspiel …

Wichtig: Ich bin NICHT gegen Bologna in dem Sinne, dass man mit Blick auf Europa schaut, wie man Übergänge und Mobilität verbessern kann. Auch inhaltlich sinnvolle Modularisierungen und ECTS sind an sich NICHT das Problem. Auch gut ist, dass dank Bologna das Thema Lehre überhaupt wieder mehr auf den Tisch kommt. Zudem ist es völlig richtig, dass man sich überlegt, wie man Qualität sicherstellt und entwickelt. Aber mir konnte noch niemand überzeugend erklären, was dieses Akkreditierungssystem sachlich bringen soll! Also bleibe ich erst mal bei meinen Vermutungen, dass Misstrauen, ein fester Glaube an Gütesiegel – und seien sie noch so konstruiert – sowie letztlich Steuerungsmacht die eigentlichen Treiber dahinter sind.

9 Kommentare

  1. Da kann man mal wieder sehen, wie schnell sich da Selbstbrüter entwickeln, die aus sich selber laufen und doch nicht vom Fleck kommen.
    Getreu der klassischen Frage ab Klasse 10 in unseren Schulen: Stell Dir vor, es wäre Krieg und keiner geht hin… 😉

  2. liebe gabi,
    klarer fall von organisierter verantwortungslosigkeit. die hochschule gehört uns, aber wieso nehmen wir sie uns nicht. am ende fühlt sich keiner mehr in ihr zuhause.
    die bolognaidee (verkürzen, portionieren, vereinfachen der studiengänge) ist bestechend. die frage ist, wer die größten fehler gemacht hat, dass nun folgendes dabei herauskommt: verschulen, ÜBERprüfen, bürokratisieren und frustrieren. ich bin leider geneigt zu sagen die hochschulen und – vor allem – die profs der alten garde. es hätte eine chance bestanden, wirklich neue studiengänge zu etbalieren, und es gibt ja auch wirklich wunderbare beweise dafür. aber die meisten hochschulen haben einfach umetikettiert, haben formate auf ihre alten hypertrophen wissenlager gestülpt, die nun allen weh tun: ihnen selber und den studis natürlich.
    ich kann nicht wirklich beurteilen, ob das akkreditieren falsch ist, wahrscheinlich ist es das, wenn die von dir beschriebene quasi-bürokratie entsteht, die kräfte absorbiert. eins weiß ich aber sicher: mein vertrauen in die universität als denkende anstalt ist schwer erschüttert. ich finde, es muss unbedingt gecheckt werden, ob das ein scheiss ist, was die alles an BA und MA raushauen.
    manchmal denke ich, dass der hauptschuldige vielleicht sogar die studis sein könnten. also, ich hätte mir zugetraut, in einer studienreformkommission mit starker studentischer stimme, einen hübschen bachelor in politik zu entwerfen. zusammen mit den profs, logo, aber wir mussten denen jedesmal die rote karte zeigen für den bücher- und themenrucksack, den sie uns überhelfen wollten. (das war damals so.) heute könnten aktive studenten doch auch die wichtigsten akteure sein, oder? wo sind sie nur geblieben.
    best christian

  3. Liebe Gabi,
    interessant deinen Beitrag zu lesen … und fast zeitgleich den von Michael Kerres zur erfolgten Re-Akkreditierung seines Masters Educational Media. Er fühlte sich bei dem Verfahren ja gut betreut und hilfreich begutachtet. Ich kenne von anderen Verfahren andere Einschätzungen. An unserem Institut sind wir ja auch turnusmäßige externe Evaluationen gewohnt, aber das sind für uns relativ transparente Mechanismen und vor allem namentlich bekannte Organisatoren und Evaluatoren.
    Bei dem Akkreditisierungs-Geschäft (ja: Geschäft!) frage ich mich aber, was die Agenturen eigentlich dafür qualifiziert (nur die professoralen Gutachter anzuwerben kanns ja wohl nicht sein). Hier geht es um Studiengangsentwicklung, eigentlich ein klassischer Fall von Curriculumentwicklung; es geht bei BA/MA ja auch um internationale Anerkennung und Austauschbarkeit, ein Fall von – ja was? Bildungspolitik? Oder Mitgliedschaft in der internationalen Community, um zu wissen, was und wie anderswo gelernt und gelehrt wird? Eigentlich eine wichtige Voraussetzung, daran orientiert zu reformieren.
    Leider wird bei uns lieber eine Bürokratie des Misstrauens aufgebaut, statt eine Kultur problemorientierten Wandels in den Hochschulen zu fördern.
    Gruß von Joachim

  4. Ja, das glaube ich gerne, dass „Begehung“ und Begutachtung auch sehr erfreulich ablaufen können, vor allem, wenn man eine gute Gutachterkommission hat. Genau das ist ja das Perfide an dem System: Gerade auch gute Leute sagen sich: „Na, dann mache ich das halt, dann ist es wenigstens in guten Händen“ – und das habe ich mir auch zunächst gedacht, dass es wohl sinnvoll ist, das mitzugestalten. Aber je länger ich darüber nachdenke, umso absurder kommt mir das vor, dass das die Universitäten nicht selbst hinbekommen.
    Übrigens: Michaels Beitrag habe ich dann auch erst danach gelesen – es sollte also kein Affront gegen ihn sein. Unser Studiengang muss auch akkrdeditiert werden und ich hoffe, dass bis dahin entweder keiner mehr mitmacht (unrealistisch ;-)) oder gerade gute Leute noch mitmachen (schon wahrscheinlicher)
    Gabi

  5. einen Aspekt könnte man bedenken: „früher“ war man in der Regel von einem Sachbearbeiter im Ministerium und der dortigen Einschätzung abhängig. Insofern erscheint das jetzige Verfahren durchaus „näher“ an der Expertise und mit mehr Transparenz ausgestattet.
    Ansonsten teile ich deine Skepsis: Man möge mal rechnen: Wir haben etwa 80-120 Studiengänge, die alle fünf Jahre zu akkreditieren wären a ca. 12.000 extern und 24.000 Euro interne Kosten …

  6. Das stimmt natürlich. Zurück zum System vorher ist sicher nicht die einzige und wohl auch nicht die richtige Alternative. Schön aber wäre es, wenn das System irgendwie lernfähig wäre – einschließlich der Ministerien. Dass man es verbessern müsste – in mehrfacher Hinsicht – das wird ja in Sonntagsreden auch gar nicht (mehr) bezweifelt. Was fehlt, sind entschlossene Taten – und ich frage mich: Wo kömnnten WIR uns da wirkungsvoll beteiligen?

  7. Die große Welle kommt erst noch: Es sind an unserer Uni vielleicht 50 (?) Lehramtsstudiengänge BA/MA zu akkreditieren in den nächsten 2-3 Jahren. Da können wir uns dann wirkungsvoll beteiligen 🙂

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